Für nachhaltiges Wohnen gehört vor allem auch Bestand genutzt
In Europa entfallen rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der energiebezogenen Treibhausgasemissionen auf den Gebäudebestand. Darüber hinaus besteht in diesem Sektor auch eine enorme Abhängigkeit von Gas. Daher gehören Potenziale und Möglichkeiten zur Verbesserung der Energieeffizienz im Gebäudebestand stärker genutzt als bisher, waren sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter bei einem Pressegespräch des Wissenschaftsnetzes Diskurs einig.
Die gute Nachricht ist, dass die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor im Gegensatz zum Sektor Verkehr dank gesteigerter Effizienz seit 1990 um 37,5 Prozent zurückgegangen (-4,9 Mio. t CO2-Äquivalent bis 2020) gesunken sind. Und das sei bei gestiegenem Komfort, besserer Raumluft und wachsender Wohnfläche gelungen. Doch trotz dieser Erfolge müssten "alle Effizienzpotenziale schleunigst gehoben werden", hieß es beim Pressegespräch am Donnerstag.
Sanieren statt Abriss und Neubau
An erster Stelle steht demnach die Effizienz - und in diesem Sinne geht es sehr ums Sanieren und Aufwerten von Gebäuden und Ortsteilen anstatt von Abriss und Neubau, ging aus den Ausführungen von Karin Stieldorf von der TU Wien hervor. Gebäude seien Lebensraum und oft wichtigster Besitz: "Sanieren und Dämmen mit architektonischem Gestaltungswillen, ökologischem Bewusstsein und Feingefühl wertet sie auf." Sie plädierte für mehr Dämmen mit nachwachsenden Rohstoffen, wobei hierzu aber beispielsweise in Sachen Brandschutz noch geforscht werden müsse.
Auch Stefan Breuer von der FH-Kärnten forderte "pflegen, erhalten und verbessern - die Wegwerfmentalität muss ein Ende haben". "Das nachhaltigste Baumaterial der Zukunft ist der Gebäudebestand."
"Die Energieeffizienz ist am wichtigsten", betonte Rainer Pfluger von der Uni Innsbruck. "Und Sanieren ist die wichtigste Voraussetzung dafür, die Energiewende zu schaffen." Außerdem bedeute Sanieren nicht wie oft fälschlich dargestellt einen Verzicht, bessere Dämmung sorge für mehr Komfort sowohl im Sommer als auch im Winter - mit Kühle bzw. Wärme, sprach er ein Imageproblem der Sanierung an.
"Wir dürfen jetzt bei aller Dringlichkeit aber nicht auf die Qualität bei der Sanierung verzichten", so Pfluger weiter. "Ohne ausreichende Sanierungstiefe werden wir langfristig die Ziele der Klimaneutralität im Bauwesen nicht erreichen."
Auf Energieausweis und Gebäudebewertung setzen
Grundsätzlich hätten Energieausweis und Gebäudebewertung in den vergangenen 25 Jahren europaweit einen guten technischen Standard erreicht, hieß es beim Pressegespräch. Life-Cycle-Assessment (LCA, Ökobilanz), Life-Cycle-Cost-Assessment (LCCA) und die verpflichtende europäische Umweltdeklaration (Environmental Product Declaration, EPD) für Baustoffe stellten quantifizierte umweltbezogene Informationen zur Verfügung und ermöglichten den Vergleich unterschiedlicher Produkte. Diese Entwicklung habe zu Verbesserungen in der Produktion geführt.
Auch Kreislaufwirtschaft und ein Umbau der Energieträger und -versorgung hätten begonnen, Gebäude-integrierte Photovoltaik sei am Markt angekommen. Auch raumplanerische und städtebauliche Aspekte würden in Wettbewerben bereits "mitgenommen". Hier hob Stieldorf etwa das Vorgehen bei der Ortsneugestaltung in Kirchberg am Wechsel, der Thayinsel in Karlstein (beide Orte sind in Niederösterreich) oder bei der Neunutzung des Otto Wagner Spitals als künftige Universität in Wien hervor.
"Diskurs. Das Wissenschaftsnetz" ist laut eigenen Angaben eine Initiative zum Transfer von wissenschaftlicher Evidenz engagierter Wissenschafterinnen und Wissenschafter in die Öffentlichkeit. Der Pressetermin fand in Zusammenarbeit mit Scientists for Future (S4F) statt. Diese sind laut Eigendefinition wiederum ein Zusammenschluss von Wissenschaftern, die sich für eine nachhaltige Zukunft stark machen.