Was Forscherinnen ausbremst
Seit Jahrhunderten haben Männer dem Wissenschaftsbetrieb ihren Stempel aufgedrückt. Einzelne Pionierinnen wie Marie Curie oder Hedy Lamarr setzten sich gegen alle Widerstände durch. Heute besitzen alle Frauen das Recht, ihren Beitrag in der Welt der Wissenschaft zu leisten. Doch der Frauenanteil in Forschung & Entwicklung, und speziell in höheren Positionen, ist in Österreich seit Jahren niedrig und steigt nur langsam. Erfolgsbeispiele gibt es trotzdem: Nämlich dort, wo ein klarer politischer Wille auf das Bekenntnis der Führungsverantwortlichen trifft, gepaart mit konsequent verfolgten Strategien - und einer Portion Selbstreflexion auf allen Seiten.
Forschung und Wissenschaft bestimmen, wohin sich eine Gesellschaft entwickelt. Die aktive Teilhabe daran durch beide Geschlechter ist notwendig, wenn wir zum Wohle aller vorankommen wollen. Es sind nicht nur die unterschiedlichen Blickwinkel auf Forschungsgebiete und die Gewichtung von Themen, die neue Perspektiven eröffnen und in einer diversen Welt nur von Vorteil sein können. Gemischte Teams sind erfolgreicher, ist etwa Österreichs erste Professorin für Gendermedizin und Wissenschafterin des Jahres 2016, Andrea Kautzky-Willer, überzeugt (siehe "Kautzky-Willer: "Ohne gesetzliche Vorgaben wäre nichts passiert"). Gesetze zur Gleichstellung sind wichtig, sagt sie und plädiert für Transparenz und jährliche Berichte, "allein schon dafür, dass Gleichstellungsmaßnahmen als normal empfunden werden", so die Wissenschafterin.
In der Medizin wurden Männer lange Zeit als Maßstab für den menschlichen Körper genommen. Dass auch Frauen Herzinfarkte ereilen und Männer an Osteoporose leiden können, ist relativ junges Wissen. Der neue Forschungszweig "Gendered Innovation" will hier den Blickwinkel signifikant erweitern und vor der Entwicklung festgefahrener Vorstellungen über bestimmte Sachverhalte schützen (siehe "'Gendered Innovation' - Neue Chancen durch erweiterte Perspektive") - Genderfragen sollen als eine Ressource im Forschungsprozess verstanden werden.
F&E findet mehrheitlich in Unternehmen statt
Gut zwei Drittel aller Forscher und Forscherinnen arbeiten in Österreich in Unternehmen. Der Frauenanteil stagniert dort seit Jahren bei 15,7 Prozent. Dass sich die Industrie, die besonders laut über den angeblichen "Frauenmangel" klagt, so schwertut, attraktiv für Forscherinnen zu sein, könnte am anhaltend schlechten Image der Branche (siehe "Industrie hinkt bei Forscherinnen-Anteil noch weit hinterher") liegen. Wahr oder nicht: Dass man als Industrieforscherin einen raueren Umgangston und starkes Leistungsdenken aushalten muss, besser auf Ellbogentaktik statt Teamwork setzt und die mehrheitlich männlichen Kollegen das Arbeitsklima nicht immer zum Besseren beeinflussen, dieses Bild hält sich hartnäckig.
Wenn Unternehmen zu wenige Bewerbungsschreiben von weiblichen Forschern erhalten, so kann das auch an der Ausschreibung liegen. Qualifizierte Frauen bewerben sich selten, wenn sie nicht alle verlangten Fähigkeiten zu hundert Prozent erfüllen. Man kann mit der Formulierung und Bildsprache einer Anzeige also bereits vorselektieren, wer sich bewerben wird. In Institutionen wie dem AIT - Austrian Institute of Technology hat das Wissen um diese Mechanismen bereits zu einem Umdenken im Rekrutierungsprozess und mehr Bewerbungen geführt, und auch im VRVis - Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung machen sich systematische Umstellungen und mehr Transparenz im Personalauswahl-Prozess positiv bemerkbar.
Eine "softere" Alternative zur Industrie ist für so manche Forscherin da offenbar der universitäre Bereich, wo der Frauenanteil bei 43,2 Prozent liegt. Hier und im außeruniversitären Bereich ist ein leichter Aufwärtstrend bemerkbar - nicht zuletzt durch den Druck der Eigentümer bzw. Vorgaben wie dem Universitätsgesetz. In diesem Bereich zeigt sich auch, dass ernsthafte Bemühungen um einen Wandel Früchte tragen: So stellen Einrichtungen wie die COMET-Zentren seit einigen Jahren überdurchschnittlich viele Jungforscherinnen ein (siehe "Frauen in außeruniversitärer Forschung im Kommen").
Leaky Pipeline auch an der Uni
Durchaus sichtbare Verbesserungen haben die an den Unis vorgeschriebenen Frauenförderungs- und Gleichstellungspläne gebracht. So hat sich seit 2000 der Frauenanteil an Professorenstellen in Österreich von sechs auf 22 Prozent erhöht. Nicht aber an den technischen Universitäten Österreichs, wo weibliche Studierende inzwischen ein Drittel der Studienanfänger stellen. Dort dümpelt der Anteil der Professorinnen bei zehn Prozent vor sich hin. Wie man die Leaky Pipeline - wie bei einer lecken Pipeline "versickern" Frauen, je höher die Hierarchie-Ebene - repariert, hat sich die Technische Universität (TU) Wien überlegt. Mit Frauenprofessuren, Forschungsfreisemestern und einem eindringlichen Top-Down-Commitment hat sie wirkungsvolle Instrumente gegen (unbewusste) Vorurteile für sich entdeckt ("Kann nur ein Mann? Wie man Vorurteilen das Wasser abgräbt"). Einen zukunftsweisenden Weg schlägt auch die Wirtschaftsuniversität mit neuen Kriterien für Besetzungen im wissenschaftlichen Bereich ein. Das zeitgemäße Konzept berücksichtigt alternative Lebensmodelle und bewertet neben dem Forschungsoutput auch die Qualität der Lehre oder das Engagement in der Universitätsentwicklung.
Gender Bias, also Vorurteile gegenüber Frauen, ortet auch Julia Budka, Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der LMU München, in ihrem Gastkommentar (siehe "Lara Croft vs. Indiana Jones. Oder: Zur Chancengleichheit in archäologischen Wissenschaften"). So müssten sie erst "beweisen", dass sie in der archäologischen Feldarbeit gleich gut wie männliche Kollegen sind, während Männer von vornherein für diese Arbeiten herangezogen würden.
Dass Frauen per se weniger Interesse an naturwissenschaftlichen oder technischen Studien haben, kann so nicht stimmen, gibt Ruth Breu, Leiterin des Instituts für Informatik der Universität Innsbruck und ehemalige Chefin eines Laura-Bassi-Zentrums, zu bedenken und verweist in ihrem Gastkommentar auf den Frauenanteil islamischer Länder in den Ingenieurwissenschaften von bis zu 70 Prozent (siehe "Der Quotenfrau bin ich noch nicht begegnet"). Auch sie hält gesetzliche Vorgaben, darüber hinaus aber Vorbilder und Role Models für wichtig, um junge Frauen zu einer einschlägigen Berufswahl zu inspirieren.
Präsenz zeigen
Einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarmachung von Forscherinnen hat das Netzwerk FEMtech geleistet. Bei seiner Gründung 2003 lag Österreich beim Anteil von Frauen in der Forschung im Europavergleich unter den Schlusslichtern (siehe "FEMtech: Kampf für Chancengleichheit noch nicht gewonnen") Seither gibt es wohl Fortschritte, aber immer noch viel Luft nach oben, betont Silvia Neumann, die im Infrastrukturministerium (BMVIT) für die Initiative zuständig ist. Während der Staat wohl bei Universitäten und geförderten Forschungseinrichtungen Gleichstellungsmaßnahmen einfordern kann, ist die Einflussnahme auf den privaten Unternehmenssektor schwierig. Ein erster Schritt könnte die bis Ende 2018 umzusetzende Frauenquote von 35 Prozent für die Aufsichtsräte staatsnaher Betriebe sein, meint Karin Neuwirth, stellvertretende Institutsvorständin am Institut für Legal Gender Studies an der Johannes Kepler Universität Linz. Quoten seien wirksam und offensichtlich notwendig, und beides führe nicht zu Qualitätsverlust, sondern zu neuen Perspektiven. (siehe "Notwendige Förderung oder unzulässige Privilegierung?").
Einen spannenden historischen Überblick über Wissenschafterinnen in Österreich liefert Brigitta Keintzel, Senior Research Fellow im Elise-Richter-Programm des Wissenschaftsfonds FWF am Institut für Philosophie der Uni Wien in ihrem Gastkommentar (siehe "Wissenschafterinnen gestern und heute: Barrieren und Chancen"). Der Erfolg der ersten Generation an weiblichen Forscherinnen und ihre erstaunliche wissenschaftliche Innovativität sei nicht selten darauf zurückzuführen, dass diese Frauen eingewoben in sozialen Netzwerken waren, innerhalb derer es ihnen weder an Austausch noch an aktiver Beteiligung an Debatten gefehlt habe, so Keintzel.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science