Negative CO2-Emissionen - Viele Fragen zur Rückführung von menschlicher Aktivität
Oft wird der um sich greifende Klimawandel als eine der deutlichsten Spielarten des weltweit spürbaren Einflusses menschlicher Aktivität - respektive des Anthropozäns - angesehen. Bei der Frage, ob sich das Rad der menschgemachten Veränderung ein Stück weit zurückdrehen lässt, landet man vielfach bei Ansätzen, CO2 wieder aus der Atmosphäre zu entfernen. Eine internationale Forschungsgruppe zeigte nun im Fachblatt "Enviromental Research Letters" jedoch, dass dieses Feld bisher mehr Fragen als Antworten bereit hält.
Unter dem Schlagwort "Negative Emissionstechnologien" (NETs) werden verschiedene Ansätze verstanden, die versprechen, dass damit das Klimagas Kohlendioxid (CO2) teilweise wieder reduziert werden kann. Bedarf dafür gibt es angesichts der Tatsache, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 2016 mit 403,3 ppm (Teilchen pro eine Million Teilchen) auf dem höchsten Stand seit mindestens 800.000 Jahren befand - Tendenz weiter steigend. Dem gegenüber stehen mehr oder weniger bindende Bekenntnisse zur Reduktion des Ausstoßes, wie das Pariser Klimaschutzabkommen, in dem sich die Staatengemeinschaft dazu verpflichtet hat, den weltweiten Temperaturansieg auf unter zwei und im besten Fall unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Experten sehen "Abhängigkeit von negativen Emissionen"
Um allerdings tatsächlich am Ende des Jahrhunderts in letzterem Bereich zu landen, brauche es nicht nur weniger CO2-Ausstoß sondern auch - ganz im Sinne der Idee das Anthropozäns - vom Menschen vorangetriebene Maßnahmen, um die vom Menschen in die Welt gesetzten Emissionen der Atmosphäre wieder aktiv zu entziehen. "In den Klimaverhandlungen geben die Politiker zwar gerne immer ambitioniertere Ziele aus - doch die konkreten Handlungen bleiben bisher weit zurück. Das Ergebnis ist eine wachsende Abhängigkeit von negativen Emissionen", so Jan Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin, der auch Teil des Forschungskonsortiums ist, das im Rahmen der Artikelserie mehr als 6.000 Dokumente zu NETs analysierte.
Obwohl die NETs immer wieder in Diskussionen auftauchen, ist es um Verfahren, wie etwa die CO2-Abscheidung und -Speicherung in unterirdischen Hohlräumen (Carbon Dioxide Caption and Storage Technology, kurz CCS) in den vergangenen Jahren zumindest in Europa eher ruhig geworden. Das liegt auch an massiven Bedenken gegenüber diesem vor allem in Nordamerika vorangetriebenen Ansatz.
Bunter Strauß an vagen und riskanten Möglichkeiten
Viel diskutiert werde zur Zeit über "Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung" (BECCS). Dabei wird Biomasse in Strom oder Bio-Treibstoff umgewandelt. Das frei werdende CO2 wird abgeschieden und in Tiefenlagern gespeichert. Laut den Analysen, an denen auch Joeri Rogelj vom Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien beteiligt war, schätzen die Experten, dass bei einem breiten Einsatz solcher Ansätze im Jahr 2050 zwischen 0,5 und fünf Gigatonnen (Gt) CO2 rückgeführt werden könnten. Zum Vergleich: Der weltweite Ausstoß lag 2017 bei rund 41 Gt.
Mit Aufforstungsprogramme, bei denen die wachsenden Bäume Emissionen langfristig binden, könnten zwischen 0,5 und 3,6 Gt an CO2 entnommen werden. Für Ansätze bei denen Gesteine, die zermahlen und auf landwirtschaftliche Flächen ausgebreitet CO2 absorbieren können ("Enhanced Weathering"), liege das Potenzial bei zwei bis vier Gt. Mittels Methoden, wo durch chemische Prozesse der Luft CO2 entzogen, und anschließend in den Boden gepresst wird (DACCS), errechneten die Forscher ein Potenzial von 0,5 bis fünf Gt. Durch Hinzufügen von teilverbrannter Biomasse, die zusätzliches CO2 bindet, könnten 0,5 bis 2,5 Gt reduziert werden. Für die sogenannte Kohlenstoffsequestrierung im Boden kamen die Analysen auf ein Potenzial von bis zu 5 Gt.
Gleichung mit vielen Unbekannten
Neben diesen teilweise sehr breiten Angaben gebe es große Fragezeichen und Unterschiede hinsichtlich der Kosten, Nebenwirkungen, dem Entwicklungsstand der Technologien und der Zeit, die CO2 damit tatsächlich gebunden werden kann. "Aufforstung etwa könnte schon heute in großem Maßstab betrieben werden, jedoch könnte das CO2 leichter wieder durch menschlichen oder natürlich Einfluss freigesetzt werden. Durch BECCS wiederum könnten größere Mengen CO2 sicher eingelagert werden, doch steckt die Technologie noch in der Demonstrationsphase und stößt in der Öffentlichkeit auf großen Widerstand", heißt es in einer Aussendung des MCC.
Eine einzige Methode alleine könne jedenfalls nicht signifikant zum Erreichen des 1,5 Grad-Zieles beitragen, schreiben die Wissenschafter in einer der Arbeiten. Relevante Potenziale hätten aber alle Technologien, außer dem Ausbringen von Eisenverbindungen im Ozean, um durch künstlich ausgelöstes Algenwachstum die Absorption von CO2 zu steigern. Bei Tests erwies sich der Effekt der Meeresdüngung als viel geringer als erhofft. Die Technik ist zudem wegen schwer abschätzbarer Auswirkungen auf das Ökosystem der Meere höchst umstritten und daher abgesehen von wissenschaftlichen Tests international verboten.
Kaum Anwendungsbeispiele, kaum Wissen
Damit aber überhaupt in größerem Stil CO2 aus der Atmosphäre geholt werden kann, müssten bald zählbare Anwendungsbeispiele sichtbar werden. Diese seien aber vielfach nicht in Sicht: Laut der Literaturauswertung bezogen sich aber zwei Drittel der Arbeiten auf frühe Phasen in der Entwicklung von NETs. "Der tatsächliche Einsatz neuer Technologien und ihre Skalierung braucht sehr viel Zeit. Umso wichtiger ist es, bereits jetzt diese Schritte - wo möglich - durch die Forschung zu begleiten. Um Klarheit über Chancen und Risiken von negativen Emissionen zu erhalten und diese im industriellen Maßstab zu ermöglichen, muss unter anderem ein Fahrplan für Pilotprojekte entwickelt werden", so Sabine Fuss vom MCC.
Insgesamt zeichnet die Analyse ein Bild davon, dass die Politik und Wirtschaft wenig tut, um den CO2-Ausstoß selbst zu reduzieren, man aber sozusagen gleichzeitig insgeheim auf NETs hofft, für deren Entwicklung einerseits kaum etwas getan wird, und zu deren Potenzialen, Umweltverträglichkeit und Wirksamkeit andererseits kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. So manövriere sich die Staatengemeinschaft in eine Abhängigkeit von Technologien zum CO2-Entzug, während sie eigentlich danach trachten sollte, diese zu vermeiden, so Minx. Für das Erreichen des Zwei-Grad-Zieles braucht es jedoch laut aktuellem Wissensstand keinen großflächigen Einsatz von NETs, schreiben die Wissenschafter in einem Papier.
Service: https://doi.org/10.1088/1748-9326/aabf9b; https://doi.org/10.1088/1748-9326/aabf9f; https://doi.org/10.1088/1748-9326/aabff4.