Frauen in der Forschung: "Braucht mehr Empathie im System"
Seit mehr als zehn Jahren ist Simone Lackner in Lissabon tätig, wo sie sich mit Wissenschaftskommunikation befasst. In einer ihrer jüngsten, im Fachjournal "Nature" erschienenen Studie untersuchte die Österreicherin das Phänomen der Selbstüberschätzung in Bezug auf Wissenschaftsskepsis, dem auch ein Gender-Aspekt innewohnt. Anlässlich des Frauentages (8. März) appelliert die Wissenschafterin für mehr Empathie in der Gesellschaft wie im Wissenschaftssystem selbst.
In der im Vorjahr erschienenen "Nature"-Studie entwickelte Lackner mit Kolleginnen und Kollegen eine neue Metrik, um das Phänomen der Selbstüberschätzung des eigenen wissenschaftlichen Wissens aus Daten von großen, in Europa und in den USA in den vergangenen drei Dekaden durchgeführten Umfragen zur Einstellung über Wissenschaft, darunter die Eurobarometer-Studie, ablesen zu können. Heraus kam ein vermeintlich kontraintuitives Ergebnis: "Wir haben festgestellt, dass die Selbstüberschätzung bei mittlerem Wissensstand ihren Höhepunkt erreicht" und dass jene mit mittlerem Wissen und hoher Selbstüberschätzung auch die am wenigsten positive Einstellung zur Wissenschaft haben.
Bei ihrer Auswertung zeigte sich auch ein Gender-Aspekt: Bisherige Studien würden oft nur bestehendes Wissen bei den Teilnehmenden abfragen - mit den Antwortmöglichkeiten "falsch", "richtig", "ich weiß es nicht": "Wir haben gesehen, dass Männer im Schnitt häufiger nicht 'ich weiß es nicht' sagen. Frauen sagen das eher." In ihrer Studie hatten die Forschenden Selbstüberschätzung aus dem Verhältnis von "weiß nicht"-Antworten zu "falsch"-Antworten abgeleitet.
Wissenschaftskommunikation keineswegs obsolet
Lange ging man in der Wissenschaftskommunikation entlang des "Defizit-Modells" davon aus, dass die öffentliche Akzeptanz von Wissenschaft dann gering ist, wenn es eben nicht genug wissenschaftliche Informationen und Wissen über Forschung gibt. Mehr Aufklärung bringt mehr Vertrauen, lautete die daraus abgeleitete und heute als überholt geltende Annahme. Der "Dunning-Kruger-Effekt" beschreibt zudem, dass die Nichtwissenden sich nicht ihres Nichtwissens bewusst sind und sie daher vielleicht auch eher ignorant gegenüber der Wissenschaft eingestellt sind. Beide Thesen spiegeln sich nicht direkt in den Ergebnissen Lackners wider.
Wissenschaftskommunikation, besonders auch an die Gruppe der wenig Informierten, sei damit aber keineswegs obsolet, unterstrich Lackner im Gespräch mit der APA: "Die Anti-Science-Bewegung geht mit der Digitalisierung Hand in Hand. Wir leben in einer Infodemie, Informationen sind rund um die Uhr verfügbar." Nach einer gewissen Zeit der Beschäftigung mit einem Thema, das zeigten ebenfalls wissenschaftliche Studien, fühle man sich einfach als Expertin oder Experte: "Das kann man nicht verurteilen, das ist ein kognitiver Bias, dem wir unterliegen, aber wir müssen uns unserer Empfänglichkeit für Informationen und die damit einhergehenden Gefahren der - wenn auch unbewussten und unreflektierten - Selbstüberschätzung bewusst werden."
Angesprochen auf die - im Gegensatz zu Portugal - stärker ausgeprägte gesellschaftliche Wissenschaftsskepsis in Österreich sagte Lackner: "Ich glaube, dass wir den moderierten Dialog und das empathische Zuhören fördern müssen." In Skepsis stecke grundsätzlich auch das Suchen nach Antworten. Es werde, auch in Österreich, viel für die Wissenschaftskommunikation und "Medienkompetenz" gemacht, "aber das Thema emotionale Intelligenz, Bescheidenheit und das Selbstreflektieren, wie wir Entscheidungen treffen, fehlt - nicht nur in Österreich", so Lackner. Hier müsse man ansetzen und diese Eigenschaften stärken - bei der Allgemeinheit sowie bei Expertinnen und Experten. Dazu brauche es neue multidisziplinäre Bildungsansätze. Als einen Beitrag dazu initiierte Lackner den "Salon Luminosa", einen "Dialog-Raum für Diskurs" mit Events in Lissabon und Wien.
Mehr intellektuelle Bescheidenheit und Empathie
Lackner studierte Molekularbiologie, promovierte in Neurowissenschaften und forscht heute als Sozialwissenschafterin. Schon als PhD-Studentin am Lissabonner Champalimaud Forschungszentrum gründete sie im Jahr 2011 mit Kolleginnen und Kollegen Vermittlungsveranstaltungen ("AR Events") und ein dazugehöriges Magazin für Wissenschaftskommunikation; sie initiierte auch den Lissabonner Ableger der in Großbritannien geschaffenen "Soapbox Science" zur Förderung der Sichtbarkeit von Frauen und Stärkung von Diversität in den Natur- und Ingenieurwissenschaften (STEM).
Bei vielen Förderprogrammen gehe es primär darum, das Selbstvertrauen von Frauen zu steigern, z.B. bei der Art des Verfassens von Anträgen und Lebensläufen. "Aber das ist der männliche Weg." Wie könnte man dann mehr auf intellektuelle Bescheidenheit und Empathie bauen? "Das ist ein Dialog, den wir führen müssen, wenn wir mehr Diversität ins Wissenschaftssystem bringen wollen", so Lackner.
Noch zeigen Berichte, dass Frauen in Europa in manchen Forschungsbereichen sehr unterrepräsentiert sind - auch wenn es Fortschritte gibt. "Natürlich hat sich in den vergangenen zehn Jahren schon einiges verbessert, aber gerade wenn es um Entscheidungsfindungen geht, ist diese in bestimmten Disziplinen der STEM, etwa der Physik oder Chemie, noch männlich dominiert." Für die gebürtige Wienerin geht es darum, das System Wissenschaft noch viel mehr für Frauen und für Diversität zu öffnen. Auch deswegen: "Wenn wir von der Steigerung des öffentlichen Vertrauens in die Wissenschaft sprechen, ist es extrem wichtig, dass wir über Diversität, Gleichberechtigung und Wohlergehen in der Wissenschaft reden", sagte Lackner: "Wenn die Bevölkerung sich in der 'Entscheidungs-Autorität', den Expertinnen und Experten, wiederfindet und sich von ihnen vertreten fühlt, wird das Vertrauen sicherlich gestärkt."
Service: https://magazine.ar.fchampalimaud.org/; Studie in "Nature": https://doi.org/10.1038/s41562-023-01677-8; "Salon Luminosa" zum Thema "Künstliche oder Emotionale Intelligenz? Das ist die Frage!" am 11. März, 19 Uhr in Wien: https://go.apa.at/Y5VdhdEi
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