Von Beruf Lehrer/in
Österreichs Lehrerinnen und Lehrer sind mit ihrem Job und Arbeitsplatz überdurchschnittlich zufrieden, fühlen sich allerdings im internationalen Vergleich am wenigsten unterstützt. Was die im Juli veröffentlichte OECD-Lehrerstudie TALIS im Großen ergeben hat, stimmt im Wesentlichen auch im Kleinen. APA-Science hat einige Lehrkräfte quer durch Schultypen und Regionen genauer befragt, wie es ihnen im Alltag wirklich geht. Zusammenfassendes Urteil über ihren Job: "Schön, aber anstrengend."
Eine Stimmungslage, die sich aus insgesamt acht Interviews und vier Gastkommentaren ableitet, soll und kann natürlich kein repräsentatives Bild über die Lehrerschaft der Alpenrepublik ergeben. Doch die ganz persönlichen Einblicke in einige Klassenzimmer von Amstetten über Stockerau bis Wien wissen durchaus zu überraschen. Abgerundet - und aufgelockert - wird die Gemengelage zum Beispiel durch die Erinnerungen des ehemaligen (oder dauerhaften) Lehrerkindes Emilie Brandl ("'Kann ich bitte die Emilie sprechen, Herr Fessa?', oder wie es ist, ein Lehrerkind (38) zu sein") oder den Gastkommentar des Kabarettisten und HAK-Lehrers Andreas Ferner ("Warum ich trotzdem gerne Lehrer bin").
Manfred Prenzel vom Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität Wien leitet Erkenntnisse aus aktuellen Bildungsstudien ab ("Lehrerinnen und Lehrer in Österreich: Was zeichnet sie aus? Was fordert sie heraus?") und Eva Haubner von der Industriellenvereinigung (IV) weist politische Entscheidungsträger auf das IV-Pädagogenleitbild hin, "das nur genommen und umgesetzt werden muss".
Wichtig ist auch anzumerken, dass nicht alle angefragten Interviews genehmigt wurden. So wurde einer Grazer Volksschuldirektorin nach einer entsprechenden Anfrage von APA-Science von der Kommunikationsabteilung der Bildungsdirektion Steiermark ein Interview schlicht untersagt - ohne Begründung. Und so manche kritische Äußerung über das Schulsystem haben wir zum Schutz der Lehrperson vor möglichen negativen Auswirkungen einvernehmlich weggelassen.
Mangelnde Unterstützung
Ein zentraler Befund der TALIS-Lehrerstudie (Teaching and Learning International Survey; Details dazu im nebenstehenden Überblick und auch im Gastkommentar von Manfred Prenzel), nämlich dass sich die Lehrerinnen und Lehrer mehr Unterstützung wünschen, zielt auf die überbordenden administrativen und anderen Nebentätigkeiten ab. Das kann Eva Wokatsch, die an einem BORG im ersten Bezirk in Wien unterrichtet, nur bestätigen: "Die Bürokratie ist mittlerweile ein Wahnsinn, das killt wirklich sehr viel Unterrichtszeit."
Andreas Ferner ist es ein ganz konkretes Anliegen, das Unterstützungspersonal an den Schulen auszubauen, "also Sekretäre, Sozialarbeiter, Psychologen, die all das abdecken, was nicht direkt mit dem Unterrichten zu tun hat. (...) Würde man da etwas tun, könnten wir Lehrer uns auch wieder mehr auf unsere eigene Aufgabe konzentrieren: das Unterrichten."
Keine homogenen Gruppen mehr
Was die Schüler betrifft, merken die befragten Pädagogen oft an, dass es keine homogenen Gruppen mehr gebe. "Die Einschätzungen der TALIS-Befragungen spiegeln die durch empirische Studien seit einiger Zeit beschriebene Schullandschaft wider: diese ist durch eine beträchtliche Heterogenität der Lernvoraussetzungen in den Schulklassen geprägt", so Prenzel.
Dem kann I-Hsien Chen, Begleitlehrer an der VS Am Hundsturm im fünften Wiener Gemeindebezirk, nur zustimmen: "Der Gap zwischen den willigsten und unwilligsten Kindern ist riesig - zwischen den schnellen und den langsamen, den gut vorbereiteten und den katastrophal vorbereiteten." Deshalb müsse man den Unterricht sehr flexibel gestalten. "Es geht gar nicht darum, ob die Kinder gescheit sind oder nicht, sondern darum, ob sich jemand kümmert, wie die Kinder vom Elternhaus her gefördert werden. Das ist eine enorme soziale Frage."
Zudem, und auch das zieht sich durch viele Interviews, sei die Lernbereitschaft und Motivation der Schüler deutlich gesunken. "Freizeit und alles andere ist wichtiger. Sie wissen teilweise nicht mehr, dass Bildung wichtig und grundlegend ist, sie machen das halt irgendwie", merkt Eva Lindenhofer, die an der Privaten Neuen Mittelschule (PNMS) Amstetten unterrichtet, an.
Migration und Deutsch
Prenzel ortet teils "beträchtliche Unterschiede (...) in den sozioökonomischen und soziokulturellen Lagen der Elternhäuser, in Familienstrukturen und in der jeweiligen Herkunfts- und Migrationsgeschichte". Ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund geht fast immer mit mangelnden Deutschkenntnissen einher, wie etwa Simone Peschek berichtet, die an der Neuen Mittelschule Enkplatz in Wien Simmering unterrichtet. "Die Deutschkenntnisse sind etwas, das ich vorher nicht gut einschätzen konnte. Ich habe unterschätzt, wie groß dieses Thema sein wird."
In ihrer eigenen Klasse gebe es nur sieben Kinder, die Deutsch als Muttersprache hätten, und davon wiederum nur drei, von denen beide Elternteile einen österreichischen Hintergrund hätten. Umso wichtiger sei dann spezielle Förderung, individuell im Klassenverband, aber auch konkret in Deutschförderkursen und Förderstunden - und genau daran mangle es aber. Den Begriff "Brennpunktschule" lehnt die Mitgründerin der Plattform "Schulgschichtn" dennoch aus Überzeugung ab.
Erziehungs-Helikopter
Schwieriger ist durchwegs auch der Umgang mit den Eltern geworden. Diese sind auf der positiven Seite zwar oft interessierter am Vorankommen der Sprösslinge, im Negativen artet das aber in Richtung "Helikopter-Eltern" aus, was sich speziell bei Kindern aus behütetem Haus zeige, wie Robert Parma, Direktor der AHS Wien West, moniert: "Die Eltern glauben, dass ihr Kind das einzige ist, das wir hier unterrichten, und können nicht begreifen, dass in einer Klasse 25 Kinder sitzen. Oder dass der Skikurs nicht nur auf ihr Kind ausgerichtet ist."
Die Grenzen zwischen schulischem Alltag und erzieherischen Aufgaben verschwimmt zusehends, wie Pia Harmer, Chemieprofessorin am BG Stockerau, anmerkt: "Unsere Rolle wird immer breiter. Immer mehr Schüler brauchen eine persönliche Betreuung, weil zum Beispiel die Eltern vermehrt berufstätig sind. Vor allem die Kleinen brauchen diese persönliche Betreuung. Wir sind nicht mehr nur Wissensvermittler."
Könnten die befragten Lehrerinnen und Lehrer die Bildungspolitik selbst mitgestalten, kommen unterschiedliche Anliegen zum Vorschein. Da wird zum Beispiel der Wunsch nach den Leistungsgruppen wieder laut oder die Schulautonomie kritisch beäugt (Eva Lindenhofer), ein durchdachteres Konzept für die Deutschförderung sowie mehr Frühförderung gefordert (Peschek) oder ein Appell nach genügend Freiheit im Curriculum geäußert (Dieter Annerl).
Emotionale Highlights
Die zahlreichen Herausforderungen im Schulalltag verlangen den Pädagoginnen und Pädagoginnen zwar oft alles ab. Im Kern ist aber bei vielen das erhalten geblieben, was sie eigentlich zu diesem Beruf motiviert hat: die Freude an der Arbeit mit Kindern, der Wille, sie in ihrer Entwicklung zu begleiten und das Rüstzeug für die nächste Schule, die Uni oder den Beruf mitzugeben. Für Dieter Annerl, der mit 40 vom Journalismus an ein Wiener Gymnasium gewechselt ist, war eines der "absoluten Highlights" und auch einer der emotionalsten Momente bisher, seine Schüler von der dritten Klasse weg sechs Jahre lang zu begleiten und dann mit der Matura zu verabschieden.
Eine Entwicklung mitzuverfolgen, besonders wenn sie unter schwierigen Bedingungen gelingt, ist auch für Simone Peschek immer ein schulischer Höhepunkt. Als Beispiel für das freudige Erlebnis, wenn Kinder "etwas schaffen, das sie vorher nicht geschafft haben", nennt sie ein Mädchen, das vor zwei Jahren nach Österreich und wegen mangelnder Deutschkenntnisse an die NMS gekommen war. Das Mädchen konnte schließlich erfolgreich ans Gymnasium wechseln und will nun sein Ziel verfolgen, Ärztin zu werden.
Lehrer, die sich für ihren Beruf und die Schüler ins Zeug legen, können dann auch für die eigene Lehrerkarriere prägend sein, wie es Peschek formuliert: "Ich wollte versuchen, auch so eine Lehrerin zu sein, die einen Unterschied machen kann."