Ukraine-Krieg: Slawistiken für "Ablegen der russische Brille"
Die Österreichische Gesellschaft für Slawistik (ÖGSL) hat sich bei ihrer Jahrestagung am Freitag und Samstag in Salzburg mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beschäftigt, der auch die fünf Slawistikinstitute an österreichischen Universitäten massiv tangiert. Neben Forderungen nach einer Verankerung des Ukrainischen war in Diskussionen von jenen Konsequenzen für Russischstudien die Rede, die auch in Österreich traditionell eine wichtige Rolle spielen.
Bei Debatten in der internationalen Fachwelt sei deutlich geworden, dass die Slawistiken außerhalb der slawischen Länder sich gegenwärtig sehr stark mit dem "Ablegen der russischen Brille" beschäftigen, schilderte die Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Slawistik, Miranda Jakiša. Schlagworte seien Dezentralisierung, Dekolonisierung, es gehe um die Relektüre russischer Klassiker sowie eine Blickverschiebung von auf Russland zuvor vereinnahmten Kulturen und Sprachen, erzählte sie.
Parallelen zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien
Klare Parallelen zu jenen Vorgängen, die den Fachbereich während der jugoslawischen Zerfallskriege und danach durchliefen, würden indes wenig diskutiert, zeigte sich die Professorin für südslawische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Wien gleichzeitig verwundert. Dabei würden diese Entwicklungen in den Neunzigerjahren ein wenig in eine erwartbare Zukunft weisen, in der sich die Slawistik erweitere und diversifiziere, zugleich jedoch auch gespaltener sein werde. "In Helsinki wurden (bei einer kürzlichen Veranstaltung, Anm.) Debatten unter Ostslawistinnen und -slawisten geführt, die man nicht mehr akademisch nennen kann", berichtete sie - die ostslawischen Sprachen sind Belarussisch, Russisch und Ukrainisch. Wichtig sei nun, dass sich existierende Frontlinien im Fach nicht verhärteten.
Abgesehen von sinkenden Studierendenzahlen bei Sprachstudien und allgemeinen Faktoren gegen das Erlernen von Fremdsprachen wie Covid sowie Künstliche Intelligenz stellten manche bei Russisch die zusätzliche Frage, weshalb sie gerade eine stigmatisierte slawische Sprache erlernen sollten, erklärte ihrerseits Magdalena Kalteis von der Universität Innsbruck. Bei Recherchen an den österreichischen Slawistikinstituten in Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Salzburg und Wien sei über eine "mediale Verunglimpfung" des Russischen geklagt worden. "Eine genannte Herausforderung ist auch, dass es schwierig ist, Menschen zu motivieren, eine Sprache zu studieren, wenn man nicht in das Land fahren kann", erzählte die Innsbrucker Slawistin. Dieser Umstand könnte jedoch auch als Chance verstanden werden, Russisch nicht immer nur mit der Russischen Föderation zu verbinden, sondern auch andere Länder zu besuchen, in denen diese Sprache gesprochen werde.
Gehört der Krieg in einen Sprachkurs
Unterschiedliche Standpunkte gebe es indes an den Slawistikinstituten zur Frage, ob und in welchem Ausmaß der Krieg gegen die Ukraine im Russischsprachunterricht thematisiert werden solle, berichtete Kalteis. Häufig sei dabei die Ansicht artikuliert worden, dass Politik oder Krieg nicht in den Sprachkurs gehörten und diese Themen in anderen Lehrveranstaltungen besser aufgehoben seien.
Fragen wie Dekolonisierung, Depatriarchalisierung und Demokratisierung reichten jedenfalls auch in den Sprachunterricht hinein, widersprach Cristina Beretta von der Universität Klagenfurt diesen von Kalteis referierten Kolleginnen und Kollegen. Zu klären sei lediglich, ob man Dinge explizit thematisiere oder auf die Perpetuierung von Stereotypen wie "Russland ist ein großes/großartiges Land" verzichte, argumentierte Beretta. Neben der Gestaltung des Russischunterrichts und der Verankerung des Ukrainistik in Österreich stelle sich die Frage nach einer Rolle und Funktion der Slawistik insgesamt. "Wir haben es mit Sprachen zu tun, die Gebieten mit akuten Konfliktsituationen entsprechen, sowohl militärischen als auch nichtmilitärischen", erinnerte die Literaturwissenschaftlerin. Hoffentlich passiere nichts in Bosnien, ergänzte sie.
Die Slawistiken in Österreich seien nach Beginn der russischen Invasion eine große Unterstützung für die Ukraine und ihre Menschen gewesen, bedankte sich die aus dem ostukrainischen Charkiw gebürtige und an der Universität Graz tätige Mariya Donska. Überblicksvorlesungen zur ukrainischen Sprache, Kultur und Literatur seien gerade in Zeiten sehr wichtig, in denen noch immer sehr häufig die Frage gestellt werde, ob Ukrainisch denn eine eigenständige Sprache sei. "Gerade diese Frage zeigt die immer noch vorhandene Wirkmächtigkeit der imperialen Narrative", sagte sie.
Donska appellierte zudem, die Subjektivität der Ukraine wirklich ernst zu nehmen. Ein Schlüssel dazu sei auch die ukrainische Sprache, betonte sie. "Natürlich ist die Ukraine ein mehrsprachiges Land. Untersuchungen zeigen aber, dass die gesellschaftliche Bedeutung des Ukrainischen kontinuierlich steigt und die des Russischen sinkt", betonte sie. Es sei auch ein Zeichen des Respekts gegenüber der Eigenständigkeit des Landes, zumindest ein paar Worte auf Ukrainisch sagen zu können. Die Ukrainerin erzählte über ihre Freude, wenn sie von russischsprachigen Kolleginnen und Kollegen in Graz auf Ukrainisch gegrüßt werde. "Danach kann das Gespräch in jeder Sprache weitergeführt werden", erklärte sie.