"Wer die Wahl hat, hat die Qual"
„Eine Studienwahl zu treffen, die mein „restliches“ Leben beeinflusst, macht mir Angst. Ich befürchte außerdem, zu wenig auf mich zu hören und mich zu sehr auf Meinungen und Einflüsse anderer (v.a. meiner Mutter) zu verlassen“. Zitat einer Maturantin.
Diese geäußerte Unsicherheit und Unentschlossenheit von Maturanten und Maturantinnen ist nicht neu, schon Generationen davor beschäftigten sie sich mit der Frage, welche Ausbildung, welches Studium zu einem passe. Gleichzeitig stellt diese Phase auch einen wichtigen Entwicklungsschritt im Leben von Jugendlichen dar: sie sollen erwachsen, unabhängig und autonom werden, Verantwortung übernehmen, Leistungen erbringen und Anstrengungsbereitschaft zeigen. Viele bewältigen diese Entwicklungsaufgaben, entscheiden sich für ein Studium und schließen dieses auch erfolgreich ab, andere brauchen jedoch Unterstützung in dieser Lebensphase.
Neu ist, dass es eine Vielfalt an Ausbildungsmöglichkeiten, Berufen und Studiengängen gibt. Allein im tertiären Bildungsbereich sehen sich Maturantinnen und Maturanten einer großen Menge an Studienmöglichkeiten gegenüber: 15 Universitäten und 6 Kunstuniversitäten bieten ca. 61 Diplomstudien, 327 Bachelor- und 564 Masterstudien an. 21 Fachhochschulen betreuen 385 Studiengänge, 14 Pädagogische Hochschulen und 13 private Universitäten ergänzen das Angebot. Diese unterschiedlichen Möglichkeiten werden allerdings einseitig genutzt, denn 60 Prozent der Studienanfänger/innen entscheiden sich für 10 Prozent der möglichen Fächer.
Doch was macht die Entscheidung so schwierig? Der Zugang zu Informationen führt nicht zwingend zu besserer Informiertheit und bewirkt noch keine Entscheidung. Im Gegenteil, viele Maturant/innen fühlen sich überfordert von der Informationsüberflutung und brechen frustriert die Reflexion und Aufarbeitung der unterschiedlichen Themen ab. Inhalte werden oft zu abstrakt und theoretisch präsentiert, Praxis- und Arbeitserfahrungen fehlen, weil diese auch in der Schule nicht gefordert und gefördert wurden. Gleichzeitig steigt für junge Menschen der Druck, die richtige Entscheidung zu treffen, weil sie sich dadurch festgelegt für ihr Leben fühlen. Zukünftige Veränderungsmöglichkeiten werden nicht mehr wahrgenommen, zurück bleibt das Gefühl der Enge und Fremdsteuerung. Die Informationen müssten strukturiert und verstanden, zur eigenen Person in Beziehung gesetzt und letztlich vor diesem Hintergrund bewertet werden. Viele hoffen, dass die Zeit eine Entscheidung bringen wird und gehen erst mal auf Reisen. Manche profitieren von den Erfahrungen und Begegnungen im Ausland. Bei anderen führt der Aufenthalt zu keiner weiteren Reflexion über sich selbst und sie fangen nach einem Jahr wieder von vorne an.
Die meisten Studieninteressierten befinden sich in der Phase der Spätadoleszenz und damit in einer Zeit des radikalen Umbruchs, verstärkter Konflikte mit Lehrer/innen und Eltern und auf der Suche nach der eigenen Identität. Fragen wie „Wer bin ich eigentlich?“, „Was will ich?“ oder „Wo liegen meine Interessen, Stärken und auch Schwächen?“ sind häufig. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, mit den eigenen Lebens- und beruflichen Zielen entwickelt sich oft langsam und prozesshaft. Phasen der Über- und Unterschätzung der eigenen Fähigkeiten wechseln sich ab, Kompetenzgefühle („Ich hab alles im Griff, das schaffe ich locker“) und Selbstzweifel („Schaffe ich ein Studium, schaffe ich überhaupt die Aufnahmeprüfung?“) liegen oft nahe beieinander.
Nicht alle kommen mit dieser normativen Krise und den Erwartungen der Umwelt zurecht. Es entstehen Ängste, sich auf einen Beruf, eine Identität oder eine Zukunft festzulegen oder festgelegt zu werden. Dies kann sich in einer Entscheidungsunfähigkeit für ein Studium äußern, Druck und Stressgefühle entstehen, ein verstärkter Selbstzweifel entwickelt sich. Auf der Handlungsebene üben sich einige Studieninteressierte in „Selbstsabotage“ und Vermeidungsverhalten, indem beispielsweise Anmelde- und Zulassungsfristen verpasst werden. Oder aber es kommt zu einer erzwungenen Entscheidung, begleitet von Zweifeln und Ambivalenzen, die weit ins Studium hineinreichen.
Manche Maturanten bzw. Maturantinnen wissen, was sie interessiert, aber ihre Umwelt ist nicht zufrieden mit ihrer Entscheidung. Eltern haben oft eine klare Vorstellung, was zu ihrem Kind passe. Gibt es in Familien bestimmte Berufstraditionen, so entsteht manchmal die Erwartung, dass diese fortgesetzt werden sollen. Sätze wie „Bei uns in der Familien studieren alle Medizin“ oder „Bei uns hat noch keiner studiert“ beeinflussen die Entscheidung. Die Maturant/innen stehen im Zwiespalt, es einerseits den Eltern rechtzumachen und andererseits einen eigenen Weg zu gehen und sich auch von den Eltern abzugrenzen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Maturantinnen und Maturanten in einer schwierigen Phase befinden, bei der sie Unterstützung und Begleitung brauchen. Sinnvoll ist es, die Auseinandersetzung mit sich und dem Studienwahlprozess schon möglichst frühzeitig und ungezwungen zu beginnen. Viele Schulen bieten das Programm „Studienchecker“ an, bei dem sich die Schüler und Schülerinnen bereits ab der 7. Klasse mit diesem Thema in unterschiedlichsten Formen auseinandersetzen. Im Rahmen des Studiencheckers bieten zum Beispiel auch Mitarbeitende der Psychologischen Beratungsstellen für Studierende psychologische Kleingruppen in Schulen an, um den Reflexionsprozess der Einzelnen zu unterstützen. Für Studieninteressierte, die bis zur Matura keine Entscheidung treffen konnten, bietet die Psychologische Beratungsstelle für Studierende Einzelgespräche zur Studienwahl an.