"Neugier braucht kein Vorwissen"
Jasmin experimentiert am liebsten mit bunt gefärbtem Öl und Wasser in einer Plastikflasche. Weil sie dieses Experiment schon oft wiederholt hat, frage ich sie: "Was passiert, wenn wir noch Öl dazugeben und die Flasche schütteln?" - "Ich weiß es nicht. Probieren wir es aus?", schlägt sie begeistert vor. Zuerst bin ich von ihrer Antwort enttäuscht, aber dann wird mir klar: Jasmin weiß zwar noch nichts über Emulsionen, doch sie hat etwas viel Wichtigeres gelernt - sich eine Frage zu stellen und auf die Suche nach der Antwort zu machen.
Genau das wünsche ich mir von Wissenschaftsvermittlung in der Schule: Schülerinnen und Schüler zu einer fragenden und forschenden Auseinandersetzung mit der Welt anzuregen. Im besten Fall kann das nicht nur die eine oder den anderen motivieren, einen naturwissenschaftlichen oder technischen Beruf zu ergreifen, sondern alle SchülerInnen auf ein Leben als neugierige, selbstständige und mündige BürgerInnen vorbereiten.
Was zeichnet Menschen aus, die sich für eine Ausbildung in Naturwissenschaft oder Technik interessieren? Im Idealfall bringen sie Motivation und Interesse mit, haben eine Vorstellung von der Arbeit im gewählten Fachgebiet, sehen es als sinnhaft an, sind talentiert und verfügen über ein entsprechendes Grundwissen. Und welche dieser Voraussetzungen fördert der klassische Schulunterricht? Da steht zumeist das Erwerben von Grundwissen im Mittelpunkt, das Reproduzieren von bereits Erforschtem - wohl weder der spannendste, noch ein besonders motivierender Aspekt wissenschaftlicher Arbeit.
Denn eigentlich sucht und schafft Wissenschaft doch neue Erkenntnisse! Sie setzt dazu systematische und anerkannte Methoden ein, in der Naturwissenschaft vor allem Beobachtung und Analyse, Hypothese, Experiment und Interpretation. Dazu braucht es selbstverständlich Vorwissen - doch eben nicht, um neugierig zu werden, sondern um das Neue in den Kontext bisheriger Forschung oder aktueller Theorien zu stellen. Denn "wissenschaftlich" bedeutet nicht "wahr", wie uns gewisse Werbebotschaften und ein landläufiges Verständnis von Wissenschaft suggerieren wollen. Wissenschaft ist vielmehr ein spannender Prozess der Erkenntnisgewinnung, dessen Ergebnisse sich im Kontext bewähren müssen.
Kann analog zur Forschung auch in der Schule der Fokus vom WISSEN zum SCHAFFEN, vom Ergebnis zum Forschungsprozess wandern? Keine leichte Aufgabe für Lehrkräfte in einem Schulsystem, das auf überprüfbare Resultate setzt: Grundkenntnisse sind nun einmal leichter abzuprüfen, als Prozessverständnis. Außerdem entspricht die Einteilung des Wissens in voneinander abgegrenzte Schulfächer immer weniger der interdisziplinären und vernetzten Arbeitsweise der heutigen Forschungswelt. Lehrkräfte, die den Weg von der Wissensvermittlung zur WissenSCHAF(F)Tsvermittlung gehen wollen, sollten nicht nur bereit sein, die Grenzen der Unterrichtsfächer zu überschreiten, sondern auch, ihre Rolle als Wissende aufzubrechen. Letzteres kann eine große Herausforderung sein - aber auch eine enorme Entlastung: Wenn es vor allem darum geht, die SchülerInnen auf dem Weg ihrer eigenen Fragen und Antworten zu begleiten, dann müssen Lehrkräfte nicht mehr unbedingt sattelfest in allen Details sein, dann können sie sich auch ihren SchülerInnen als Lernende zeigen. Ich habe begründete Hoffnung, dass diese Haltung erlernbar ist: Eine Volksschullehrerin, die beim Anblick von Batterie und Kabeln sofort erschreckt abwehrte, verwandelte sich im Laufe unserer schulinternen Fortbildung in eine begeisterte Bastlerin, die mittels paralleler Schaltung ihr selbstgestecktes Ziel, Glühbirne und Ventilator zugleich anzutreiben, locker erreicht und dabei gleich noch einen Schalter eingebaut hat.
Was zeichnet erfolgreiche und gelungene Beispiele für Wissenschaftsvermittlung in der Schule aus? Zuallererst einmal gehen sie von Problemen aus, die für unsere Gesellschaft relevant sind - und zwar auch aus Sicht der SchülerInnen! Sie beginnen nicht mit dem Lernen der Grundlagen, sondern mit der Neugier. Sie zeigen Wissenschaft nicht als statischen Kanon, sondern als Methode, um Themen systematisch anzugehen und zu verstehen. Und sie vermitteln ein realistisches Bild der heutigen Forschungswelt, sei es indem WissenschaftlerInnen als Rollenvorbilder sichtbar werden oder wenn Schulen an laufenden Forschungsprozessen mitwirken. Kooperationen mit PartnerInnen aus der Wissenschaftskommunikation können für Schulen ebenfalls sehr lohnend sein. Vor allem Einrichtungen, die das interaktive und selbständige Lernen, die hands-on-Beschäftigung mit wissenschaftlichen Fragen in den Mittelpunkt stellen, vermitteln neben Inhalten auch die Haltung des forschenden Lernens - und das gleichermaßen für SchülerInnen und Lehrkräfte. Der Besuch eines außerschulischen Lernortes mit entsprechender Didaktik, zum Beispiel eines Science Centers, kann damit viel mehr sein als nur ein netter Ausflug: Er kann nachhaltig wirken, wenn der Lehrausgang inhaltlich und methodisch in den Unterricht eingebettet wird.
Im Zentrum aller wissenschaftlichen Prozesse stehen Fragen: Ich wünsche mir eine Schule, in der nicht nur Wissen abgefragt wird, sondern in der viele Fragen aus Neugier entstehen! Eine Schule, in der nicht nur "Warum?" und "Wie?" gefragt wird, sondern auch "Was passiert, wenn ...?", ohne dass jemand die Antwort kennt. Eine Schule, in der nicht nur Lehrkräfte Fragen stellen, sondern in der sich Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Fragen stellen und mit Freude am Erkenntnisprozess wachsen.
Was passiert, wenn Wissenschaft auf diese Weise im Schulsystem Einzug hält? Ich weiß es nicht, aber wir sollten es ausprobieren!