Hallstätter Umweltgeschichte gibt Einblicke in vergangene Lebensumstände
Das prähistorische Salzbergwerk in Hallstatt ist einer der herausragenden archäologischen Fundorte in Europa, da die konservierenden Eigenschaften des Salzes organisches Material weitgehend vor dem Zerfall bewahren. Doch auch dort setzen Forscher auf Methoden abseits der klassischen Archäologie, um mehr über die Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte und vergangene Lebensumstände zu erfahren. Dabei gelangen sie zu durchaus überraschenden Einsichten.
Trotz der zunehmenden Verschränkung mit Forschungsmethoden mit naturwissenschaftlichem Hintergrund pocht auch Kerstin Kowarik von der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) darauf, dass die Archäologie immer die Gesellschaft im Auge behalten müsse. Informationen über vergangene Lebensumstände fände man zwar noch immer vorrangig in materiellen Hinterlassenschaften dieser Menschen, jedoch lässt es der technische Fortschritt in der Forschungsmethodik auch zu, auf verschiedenen Wegen Daten zu gewinnen, die solche Funde nicht liefern können.
1 + 1 = 3?
Die Verbindung klassischer und moderner Analysemethoden biete jedenfalls ungeheure Chancen. Es gelte: "Je enger die Kooperation und Diskussion mit den Forschungspartnern ist, desto mehr kommt dabei heraus. Wenn das funktioniert, dann ist eins plus eins wirklich drei", so Kowarik. Um soweit zu kommen, brauche es aber viel gegenseitiges Verständnis und eine Begegnungskultur auf Augenhöhe.
Eine große Gefahr bestehe allerdings darin, "sich ein wenig in der Begeisterung für die technischen Möglichkeiten zu verlieren und gleichzeitig darauf zu vergessen, dass man sich eigentlich mit dem menschlichen Gesellschaftssystem befasst".
Kowarik ortet in der Archäologie insgesamt eine gewisse Scheu davor, Aussagen darüber zu machen, wie sich Hierarchien, Entscheidungsprozesse oder Dynamiken in Gruppen möglicherweise entwickelt haben. "In diese Richtung hätte die Archäologie aber sicher noch ein großes Potenzial", zeigt sich die Forscherin überzeugt.
Forschungsdaten aus See, Moor und Holz
Auch in Hallstatt, wo das NHM mit Unterstützung der Salzwelten und der Salinen Austria AG seit vielen Jahren forscht, zapfen die Wissenschafter neue Datenquellen an. Ziel ist es, die Interaktion zwischen dem Menschen und seiner Umgebung besser zu verstehen und Wissenslücken zu schließen. Antworten auf einige dieser Fragen könnten beispielsweise am Grund des Hallstätter Sees zu finden sein.
So nahmen die Forscher bereits 2012 gemeinsam mit dem Deutschen GeoForschungszentrum Proben des Seeschlamms. In den abgesetzten Sedimenten sind Informationen über damalige Begebenheiten enthalten. Aktuell wird zudem in Kooperation mit Forschern der Universität Bern die schlammige Zusammensetzung des Seegrundes mit reflektionsseismischen Methoden genau vermessen. Aber auch in der Umgebung von Hallstatt werden aus Mooren Proben entnommen, mit denen sich analysieren lässt, welche Pollen früher in der Region durch die Luft schwebten. Und nicht zuletzt kann auch das Holz, das für die Werkzeuge im Bergwerk verwendet wurde, selbst nach Jahrtausenden noch etwas über seine Herkunft und somit über alte Handelsbeziehungen erzählen.
Aus den reflektionsseismischen Daten vom Seegrund lassen sich etwa Rückschlüsse auf vergangene Erdrutsche, Bergstürze oder über Erdbeben ziehen. Die Rückstände in den Sediment-Proben wiederum geben Aufschluss über die damalige Vegetation oder vergangene Hochwasser. Kennt man solche Ereignisse und die jeweiligen Klima- und Umweltbedingungen zu bestimmten Zeitpunkten, könnte man etwa Veränderungen in den materiellen Hinterlassenschaften, die es in Hallstatt immer wieder gibt, besser verstehen.
Tief verborgene Informationen
Bei der Analyse der Seesedimente habe sich gezeigt, dass, obwohl die Proben bis in eine Tiefe von acht Metern in den Seeschlamm hinein entnommen wurden, die Ablagerungen nur bis etwa 300 bis 350 nach Christus und damit nicht bis in die Hallstatt- oder gar die Bronzezeit zurückreichten. "Da sind wir also noch knapp in der römischen Zeit", so Kowarik. Der Grund liegt darin, dass sich im Hallstätter See weit mehr Sedimente abgelagert haben, als ursprünglich vermutet. In zukünftigen Bohrungen möchte man dann tatsächlich bis in die Bronzezeit kommen.
Aus den aktuellen Bohrkernen lasse sich aber auf eine starke Veränderung der Seeumgebung um das 12. bis 14. Jahrhundert n. Chr. schließen. Die jährlichen Ablagerungen nahmen von da an merklich zu und auch die Zusammensetzung der Pollen veränderte sich. "Es gibt starke Eingriffe in den Wald. Die Baumpollen reduzieren sich, man findet weit mehr Getreidepollen und auch solche von anderen Kulturpflanzen. Der Mensch greift also viel stärker in die Kulturlandschaft ein als vorher", so Kowarik.
Neue Hinweise auf Salzabbau im Mittelalter
Die Annahme, dass das mit dem Beginn des mittelalterlichen Salzabbaus zusammenhänge, liege nahe. Dass dort im Mittelalter wieder abgebaut wurde, wusste man zwar, allerdings gab es keine Hinweise auf den Beginn. Kowarik: "Es ist für uns ganz spannend, dass wir hier den mittelalterlichen Bergbau möglicherweise tatsächlich fassen könnten." Das schürt die Hoffnung, auch in früheren Epochen große Veränderungen in der Dimension des Salzabbaus erkennen zu können.
Füllt der Seegrund historische Lücken?
"Wir haben nämlich eine bronzezeitliche Bergbauphase. Wir haben eine in der älteren Eisenzeit, doch dazwischen gibt es Lücken, danach gibt es Lücken und man weiß auch nicht genau, was in der römischen Zeit los war." Gerade die Hallstätter Römerzeit ist mit vielen Fragezeichen behaftet, da es zwar den Nachweis für eine größere römische Siedlung und ein Gräberfeld gebe, aber keinen Nachweis für Bergbau. Es gebe allerdings aus heutiger Sicht keine sonstigen Gründe für die Römer, sich dort anzusiedeln, meint die Forscherin. Ob die Informationen vom Seegrund diese Lücken auffüllen können, sei eine sehr spannende Frage.
Auf der anderen Seite wollen die Wissenschafter mit Sedimentproben klären, was die Menschen in Zeiten des umfangreichen bronzezeitlichen Abbaus dort taten. Ob es etwa große Rodungen der Wälder oder intensiven Anbau von Feldfrüchten gab, könnte zeigen, wie sehr der stark exportorientierte Standort von Güterimporten abhängig war.
Bergleute verschmähten scheinbar Holz aus der Umgebung
Einer anverwandten Frage, nämlich, ob das Holz, das für die zahlreich gefundenen Werkzeuge der prähistorischen Bergleute verwendet wurde, aus der unmittelbaren Umgebung kam, gehen die Archäologen in Kooperation mit der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) nach. Aufgrund von Analysen der Strontium-Isotope, die das Holz im Wachstum aufgenommen hat, können Wissenschafter heute darauf schließen, wo der Baum einst gestanden haben kann.
Die Tatsache, dass in Hallstatt in der Bronzezeit in größeren Mengen Eichenholz verwendet wurde, Eichen aber weder jetzt noch damals dort wuchsen, lässt die Wissenschafter rätseln. "In allen anderen prähistorischen Bergbaubetrieben, die man kennt, geht man davon aus, dass Holz aus der Umgebung verwendet wurde", erklärt Kowarik. Ob die Importe aus dem Alpenvorland im Norden oder über den Alpenhauptkamm hinweg, etwa aus dem Klagenfurter Becken im Süden kamen, soll sich in den Analysen klären.
Warum der Betrieb auf importiertes Holz gesetzt hat, sei vor dem Hintergrund regional verfügbarer Buchenhölzer mit ähnlichen Eigenschaften unklar. "Die Antwort kann man wirklich nur in sozialen oder Wirtschaftsverbindungen - also in menschlichen Verbindungen suchen", so Kowarik, die damit erneut hervorstreicht, dass auf fast alle Antworten in der Archäologie weitere Fragen folgen - neue Methoden hin oder her.