Schöne Neue Bildungswelt?!
Gastbeitrag --- Die Frage um die Einbindung Künstlicher Intelligenz (KI) im Bildungsbereich stellt uns aktuell vor verschiedenste Herausforderungen. Im Kern geht es hierbei um Folgendes: Welche Rolle kann und soll KI im Bildungsbereich spielen?
Die erste Teilfrage nach dem "Können" verweist auf technische Möglichkeiten, die zweite auf normative Entscheidungen. Aufgrund der zeit- und ortsunabhängigen Verfügbarkeit von Informationen und KI-gestützten Tools im Internet bieten diese prinzipiell die Möglichkeit, Lernprozesse zu demokratisieren. Potenziell können alle Lernenden auf KI-Tools zugreifen und von diesen profitieren. Die Praxis zeigt, dass die Frage des "Sollens" nicht nur von Entscheidungstragenden im Bildungsbereich abhängt, sondern auch wesentlich von den Lernenden selbst mitgestaltet wird. Letztere nutzen die jeweiligen technologischen Möglichkeiten sobald diese verfügbar sind in jedem Fall, wie der Schulalltag zeigt.
Von grundlegender Bedeutung ist hierbei die Art der Nutzung. Der aktuelle Diskurs fokussiert sich vorrangig auf technische sowie grundsätzliche inhaltliche Fragen. Technisch fehlen derzeit z. B. noch breit verfügbare Möglichkeiten, um den Gebrauch von KI-Tools im Nachhinein nachzuweisen, etwa im Kontext der Beurteilung von Leistungen. Vortäuschen von Leistungen ist an sich nichts Neues. Mit den frei verfügbaren KI-gestützten Technologien hat sich dieses Problem jedoch wesentlich verschärft: Leistungen, die auf Lernprozessen basieren sollten, werden zunehmend an KI-gestützte Systeme delegiert.
Lernen bedeutet, dass wir neue Verbindungen zwischen Reizen und Reaktionen herstellen. Wenn wir Neues lernen, verändert sich das Gehirn funktionell und strukturell. Dadurch nehmen wir die Welt auch anders wahr und können in der Folge differenzierter denken und handeln. Das heißt insbesondere, dass wir letztlich selbst und aktiv Inhalte lernen und uns intensiv mit komplexen Fragestellungen auseinandersetzen sollten.
Neben Gefahren bietet der Einsatz von KI auch positives Potenzial im Bildungsbereich. Die grundlegenden Technologien der KI fordern eine kritische Auseinandersetzung mit den generierten Inhalten in unterschiedlicher Hinsicht geradezu heraus. Die Rolle der Lehrkräfte könnte sich vermehrt dahingehend wandeln, dass sie auch als Lern-Wegweiser fungieren, die Lernende dabei begleiten, ihre individuellen Lernprozesse zu steuern und Informationsbestände kritisch zu hinterfragen. Zudem sind Lehrkräfte aufgrund der technologischen Möglichkeiten gefordert, etablierte Muster, Ansichten und Vorgehensweisen im Bildungsbereich in Frage zu stellen. Es gilt neu zu bestimmen, was etwa im Kern ein spezifischer Lerninhalt sein soll, wenn Technologien nun vieles verfügbar machen.
Keine KI kann uns letzten Endes unser eigenes differenziertes Denken abnehmen, wenn wir nicht wie die Menschen in E.M. Forsters zukunftsweisender, bereits 1909 erschienenen Kurzgeschichte "Die Maschine steht still" (Original: The Machine Stops) am Ende unangenehm erwachen wollen.
Zu den Personen:
Christian Kraler ist Universitätsprofessor für Lehrer:innenbildung und Lernen am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Universität Innsbruck. Als Leiter der Forschungsgruppe Lehrer:innenbildung und Lernforschung befasst er sich schwerpunktmäßig mit Fragen, Phänomenen und Entwicklungen des Lernens im Kontext Formaler Bildung, der historiographischen und systematischen Analyse und Entwicklung zentraler Aspekte institutioneller Bildung, Professionalisierungsprozessen im Lehrer:innenberuf, sowie bildungsphilosophisch-wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Lernprozessen unter besonderer Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungen. In der angewandten Forschung konzentriert er sich auf mehrjährige Begleitforschung im Kontext innovativer Bildungsprojekte. In der universitären Lehre liegt der Schwerpunkt bei Einführungslehrveranstaltungen zu bildungswissenschaftlichen Grundlagen im Lehramt sowie im Bereich der Ausbildung von PhD-Studierenden.
Katarzyna Ammann-Kapa hat Psychologie studiert und arbeitet derzeit als Universitätsassistentin im Bereich Schulentwicklungsforschung und Leadership am Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung. Aktuell befasst sie sich als Doktorandin am Institut mit den Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf Schule insgesamt und auf konkrete fachunterrichtliche Prozesse im Besonderen. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Fragen zu Aspekten der Human-AI-Agency im schulischen Kontext. In der universitären Lehre liegt der Schwerpunkt bei Einführungslehrveranstaltungen zu bildungswissenschaftlichen Grundlagen im Lehramt.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.