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Kooperation / EU-Magazin Horizon / 01.07.2025, 14:15

Den Code des supersoliden Lichts knacken

Von der EU geförderte Forscher haben supersolides Licht im Labor zum Leben erweckt und untersuchen nun, wie dieser merkwürdige neue Materiezustand Technologien für die Praxis antreiben könnte.

APA/dpa/Nicolas Armer
Kann Licht jemals ein Festkörper sein?

Kann Licht jemals ein Festkörper sein? Im mikroskopischen Universum der Quantenwelt scheint das tatsächlich möglich zu sein. In einer bahnbrechenden, von der EU geförderten Studie, die kürzlich in Nature veröffentlicht wurde, gelang es einem Forscherteam, supersolides Licht zu erzeugen – einen merkwürdigen, hybriden Materiezustand, der die Struktur eines Festkörpers mit dem reibungslosen Fluss eines Superfluids vereint.

Von der Theorie zur Anwendung

Nun verlagert sich ihr Fokus von der Theorie zur Anwendung, da sie erforschen, wie diese Entdeckung den Weg für Fortschritte in der Quanteninformatik und photonischen Technologien ebnen könnte – darunter auch für optische neuronale Netzwerke, die KI antreiben. Daniele Sanvitto, ein renommierter Physiker mit Spezialisierung auf Licht-Materie-Wechselwirkungen, leitete die Forschung am Nationalen Forschungsrat Italiens (CNR). „Wir haben tatsächlich eine supersolide Phase in einem Zustand gefunden, der Licht und Materie kombiniert“, sagt Sanvitto, der Forschungsdirektor am Institut für Nanotechnologie (CNR NANOTEC) in Lecce, Italien, ist und ein vierjähriges, von der EU finanziertes Forschungsprojekt namens Q-ONE koordiniert.

Durch die Bündelung der Expertise von Wissenschaftlern führender Forschungsinstitute aus Italien, Österreich und den USA gelang es dem Team, einen Zustand von Licht und Materie zu schaffen, der gleichzeitig kristallartig fest war, aber auch wie eine Flüssigkeit floss. Diese Entdeckung gelang durch die Nutzung eines hybriden Teilchens, das als Exziton-Polariton bekannt ist und Eigenschaften von Licht (Photon) und Materie (Exziton) vereint. Mit seiner Hilfe eröffnen die Forscher neue wissenschaftliche Grenzbereiche mit potenziellen Anwendungen, die weit über das Labor hinausreichen – in Europa und darüber hinaus.

Am 16. Mai war der Internationale Tag des Lichts, der Jahrestag der ersten Nutzung eines Lasers im Jahr 1960 durch den US-amerikanischen Physiker Theodore Maiman. Die Q-ONE-Forschung zu Supersoliden zeigt, wie weit dieses Forschungsfeld seither gekommen ist.

Supersolides Licht

Die meisten von uns kennen die gewöhnlichen Aggregatzustände der Materie – fest, flüssig und gasförmig. Es gibt jedoch auch andere, exotische Zustände, die erzeugt werden können, wie zum Beispiel Superfluide: Flüssigkeiten, die ohne Widerstand fließen. Supersolide sind ein weiterer exotischer Zustand. „Wenn ein Superfluid eine geordnete Struktur im Raum annimmt, etwa wie ein Kristall, nennt man das einen Supersolid“, erklärt Sanvitto. „Es sieht aus wie ein Festkörper, kann sich aber gleichzeitig prinzipiell reibungslos bewegen.“ Vor acht Jahren zeigte Sanvitto mit seinem Team, dass Licht sich innerhalb eines Halbleiters wie eine Flüssigkeit bewegen kann. Jetzt haben sie diese Forschung weiterentwickelt und eine geordnete Struktur aus ungewöhnlichen Licht-Materie-Teilchen geschaffen. Diese entstehen, wenn Photonen – also Lichtteilchen – stark mit elektronischen Anregungen in einem Halbleiter wechselwirken und dabei hybride Teilchen, sogenannte Exziton-Polaritonen, bilden.

Da sie sowohl Eigenschaften von Licht als auch von Materie besitzen, eröffnen sie völlig neue Möglichkeiten, Licht auf bislang undenkbare Weise zu manipulieren. Supersolide – Materialien, die sich gleichzeitig wie ein Festkörper und wie ein Superfluid verhalten – konnten bisher nur in ultra-kalten Atomgasen beobachtet werden. Doch das beginnt sich nun zu ändern. „Wir sind die Ersten, die zeigen, dass Supersolide auch in Festkörper-Elementen entstehen können, die keine ultra-kalten Temperaturen benötigen“, so Sanvitto. Dieser Durchbruch ermöglicht es, reale Anwendungen zu erforschen, ohne auf die komplexen und ultra-kalten Laboraufbauten angewiesen zu sein, die für atomare Kondensate erforderlich sind. Dies könnte den Weg für neue Technologien in den Bereichen Computertechnik, Sensorik und mehr ebnen. „Es ist spannend, weil wir dadurch völlig neue physikalische Phänomene auf einem Halbleiterchip erforschen können.“

Quantenzustände

Die Q-ONE-Forscher wollen mithilfe von polaritonischen quanten-neuronalen Netzwerken verschiedene Quantenzustände der Materie erzeugen und identifizieren„Unser Ziel in der Q-ONE-Forschung ist es, die starken nichtlinearen Eigenschaften von Polaritonen zu nutzen, um ein künstliches neuronales Netzwerk zu bauen, das nicht nur Quantenzustände des Lichts identifizieren, sondern letztlich auch erzeugen kann“, sagt Sanvitto.

Das Q-ONE-Forschungsteam ist nicht die einzige Gruppe, die das Zusammenspiel von Quantenzuständen und KI erforscht. Seit 2010 leitet Professorin Barbara Piętka, Physikerin an der Universität Warschau, ebenfalls eine Forschungsgruppe, die sich auf Exziton-Polaritonen fokussiert. Piętka koordiniert derzeit ein vierjähriges Forschungsprojekt namens PolArt, das vom Europäischen Innovationsrat unterstützt wird. Ihr Team arbeitet eng mit Sanvittos Team am CNR in Italien sowie mit weiteren führenden Forschern aus Frankreich, Italien, Polen und Singapur zusammen.

Neuronale Netzwerke

Ihre Arbeit konzentriert sich speziell darauf, Wege zu finden, wie sich Exziton-Polaritonen in künstlichen neuronalen Netzwerken einsetzen lassen. „Exziton-Polaritonen sind unser Grundbaustein“, sagt Piętka. „Wir nutzen diese Teilchen, sogenannte Quasiteilchen, um große neuronale Netzwerke zu konstruieren.“ Laut Piętka wurde vieles von dem, was sie heute tun, durch Arbeiten wie die von Sanvitto ermöglicht. Diese haben gezeigt, dass sich Exziton-Polaritonen zur Konstruktion fortschrittlicher neuronaler Rechennetzwerke eignen: Computernetzwerke, die Struktur und Funktion des menschlichen Gehirns und Nervensystems nachahmen.

Eine Möglichkeit, die das PolArt-Team untersucht, ist die Integration dieser Netzwerke auf Chips mithilfe von Kristallen aus einem Material namens Perowskit. Im Vergleich zu herkömmlichen Computerchips, die neuronale Netzwerke emulieren, verbraucht der auf Polaritonen basierende Ansatz deutlich weniger Energie und bietet höhere Verarbeitungsgeschwindigkeiten. „Wir können eine einzelne Operation mit nur wenigen Photonen ausführen“, erklärt Piętka.

Größer, schneller, besser

Piętka und ihr Team arbeiten daran, ihre auf Polaritonen basierenden neuronalen Netzwerke so zu skalieren, dass sie immer komplexere Aufgaben bewältigen können. „Wir bauen schrittweise größere Netzwerke, die es uns ermöglichen, anspruchsvollere Herausforderungen anzugehen“, erklärt sie.

Dieser Ansatz könnte letztlich schnellere und effizientere große Sprachmodelle antreiben. Diese fortschrittlichen KI-Modelle sind darauf ausgelegt, leistungsfähig zu sein und dabei weniger Ressourcen zu verbrauchen – und sie sind zunehmend in unseren Alltag integriert. „Je größer das Netzwerk, desto anspruchsvollere Aufgaben kann es übernehmen“, sagt Piętka.

Führende Rolle

Sanvitto zufolge befindet sich Europa derzeit an der Spitze der Forschung zu Exziton-Polaritonen. „Der Wettbewerb ist intensiv – insbesondere da China massiv in Wissenschaft investiert –, aber Europa führt in diesem Bereich momentan viele Entwicklungen an“, sagt er. Piętka stimmt dem zu und merkt an, dass die Forschung an polaritonbasierten neuronalen Netzwerken nach wie vor weitgehend in Europa konzentriert ist.

Diese Führungsposition, die unter anderem durch Fördermittel der EU – insbesondere vom Europäischen Forschungsrat und dem Europäischen Innovationsrat – ermöglicht wurde, ist jedoch gefährdet, wenn wir die Investitionen in die Wissenschaft nicht weiter erhöhen. „Es ist entscheidend, dass Europa weiterhin in diese Forschung und generell in die Grundlagenwissenschaft investiert, um die Spitzenposition zu halten“, betont Sanvitto. Beide Teams haben noch viel Arbeit vor sich – und große Hoffnungen. „Das ultimative Ziel ist es, ein Netzwerk zu entwickeln, das Daten mit maximaler Geschwindigkeit und Effizienz verarbeitet“, sagt Piętka.

Von Jonathan O’Callaghan

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APA-Science Content-Kooperation mit Horizon

Die in diesem Artikel vorgestellte Forschung wurde vom Europäischen Innovationsrat (EIC) finanziert. Die Ansichten der Befragten spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der Europäischen Kommission wider. ​Dieser Artikel wurde ursprünglich in Horizon, dem EU-Magazin für Forschung und Innovation, veröffentlicht.