Breite Zustimmung für eine Liste allen Lebens auf der Erde
Derzeit gibt es kein einheitliches Inventar des Lebens auf der Erde. Vielmehr existieren verschiedene Listen, etwa für bestimmte Pflanzen- oder Tiergruppen, die oft nicht übereinstimmen. Nun scheint der Boden bereit für eine einzige, anerkannte Liste aller auf der Erde lebenden Arten: Im Fachjournal "PNAS" berichtet die "Global Species List Working Group", der auch Forscher aus Österreich angehören, über eine überraschend große Zustimmung bei Experten für dieses Vorhaben.
Lebewesen werden in der Biologie systematisch erfasst und in ein hierarchisches System etwa nach Art, Gattung, Familie eingeordnet. Dieses Taxonomie genannte Teilgebiet der Biologie ist nicht nur für die Wissenschaft selbst wichtig. Man muss Arten eindeutig identifizieren können, um etwa ihren Gefährdungsstatus bzw. jenen ihrer Lebensräume zu erheben und sie zu schützen.
Unterschiedliche Methoden zur Artenbestimmung
Daher bemühen sich zahlreiche Projekte um eine vollständige Inventarliste verschiedener Pflanzen- oder Tiergruppen. Dazu zählen etwa das "World Register of Marine Species" (WoRMS) oder gleich vier verschiedene globale Vogellisten. Das Problem dabei ist, dass diese Listen oft nicht übereinstimmen, weil etwa unterschiedliche Methoden zur Bestimmung der Arten angewendet werden.
So habe die IUCN-Rote Liste bis vor kurzem nur eine afrikanische Elefantenart anerkannt, obwohl in der Taxonomie schon länger anerkannt war, dass es mit dem Savannenelefanten und dem Waldelefanten zwei Arten in Afrika gibt, erklärte der Kurator der Säugetiersammlung im Naturhistorischen Museum (NHM) Wien, Frank Zachos, der der "Global Species List Working Group" angehört, gegenüber der APA. Das könne zu Problemen führen, etwa wenn eine Art in einem Gesetzestext oder einem multilateralen Abkommen zum Artenschutz gar nicht genannt werde, weil unterschiedliche Listen verwendet werden.
Ein weiteres Beispiel ist der Streit um den Kalifornischen Mückenfänger. Eine an der kalifornischen Küste lebende Population dieses kleinen Vogels wird von manchen Taxonomen als eigene Unterart klassifiziert, von anderen nicht. Die Frage ist aber entscheidend, verlangt doch ein US-Gesetz bei bedrohten Unterarten den Schutz des Lebensraums. Der ist im Fall der Küstenpopulation des Vogels ein Multimilliarden-Dollar schweres Grundstücksgebiet in Kalifornien, wo es keine Baugenehmigung gäbe, wenn es sich tatsächlich um eine eigene, schutzwürdige Unterart handelt.
Ziel: Eine einzige Liste
Die "Global Species List Working Group" versucht daher seit einigen Jahren, dieses Problem zu lösen, indem sie ein Verwaltungssystem für existierende und künftige taxonomische Listen mit dem Ziel entwickelt, eine einzige anerkannte Liste des Lebens auf der Erde zu erstellen. 2017 wurde ein entsprechender Vorschlag noch heftig diskutiert. So sahen viele darin eine Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit.
Seither versucht die Arbeitsgruppe, die wissenschaftliche Gemeinschaft von dem Plan zu überzeugen, etwa mit dem Vorschlag von Prinzipien, wie man eine solche anerkannte Liste erstellen und verwalten könnte. "Wir haben nichts außer unserem guten Willen. Wir können ja niemanden etwas vorschreiben und brauchen die Legitimation der wissenschaftlichen Gemeinschaft selber", sagte Zachos.
Deshalb haben die Experten eine weltweite Umfrage unter mehr als 1.100 Taxonomen, in anderen Bereichen arbeitenden Biologen sowie Nutzern taxonomischer Listen durchgeführt und eine ihrer Meinung nach "überraschende und weit verbreitete Unterstützung" rückgemeldet bekommen. "Knapp 80 Prozent der Befragten finden, dass eine einheitliche Liste von großem Nutzen wäre, der Rest war neutral, nur wenige reagierten ablehnend", so Zachos.
Aufbauend auf dieser Unterstützung führt die Arbeitsgruppe nun in Kooperation mit dem "Catalogue of Life" (COL) Pilotprojekte zur objektiven Bewertung von Listen bestimmter Pflanzen- und Tiergruppen durch. Die Anfang der 1990er Jahre gestartete Initiative COL hat mehr als 160 solcher Listen versammelt, löste bisher allerdings noch nicht das Problem konkurrierender Verzeichnisse. Aber auch einzelne Bereiche werden bereits aktiv. Zachos verweist etwa auf die Ornithologen, die daran arbeiten würden, wie sie aus den derzeit vier existierenden globalen Listen über Vogelarten eine einzige machen können.
Nun gehe es darum, "die Governance für eine solche Liste zu gestalten, um dieser maximale Autorität und breite Legitimation zu verschaffen, ohne ein Druckmittel zu haben". Das Ergebnis dieser Arbeit könnte die erste breit anerkannte, einheitliche Liste des gesamten Lebens auf der Erde sein.
Service: Internet - PNAS-Publikation: https://doi.org/10.1073/pnas.2306899120; "Catalogue of Life": https://www.catalogueoflife.org/