Auf dem Weg zum globalen Naturhistorischen Museum
Sammlungen von Naturkundemuseen werden immer wichtiger für politikrelevante Forschung und Entscheidungen etwa zu Artenschutz oder Klimawandel. Trotz ihres enormen Werts sind die darin enthaltenen Informationen aber weitgehend unzugänglich, schreiben Forscher und Museumsvertreter im Fachblatt "Science". Sie plädieren "für ein neues Zeitalter vernetzter Museen" und stellen die erste quantitative Erhebung in den weltgrößten Häusern vor, darunter das Naturhistorische Museum Wien.
Die naturkundlichen Sammlungen der Welt würden zunehmend genutzt, um Vorhersagen über den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt und Infektionskrankheiten zu treffen, betonen die Autoren um Kirk Johnson vom National Museum of Natural History der Smithonian Institution (USA) in dem "Science"-Betrag. Als konkretes Beispiel nennen sie die über 385 Millionen Datensätze, die vom Weltklimarat IPCC 2018 in einem Bericht genutzt wurden, um die Auswirkungen des Klimawandels auf Arten aufzuzeigen.
Wissenschaftliche Sammlungen für Politik & Co. nutzbarer machen
"Auch in Österreich bewahren, erschließen und öffnen wir unsere Sammlungen, damit sie zur Erforschung von Krankheiten, zum Verständnis von Ökosystemen oder zur Entwicklung nachhaltiger Materialien eingesetzt werden können", erklärte die Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), Katrin Vohland, gegenüber der APA. Die globale Initiative wolle die wissenschaftlichen Sammlungen von Naturkundemuseen und ihren Wert für Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sichtbarer und nutzbarer machen, so die NHM-Chefin.
Das NHM ist eines von 73 der weltweit größten naturkundlichen Museen und Herbarien aus 28 Ländern, die sich an einem "ersten Schritt zum Aufbau eines globalen Netzwerks" beteiligt haben, wie die Autoren die Initiative beschreiben. In diesem ersten Schritt konzipierten die Experten in Zusammenarbeit mit den Direktoren und leitenden Sammlungsmitarbeitern eine einfache und schnelle Erhebung der Bestände. Das Ergebnis: In den beteiligten Häusern befinden sich mehr als 1,1 Mrd. Objekte. Diese wurden dann 19 verschiedenen Sammlungstypen (z.B. Archäologie, Meteoriten, Gliederfüßer, Vögel, etc.) und 16 geografischen Regionen zugeordnet.
Für Co-Autorin Brigitta Schmid vom NHM ist die Verständigung auf einheitliche Begriffe für die Sammlungsarten "ein zentrales Element der Studie", dies erlaube einen Vergleich. In einem zweiten Schritt wurde dann die Zahl der Objekte in jeder dieser 304 Kategorien geschätzt. Das ermögliche den Museen nicht nur die Stärken ihrer Sammlungen im Vergleich zu anderen Häusern zu bestimmen, sondern auch Lücken zu orten. So stellten die Wissenschafter "auffällige Lücken in Bezug auf tropische und polare Regionen sowie marine Systeme" fest, aber auch bei den Insekten gebe es noch große Lücken, so Schmid.
Nur 16 Prozent digital erfasst
Zudem zeigte sich, dass die meisten Sammlungsinformationen nicht digital zugänglich sind: Nur 16 Prozent der Objekte haben digital erfasste Datensätze, und von nur 0,2 Prozent der biologischen Objekte gibt es zugängliche Genomdaten. Diese Dominanz "dunkler Daten" schränke die Nutzung der Sammlungen für breitere wissenschaftliche und politische Zwecke erheblich ein, betonen die Autoren und fordern die Museen daher auf, mit Initiativen zusammenzuarbeiten, die sich auf die Digitalisierung von Sammlungen konzentrieren, um ihre Inhalte besser zugänglich zu machen.
Die Studie machte auch das globale Ungleichgewicht zwischen den gut ausgestatteten Sammlungen des Globalen Nordens und den weniger ausgestatteten des Südens sichtbar. Nicht berücksichtigt wurden auch die Hunderten kleinerer Museen mit ihren Sammlungen und ihren Experten, die "aufgrund ihrer regionalen Bestände und der Besonderheit ihres Fachwissens besonders wertvoll" seien.
"Wissenschaftliche Sammlungen sind eine globale Forschungsinfrastruktur", betont Vohland. In diesem Sinne plädieren die Autoren für "ein neues Zeitalter vernetzter Museen, deren Ziel es ist, die Summe ihrer Teile durch strategische Nutzung bestehender Sammlungen und durchdachte Koordinierung künftiger Sammlungsbemühungen zu übertreffen".
(S E R V I C E - Internet: http://dx.doi.org/10.1126/science.adf6434)