Erbgut von "lebendem Fossil" entschlüsselt
Das Erbgut der Schwarzhalsigen Kamelhalsfliege haben deutsche und österreichische Forscher erstmals vollständig entschlüsselt. Sie erhoffen sich von ihren im "Journal of Heredity" veröffentlichten Ergebnissen neue Einblicke in die Evolution dieser einst artenreichen "lebenden Fossilien". Den Einschlag eines Asteroiden vor 66 Millionen Jahren, der zum Aussterben der Dinosaurier führte, überlebten nur wenige Arten. Rund ein Dutzend davon kommt auch in Österreich vor.
Die Schwarzhalsige Kamelhalsfliege (Venustoraphidia nigricollis) wurde 2022 zum "Insekt des Jahres" gekürt. Sie gehört zur artenärmsten Ordnung von Insekten mit vollständiger Verwandlung, also mit einem Puppenstadium, die in Europa weit verbreitet ist. Selbst im Zentrum Wiens, am Maria-Theresien-Platz zwischen dem Kunst-und Naturhistorischen Museum, lebt eine Kolonie.
Räuberisches Insekt
Den größten Teil ihres Lebens, meist zwei oder mehr Jahre, verbringen Kamelhalsfliegen als Larven. Sie ernähren sich in dieser Zeit vor allem von Eiern und Larven anderer Insekten, etwa von Schadinsekten wie Apfelwickler und Borkenkäfer. Wenn sie im Frühsommer schlüpfen, stehen ebenfalls andere kleine, weichhäutige Insekten, besonders Blattläuse und Schildläuse, auf ihrem Speiseplan.
Namensgebend ist die auffällige Gestalt der tagaktiven, räuberischen, meist weniger als zwei Zentimeter großen Insekten: Sie besitzen ein stark verlängertes erstes Brustsegment und einen langen, flachen Kopf, die beide sehr beweglich und in die Höhe gerichtet sind.
Insektenart lebte bereits zu Zeiten der Dinosaurier
Für den Wiener Entomologen Horst Aspöck, Emeritus an der Medizinischen Universität Wien, sind Kamelhalsfliegen "lebende Fossilien", wie er im Gespräch mit der APA erklärte. Versteinerungen von zu Zeiten der Dinosaurier lebenden Vertretern dieser Insektenordnung seien kaum von rezenten Arten zu unterscheiden.
Heute leben rund 250 Arten, von denen Aspöck gemeinsam mit seiner Frau, der Entomologin Ulrike Aspöck vom Naturhistorischen Museum Wien (NHM), etwa zwei Drittel wissenschaftlich beschrieben hat. Es sei dies der "kärgliche Rest der im Mesozoikum (vor 252 bis 66 Mio. Jahren) sehr viel weiter verbreiteten und artenreicheren Kamelhalsfliegen. Die durch den Asteroideneinschlag vor 66 Mio. Jahren ausgelösten klimatischen Veränderungen überlebten allerdings nur jene Arten, die sich an kältere Temperaturen anpassen konnten.
Die beiden Entomologen haben nun gemeinsam mit Kollegen der deutschen Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung erstmals das Erbgut der Schwarzhalsigen Kamelhalsfliege entschlüsselt. "Die Ergebnisse erlauben nun, die stammesgeschichtliche Analyse der Kamelhalsfliegen unter deutlich verbesserten Rahmenbedingungen weiter zu erforschen", betonte Ulrike Aspöck. Sie würden auch zeigen, dass es zwischen unterschiedlichen Kamelhalsfliegenarten nach dem Asteroiden-Einschlag vermutlich noch zu genetischem Austausch gekommen ist.
Service: Internet: https://doi.org/10.1093/jhered/esad074