Coronavirus - Prognosen von Fallzahlen nur für kurzen Zeitraum seriös
Prognosen über die Entwicklung der Coronavirus-Neuinfektionen sind wichtig für das rechtzeitige Setzen von Maßnahmen zur Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitssystems. Seit Anfang April erstellen Forscher von TU Wien, MedUni Wien und Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) wöchentlich eine Vorhersage für die kommenden acht Tage. Was über diesen Zeitraum hinausgeht, sei wissenschaftlich eher unseriös zu betrachten, sagte Florian Bachner von der GÖG in Wien.
In der jüngsten Veröffentlichung des sogenannten Covid-Prognosekonsortiums der drei Forschergruppen gingen die Experten "auch in den weiteren Tagen im Durchschnitt von 6.200 neuen Fällen täglich aus", berichtete Bachner bei dem Hintergrundgespräch. Am 4. November waren österreichweit exakt 6.211 positive Tests innerhalb von 24 Stunden registriert worden, kurz nach dem Medientermin wurden am Donnerstag 7.416 Neuinfektionen gemeldet. Es gibt jedoch Wochentags-bedingte Schwankungen, weshalb der für die Koordination des Prognosekonsortiums verantwortliche GÖG-Experte die Wichtigkeit des Durchschnittswerts betonte.
Zweiter wichtiger Teil der Prognose ist eine Kapazitätsvorschau für die Spitäler. "Analog zum dynamischen Fallgeschehen ist eine deutliche Steigerung zu erwarten", erläuterte Bachner. Die am Mittwoch veröffentlichte Modellrechnung geht von einem Anwachsen auf 760 Patienten auf Intensivstationen bis 18. November aus. Das wäre eine Verdoppelung im Vergleich zum Beginn dieser Woche und eine Auslastung von 38 Prozent aller Intensivbetten für Erwachsene, betonte Bachner. Das ist ein kritischer Wert, wenn man bedenkt, dass ungefähr 60 Prozent der Intensivbetten akut benötigt werden, also nach Unfällen oder wegen nicht verschiebbarer Eingriffe.
Durchschnittliche Belagsdauer im Krankenhaus
Bei ihren Berechnungen gehen die Experten davon aus, dass derzeit alle 6,8 Prozent der Neuinfizierten mit einer gewissen Zeitverzögerung hospitalisiert werden. 5,7 Prozent landen auf Normalstationen, 1,1 Prozent auf Intensivstationen. In der Normalpflege gibt es laut Bachner eine durchschnittliche Belagsdauer von 10,4 Tagen, in der Intensivpflege von 12,6 Tagen, wobei Intensivpatienten noch rund vier Tage Normalpflege brauchen, bevor sie das Spital verlassen können.
Es sei erstmals in der vorletzten Woche passiert, "dass die Prognose in einen Bereich gekommen ist, der systemkritisch ist", sagte Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub (CSH) der MedUni Wien. Zuvor war nur von einer leichten Steigerung ausgegangen worden. Die Prognose sei der Corona-Ampelkommission vorgelegt und eine Warnung der Modellrechner weitergegeben worden.
Warum die Neuinfektionen so unerwartet "stark nach oben geschnalzt" sind, wie es Klimek ausdrückte, ist noch unklar. "Kausal erklären können wir es nicht", sagte er. Der CSH-Experte vermutet "ein Zusammenspiel unterschiedlichster saisonaler Effekte", wie die Verschiebung zu mehr engeren Kontakten in geschlossenen Räumen. Es gebe Faktoren, wie dass Ressourcen für das Contact-Tracing knapp werden oder, dass das Wetter kälter wird, die man erst "hinterher betrachten" könne, sagte Martin Bicher von der TU Wien. "Wir wissen nicht, wann so etwas eintritt."
Strukturelle Unsicherheiten
Außerdem sind die Berechnungen mit strukturellen Unsicherheiten behaftet. Es dürfe sich "niemand darauf verlassen", betonte Martin Zuba von der GÖG. Für die fertige Prognose werden die unterschiedlichen Berechnungsmodelle der drei Forschungseinrichtungen "übereinandergelegt und ein Durchschnitt gebildet", erläuterte Bachner. Das sei dann genauer als die einzelnen Modelle und international "state of the art", sagte Klimek. "Es ist sehr wichtig, dass wir unterschiedliche Modelle nehmen und abgleichen", sagte Simulationsforscher Niki Popper von der TU Wien. Die beteiligten Forscher würden auch über ihre Annahmen diskutieren, und nicht nur einen "Zahlenabgleich" machen.
Der zweite Lockdown kam "aus meiner Sicht noch rechtzeitig", sagte Bachner. In Österreich sei das Ziel ausgegeben worden, das als allerletzte Konsequenz zu machen, betonte Klimek. Erste Auswirkungen erwartete er zwischen vier und zehn Tagen nach Inkrafttreten der Maßnahmen und ein Hinuntergehen der Zahlen nach frühestens zwei Wochen. Zuerst werde ein Peak bei den Neuinfektionen erreicht, erst später einer der aktiven Fälle und mit einer weiteren Verzögerung bei den Hospitalsierungen, sagte TU-Experte Bicher. Nach den zumindest für einen Monat geplanten Maßnahmenverschärfungen ist nur mit schrittweisen Lockerungen zu rechnen, erläuterte er.
Service: Wöchentliche Kurzfristprognosen auf sozialministerium.at: http://go.apa.at/rfy4XA4v