"Früh übt sich": Wenn Universitäten Kinder treffen ...
Vor mehr als 10 Jahren haben Universitäten in Österreich, Deutschland und vielen anderen Ländern begonnen unter dem Titel "Kinderuni", "Junge Uni" und ähnlichen Labels, Kinder und Jugendliche als Zielgruppe anzusprechen. Dabei werden Kinder gezielt in die Hörsäle, Seminarräume und Labore eingeladen, um dort ForscherInnen auf Augenhöhe zu begegnen. Was als "modisches Accessoire" für Unis und als kurzfristiger Event begann, hat nachhaltige Spuren hinterlassen, weitreichende Diskurse ausgelöst und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Was aber können Kinderuniversitäten wirklich leisten und welchen Wert haben sie für die Universitäten?
Kinderunis als europäische Bewegung
Laut einer vom European Children's Universities Network (EUCU.NET) kürzlich aktualisierten Bestandsaufnahme lassen sich mehr als 370 vergleichbare Kinderuni-Programme in 40 Ländern ausmachen, die alljährlich geschätzte 300.000 Kinder ansprechen.
Österreich spielt dabei eine führende Rolle: Das Kinderbüro der Universität Wien wurde von der Europäischen Kommission 2008 mit dem Aufbau dieses internationalen Netzwerks beauftragt. In Österreich sind Kinderuniversitäten nicht zuletzt dank einer europaweit einzigartigen Finanzierungsschiene des Wissenschaftsministeriums mittlerweile an allen Universitätsstandorten etabliert. Allein am Programm der KinderuniWien, das von mehr als 500 WissenschafterInnen an fünf Universitäten und einer FH gestaltet wird, nehmen jedes Jahr mehr als 4.500 Kinder teil.
Die Zielsetzungen von Kinderuniversitäten sind ebenso vielfältig wie deren Erscheinungsformen - es gibt kein "Einheitsmodell". Es geht um Förderung der "Wissenschaftsbegeisterung" und des wissenschaftlichen Nachwuchses insbesondere im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, um Öffentlichkeitsarbeit für die Unis und um die Schaffung von außerschulischen Bildungsangeboten. Das Spektrum reicht dabei von Ferienprogrammen und Wochenendvorlesungen, bis hin zu Wissenschaftscamps in regional differenzierten Formen (Groß-/Kleinstädte, ländlicher Bereich) und vielen weiteren Ergänzungsangeboten, wie Zeitschriften, Bücher, Spiele oder Webangebote.
Kinderunis - eine Erfolgsgeschichte
Was Kinderuniaktivitäten europaweit verbindet, das sind die überaus positiven Rückmeldungen von Kindern, Eltern, WissenschafterInnen und Medien. Aber was macht das Projekt Kinderuni so erfolgreich?
Gemeinsam mit dem "Boom" der Kinderunis und der damit einhergehenden medialen Aufmerksamkeit wurden zeitgleich auch die Resultate der PISA Erhebungen öffentlich. Die PISA-Erkenntnisse waren ernüchternd und es stand die Frage im Raum: Wie kann es sein, dass wir uns so aufwändige Bildungssysteme leisten und dennoch (zumindest laut PISA) so schlechte Ergebnisse hervorbringen?
Im Gegenzug dazu schien das Thema Kinderuniversität von erfrischender Einfachheit: Bilder von neugierigen Kindern, die zu hunderten die universitären Hörsäle stürmen, legten die Frage nahe ob nicht Kinderunis als außerschulische Angebote und informelle "Lernorte" in Wahrheit "die besseren Schulen" seien.
Ein vorläufiger Befund: Das sind sie nicht, sie bleiben punktuelle Interventionen. Aber Kinderuniversitäten können "Lernmomente" darstellen: Kinder erleben viel zu selten, dass jemand authentisch begeistert ist von einer Sache an der er oder sie arbeitet und forscht.
Kinderunis - die Wirkungen
Empirische Befunde über die langfristigen Wirkungen fehlen noch, es liegen bislang nur fragmentarische Daten vor und in den kommenden Jahren wird noch viel an wissenschaftlicher Begleitforschung durchzuführen sein. Aber nach mehr als 10 Jahren Projektgeschichte konnte vieles an Erfahrung gesammelt werden: Kinderuni-TeilnehmerInnen "der ersten Stunde" sind mittlerweile zu Studierenden geworden, deren Studienwahl und ihr Zugang zur Universität nicht zuletzt durch ihre Kinderunierfahrungen geprägt wurden. Früh üben sich aber nicht nur die Kinder im Umgang mit Universität und Wissenschaft, sondern auch umgekehrt: Die beteiligten WissenschafterInnen schätzen an Kinderuni die viel zu seltene Chance, sich grundlegenden Fragen zu stellen, die in unverblümter Form an sie herangetragen werden: "Warum machst du das und wofür ist das gut?"
Darüber hinaus ergeben sich auch innovative Anstöße für die universitäre Lehre: Um komplexes Wissen so zu vermitteln, dass man Kinder und Jugendliche damit begeistern kann, ist eine grundlegende Reflexion der eigenen didaktischen Fähigkeiten notwendig.
Kinderunis - die Herausforderungen
Neben all den motivierenden Rückmeldungen bleibt eine Kernfrage, die viele OrganisatorInnen von Kinderuniversitäten beschäftigt: Können Kinderunis wirklich alle Kinder erreichen? Denn obwohl Kinderunis die Teilnahme grundsätzlich allen ermöglichen - unabhängig von schulischen Zusammenhängen, früheren Bildungserfahrungen oder der sozialen Herkunft, legen die verfügbaren Daten nahe, dass nicht alle in der gleichen Weise von diesem Angebot profitieren können. Und bei Kinderunis spiegelt sich das wieder, was im Bildungssystem so oft sichtbar wird: Kinder aus sehr bildungsaffinem Umfeld finden den Weg an die (Kinder-)Uni leichter als andere. Deshalb wurden Unterstützungsangebote und Begleitmaßnahmen sowie vielfältige Kooperationsprojekte zwischen Wissenschafts- und Sozialeinrichtungen initiiert. Umgekehrt können auch die Universitäten profitieren, denn Kinderuniversitäten eröffnen die Chance, das Thema "Zugang" und "Inklusion" in die Universität zu bringen. Dazu müssen sich die Universitäten des Potentials bewusst werden, das im Ansprechen der Zielgruppe liegt. "Children's Universities represent the most radical approach to open Universities towards the general public", so hat die Europäische Kommission 2008 das "Phänomen Kinderuni" beurteilt.
Die nächsten 10 Jahre
Das "Modell Kinderuniversität" hat sich in den letzten 10 Jahren als grundsätzlich tauglich erwiesen, die Wissenschaftsbegeisterung zu fördern und gleichzeitig als Katalysator für Veränderungsprozesse in Universitäten zu wirken. Es findet in immer mehr europäischen Ländern Verbreitung. Wenn Kinderunis nachhaltig an der Öffnung der Universitäten und des Wissenschaftsbetriebs beitragen sollen, dann müssen in der nächsten Dekade aber verstärkt Maßnahmen ergriffen werden um auch jene anzusprechen, für die Universitäten bis jetzt kein selbstverständlicher Teil der Lebenswelt war. Wenn das gelingt, dann können (Kinder-)Universitäten tatsächlich mithelfen, Grenzen im Bildungssystem von innen heraus zu überwinden. Früh übt sich...