Vom Fundort zur Kulturlandschaft - Archäologie stellt Fokus neu ein
"Die Archäologie entwickelt sich derzeit eigentlich von einzelnen Fundstellen oder Spots weg zu richtig großräumigen Erkundungen. Das gelang unseren Vorgängern nicht. Uns gelingt es durch den Einsatz neuer Technologien", so die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), Sabine Ladstätter, im Gespräch mit APA-Science. Vor dieser Entwicklung sei nun das gesamte Forschungsfeld "im Aufbrechen". Die heimische Szene sei zwar "am Puls der Zeit", die Rahmenbedingungen würden das aber nicht unbedingt widerspiegeln.
Anhand der seit 1895 bestehenden österreichischen Grabung in Ephesos, die Ladstätter seit 2007 leitet, seien die neuen Entwicklungen gut abzulesen: "Dort hat man sich mit traditionellen Methoden fast 120 Jahre auf das Stadtzentrum konzentriert", so die Forscherin. Nun wandere der Blick zunehmend in Richtung großräumige Betrachtung. Die Forscher versuchen nun das gesamte Stadtgebiet inklusive der umliegenden Landschaft zu betrachten. So setzen die Wissenschafter Schritt um Schritt in Richtung Gesamtanalyse der früheren Kulturlandschaft.
Mehr als "Summe von Monumenten und Einzelstücken"
"Eine antike Stadt ist nicht die Summe von Monumenten und Einzelstücken, sondern es ist ein Gefüge und das kann ich durch die Ausweitung der Methoden viel, viel besser betrachten", so die Wissenschafterin des Jahres 2011. Mit Prospektionsmethoden kann auf viel größeren Flächen nach Hinweisen auf frühere Begebenheiten geschlossen werden. Dazu kommt der zunehmende Zusammenschluss mit den Naturwissenschaften. Hinter den Schlagworten Geo- und Bioarchäologie verbirgt sich die Praxis, Informationen über die Geschichte der Vegetation, der Tierwelt, der Landschaft oder zusammengefasst, der sich über die Zeiten hinweg verändernden Umweltbedingungen insgesamt, zu sammeln. So komme man dem Anspruch näher, die Art der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt zunehmend zu verstehen, erklärte Ladstätter.
In ihrer Funktion als Grabungsleiterin beschäftige sie sich mittlerweile "zu ungefähr 50 Prozent mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen". Doch bei aller Hinwendung zum Datengewinn mit neuen Technologien gehe es im Endeffekt vor allem darum, sich vor Augen zu halten, "dass das Endergebnis ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Menschen sein soll. Alles andere sind Komplementärwissenschaften bzw. -methoden, die man zwar anwendet, die man aber nicht per se verwendet, weil es gerade in oder hip ist. Der Sucus sollte immer die Kulturgeschichte und damit etwas Geisteswissenschaftliches sein."
Datensammeln alleine macht noch keinen Archäologen
Arbeitet man als Archäologe mit modernen Methoden, dürfe man nicht im Stadium der Analyse stehen bleiben. Denn erst bei der Interpretation setze die eigentliche archäologische Arbeit ein. Der Forscher müsse sich dann fragen: "Was sagt das eigentlich über den Menschen oder das menschliche Dasein aus?" Um die richtigen Informationen zu den erarbeiteten kulturhistorischen Hypothesen zu erhalten, erfordere es großes Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Methoden. "Ich glaube, das ist die intellektuelle Herausforderung, der wir uns derzeit stellen", so Ladstätter.
Innerhalb der Archäologie sei auch so etwas wie ein Auseinanderdriften von Forschern, die sich naturwissenschaftlich geprägten Methoden sehr stark zuwenden und solchen, die eher in traditionelleren Herangehensweisen verhaftet bleiben, zu beobachten. Die Disziplin sei zwar immer schon stark unterteilt gewesen, allerdings handelte es sich in der Vergangenheit eher um chronologische oder regionale Unterteilungen, d. h. Forscher wandten sich oftmals fast exklusiv bestimmten Epochen oder Regionen zu. Aktuell sei bereits eine Art "Methodenteilung" zu beobachten. Ladstätter betonte jedoch: "Das eine braucht aber auch das andere."
Heimische Szene vor großen Herausforderungen
Die Situation der österreichischen Archäologie stelle sich momentan eher schwierig dar: Museumsarchäologen würden etwa zunehmend weniger Ressourcen für die Forschung aufwenden können, da sie immer stärker museumspädagogisch engagiert seien. "Dann ist das Bundesdenkmalamt weggebrochen, das ja früher auch forschend tätig war, sich jetzt aber auf die Amtsführung zurückzieht und die Grabungstätigkeit an private Grabungsfirmen auslagert." Diese Firmen würden zwar hervorragende Arbeit leisten, die Bestände würden aber oft nicht analysiert. "Dort haben wir jetzt volle Depots, aber niemand wertet das aus", so die Wissenschafterin. Neben dem ÖAI bestünden mit der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) noch "zwei Festkörper in der archäologischen Landschaft, wo langfristige Grundlagenforschung passieren kann".
Der universitäre Sektor habe sich in der Vergangenheit klug verhalten, indem sich etwa die Universitäten Innsbruck und Graz in ihrer Forschungsarbeit auch stark auf die Region konzentrierten. Es sei jedoch zu beobachten, dass die Methodenentwicklung und -anwendung an den Unis ein wenig hinterherhinke. Ladstätter: "Die Ausbildung ist traditioneller als das Anforderungsprofil, das wir dann an unsere jungen Archäologen stellen". Das liege auch daran, dass sich der Bereich eben extrem schnell weiterentwickelt habe und die universitäre Ausbildung hier nicht Schritt halten konnte.
"Am Puls" trotz ungünstiger Rahmenbedingungen
Die österreichische Szene sieht die ÖAI-Direktorin insgesamt aber "durchaus am Puls der Zeit". Im Hinblick auf die nicht optimalen Rahmenbedingungen gelte es jetzt vor allem, internationale Standards zu halten. Den in den vergangenen Jahren auf die gesamte Forschungslandschaft wirkende Druck in Richtung Darstellung von sogenannten "Alleinstellungsmerkmalen" sieht Ladstätter mit Blick auf ihr Fach sehr skeptisch. Diese Form der "Abgrenzungspolitik, die wir betreiben mussten", habe gerade relativ kleinen Wissenschaftsdisziplinen wie der Archäologie geschadet.
"Hier ist es viel wichtiger, Synergien zu finden und eine Überschneidung auch als Chance wahrzunehmen. Sonst läuft man tatsächlich Gefahr, international das Nachsehen zu haben. Wenn wir uns alle nur mehr voneinander abgrenzen, damit man ja nicht auf die Idee kommt, uns zusammenzulegen, dann wird jeder einzelne unterkritisch und dann können wir nicht mehr mithalten", so die Wissenschafterin.
Die Arbeit mit hochtechnischen Methoden sei natürlich auch aufwendig und kostenintensiv. Gerade für das Erreichen den aktuellen ehrgeizigen Ziels der Einrichtung eines eigenen DNA-Labors in Wien brauche es die Zusammenarbeit mehrerer Institutionen.