Aller Laster Anfang? Platooning und die Zukunft des Lkw-Transports
Elektro-Lkw im Fernverkehrstransport und Essenszustellung per Drohne - das alles liegt noch in weiter Ferne, wenn man Logistik-Experten Wolfgang Schildorfer fragt. Die Zukunft des Güterverkehrs im Fernverkehr gehöre auch in den nächsten Jahrzehnten noch dem dieselbetriebenen Lkw. Lkw-Platooning könnte diese Logistikprozesse optimieren.
Der Straßengüterverkehr macht rund zwei Drittel aller Güterverkehrsleistungen aus. Via Schiff, Flugzeug oder Eisenbahn sind es viel kleinere Mengen. Im Jahr 2018 wurden von österreichischen Unternehmen im Straßengüterverkehr 393,3 Mio. Tonnen transportiert. Zu 29,4 Millionen beladenen Fahrten gesellen sich außerdem über 22 Mio. Leerfahrten.
Ein neues System könnte dabei helfen, Potenziale des Lkw-Verkehrs zu nutzen und so zumindest einen Teil der Emissionen einzusparen, hofft Schildorfer, Leiter von Connecting Austria. Das FFG-Projekt betreibt Forschung zu Lkw-Platooning, ein Begriff, der an die englische Bezeichnung für einen militärischen Zug (Platoon) angelehnt ist. Bei Platooning sollen mehrere Fahrzeuge mithilfe technischer Steuerungssysteme so vernetzt werden, dass sie in sehr geringem Abstand hintereinander fahren können, ohne die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen.
Lkw könnten durch die Nähe zum Vordermann dessen Windschatten nutzen und so ihren Kraftstoffverbrauch minimieren - so zumindest der dahinterstehende Gedanke. Größere Fahrzeuge wie Lastkraftwagen oder Busse müssen einen Sicherheitsabstand von mindestens 50 Metern auf der Autobahn zueinander halten. Bei Lkw-Platooning wird dieser Abstand auf bis zu 15 Meter reduziert. Dadurch erhofft man sich ein Einsparungspotenzial von ungefähr 10 Prozent. Bei einem ähnlichen Projekt in Deutschland wurden allerdings nur Einsparungen von drei bis vier Prozent erzielt - für Schildorfer zwar nicht optimal und auch teilweise auf die Testbedingungen zurückzuführen, aber besser als nichts. "Für mich als Person ist es wichtig, weniger CO2 zu produzieren", betont er im Interview mit APA-Science. Bei der großen Menge an Straßengüterverkehr könne man über jedes Prozent froh sein.
Von der Theorie in die Praxis
Connecting Austria versucht, die Theorie hinter Lkw-Platooning in die Praxis umzusetzen. "Wir sind in der Mitte des Projektes so weit, dass wir die Vorbereitungsarbeit und die ersten Berechnungen hinter uns haben", erklärt Schildorfer. Das Projekt läuft seit 2018, bisher wurde hauptsächlich mit Verkehrssimulationen gearbeitet "und angeschaut, wie sich Treibstoffeinsparungen berechnen lassen, wie der Echtverkehr funktioniert, welche Informationen von der Straßeninfrastruktur in den Lkw geschickt werden können und welche Auswirkungen Lkw-Platoons auf die Verkehrseffizienz und -sicherheit haben".
"Es wird der Weg eines energieeffizienten Lkw-Platoon vom Versandort über die Autobahn bis zu einem Güterverteilzentrum am Stadtrand untersucht", wie es auf der Webseite heißt. Vier Anwendungsszenarien stehen dabei im Vordergrund der Forschung: die Autobahnauffahrt, die -abfahrt, eine Gefahrenstelle auf der Autobahn sowie eine ampelgeregelte Kreuzung.
"Wir sehen uns an, wie der Infrastrukturbetreiber Lkw-Platooning sicherer machen kann", so der Experte. Dieser (im Falle von Connecting Austria die Asfinag) sendet Informationen an die Fahrzeuge, die dem Fahrer sagen, ob Platooning in einem bestimmten Straßenabschnitt erlaubt ist oder nicht - beispielsweise aufgrund von Regen, Baustellen oder Stau. "Wir überprüfen, was die Voraussetzungen sind, damit Lkw-Platooning funktioniert, und wie man die Sicherheit über C-ITS weiter erhöhen kann." (Anm.: Der Begriff steht für "Cooperative Intelligent Transport Systems". Fahrzeuge werden miteinander vernetzt, können sich gegenseitig über Verkehrs- und Gefahrensituationen austauschen und koordiniert auf Ereignisse reagieren.)
Keine selbstfahrenden Fahrzeuge
Worum es bei Connecting Austria nicht geht, seien selbstfahrende Fahrzeuge - denn diese Technologie tatsächlich auf die Straße zu bringen, sei ferne Zukunftsmusik. (Näheres zu automatisierten Fahrzeugen im Gastbeitrag "Automatisierte Fahrzeuge im Güterverkehr?") Internationale Klassifizierungssysteme zur Automatisierung stufen Fahrzeuge zwischen Level 0 ("Driver only", der Fahrer fährt selbst) und Level 5 (Vollautomatisiertes Fahren, kein Fahrer erforderlich) ein. Connecting Austria selber berücksichtigt nur Fahrzeuge mit einem Automatisierungsgrad der Level 1 und 2, was einem geringen Automatisierungsgrad durch Fahrsicherheitsfunktionen und Assistenzsysteme, wie sie mittlerweile schon im Einsatz sind, entspricht.
Es gehe bei der Automatisierung nicht darum, Fahrer einzusparen, betont Schildorfer. Der Fokus liege vielmehr auf einfachen Sicherheitsfunktionen wie koordiniertem Bremsen. "In beiden Lkw sitzt ein Fahrer. Sie sind über Netzwerke so verbunden, dass der zweite Lkw automatisch bremst, wenn der erste bremst."
Nach den ersten Fahrten in kontrollierten Testgeländen steht das Projekt nun vor dem Schritt auf die Straße. Dafür braucht es zunächst eine Genehmigung, den vorgeschriebenen Abstand von 50 Metern unterschreiten zu dürfen.
Langfristig werde der Automatisierungsgrad auf jeden Fall nach oben gehen. "Der Lkw, der heute bei uns Level 1 oder 2 ist, wird irgendwann auf Level 3 oder 4 fahren." Bis es tatsächlich fahrerlose Level 5-Lkw auf den Autobahnen geben wird, würden allerdings noch Jahrzehnte vergehen - wenn diese überhaupt einmal kommen. Dass aber der Lkw-Fahrer sein Fahrzeug auf die Autobahn lenke, in den Lkw-Platooning-Modus schalte und erst die letzten Kilometer in die Stadt hinein wieder manuell fahre, "das wird früher kommen".
Kooperation und Vernetzung
Die Antriebstechnologie des Lkw-Güterverkehrs auf der Langstrecke auf der Autobahn wird auch in Zukunft der Dieselmotor sein, ist er überzeugt, da lange Strecken die Potenziale der Elektromobilität überschreiten. Auch der Transport mit der Drohne steckt zur Zeit noch in den Kinderschuhen.
"Die lange Strecke wird meiner Meinung nach noch lange Zeit über die Dieseltechnologie laufen", betont Schildorfer. Der Weg zur Elektro-Langstrecke sei ein langer. Bis es so weit sei, gehe es darum, Synergien zu nutzen und beispielsweise Leerfahrten mit Hilfe von Frachtenbörsen zu reduzieren. "Wenn zwei Logistiker miteinander reden und kooperieren, können sie ihre Leerfahrten reduzieren - so spart man vielleicht mehr als über die Antriebstechnologie."
Schildorfer steht theoretischen Überlegungen skeptisch gegenüber, ob die Logistikorganisation in Zukunft nicht über einen großen Internetriesen laufen könnte, der von der Informationsverarbeitung über die Regulierung der Warenströme und die Warenverteilung alle Fäden in der Hand hat. "Es wird kein Amazon der Logistik geben", betont er: "Ich glaube nicht daran, dass es wie bei uns Privatpersonen ein Facebook geben wird, wo alle etwas reinschreiben, ohne wirklich über ihr Tun nachzudenken. Ich glaube, dass die Logistik eine Branche ist, die mit ihren Daten sensibler umgeht, denn das ist ihr Know-how. Die Schwelle, Logistiknetzwerke zu verbinden und eigene Daten herzugeben, ist eine sehr hohe." Das Transportgewerbe sei nicht von der Anzahl an Lkw abhängig, sondern von dem Wissen, auf welcher Route sich ein Ziel am besten und schnellsten erreichen lasse, und "dieses Wissen werden sie sich behalten".
Umweltfreundlichkeit hat Nachrang
Im urbanen Raum glaubt er an einen Mischverkehr, bei dem alternative Transportmöglichkeiten wie Lastenfahrräder oder Elektroautos eine größere Rolle spielen werden. Damit die Logistiker ihre Lastkraftwägen aber an der Stadtgrenze stehen lassen und in City Hubs gegen umweltfreundlichere Alternativen tauschen, brauche es Regulierungen von oben. "Wir reden von kommerziell optimierten Betrieben. Wenn es sich für sie nicht rechnet, werden sie es auch nicht tun." Das Umschlagen von Waren, also das Verladen auf ein anderes Verkehrsmittel, sei immerhin einer der größten Kosten- und Zeitfaktoren im Transportwesen.
Im Endeffekt sei auch der Konsument gefragt: "Sind wir alle bereit, für eine Zustellung von Amazon 15 Euro zu zahlen, nur für das Wissen, dass es eine Öko-Zustellung ist?." Außerdem sollte man sich die Frage stellen, ob man nicht lieber auf die Lieferung verzichten und stattdessen den unbequemeren Einkauf im Geschäft tätigen möchte. "Es ist diese Bequemlichkeit, die den zustellenden Verkehr steigert. Pakete bei wachsender Konkurrenz rentabel zu transportieren und gleichzeitig einen geringeren ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen", das sei eine der großen Herausforderungen, vor denen die Branche in Zukunft stehen werde.
Von Anna Riedler / APA-Science