Ukraine-Krieg - Wenn die Schule zum sichersten Ort wird
Nach zwei Jahren Krieg kommt Schulen in der Ukraine eine besondere Rolle zu. Der Unterricht erfüllt für viele Kinder das Bedürfnis nach einer Art Normalität, bietet feste Routinen und vor allem Ablenkung. Die Schule ist vor allem aber auch eins: Für viele der einzig sichere Ort, denn Schulgebäude mit ihren Luftschutzkellern sind sicherer als das Zuhause vieler Kinder, erzählt die Grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann im Gespräch mit der APA nach einem Besuch in der Ukraine.
Im Oblast Odessa etwa, wo sich Hamann vergangene Woche selbst ein Bild des Schulalltags und Bildungssystems machen konnte, ist mittlerweile fast jede Schule mit einem Luftschutzkeller ausgestattet, sagt sie. "Es dürfen sich auch nur so viele Kinder in der Schule aufhalten, wie im Keller Platz haben. Ansonsten gibt es Schichtbetrieb." Anders als in vielen anderen Bereichen und im Alltag würden Lehrerinnen und Lehrer mit den Kindern auch tatsächlich bei jedem Luftalarm in die Bunker gehen. "So ist die Schule für viele der sicherste Ort." Die meisten Wohngebäude haben keinen Luftschutzkeller.
Langsame Rückkehr zum Präsenzunterricht
Nach insgesamt drei Jahren Fernunterricht - zunächst zwei Jahre während der Corona-Pandemie, dann das erste Jahr nach Beginn der russischen Invasion - sind die Kinder in der Ukraine erst seit diesem Schuljahr wieder zum Präsenzunterricht zurückgekehrt. "Das dringende Bedürfnis, so eine Art Normalität in den Alltag zu bringen, ist sehr stark spürbar", schildert die Grüne Abgeordnete. "Man kann sich nicht den ganzen Tag im Kopf mit Krieg beschäftigen." Das treibe vor allem auch die Lehrkräfte an, die den Kindern so gut wie möglich Sicherheit vermitteln wollen.
Neben dem normalen Unterricht und der psychologischen Begleitung stehen die Lehrerinnen und Lehrer aber auch noch vor der Herausforderung, Unterricht auf vielen verschiedenen Ebenen zu organisieren und zu koordinieren. Da ist einerseits der Präsenzunterricht, aber auch weiterhin der Online-Unterricht für Kinder, deren Schulweg etwa zu gefährlich ist oder für Kinder im Ausland. Andererseits gibt es auch noch Nachmittagsunterricht für geflüchtete Kinder im Ausland, die zwar vormittags die Schule in der neuen Heimat besuchen, nachmittags aber nach wie vor am Unterricht der früheren Schule teilnehmen wollen. "Wie das die Lehrer mit einem Gehalt von 200 bis 250 Euro pro Monat machen, grenzt schon an Selbstaufgabe. Das ist wirklich sehr, sehr beeindruckend", betont Hamann.
Angst in der Ferne schwerer auszuhalten als daheim
Viele der Kinder, mit denen die Grüne Politikerin und Ex-Journalistin während ihres Aufenthaltes sprach, waren gerade zu Beginn des Krieges im Ausland, kehrten aber nach einigen Wochen bzw. Monaten wieder zurück. Übereinstimmend hätten sie berichtet, dass es viel schwieriger gewesen sei, weg von der Heimat zu sein. "Angst ist in der Ferne offenbar noch schwerer auszuhalten als zu Hause. Die meisten haben es als Erleichterung empfunden, wieder zu Hause zu sein", berichtet Hamann von ihren Gesprächen. Die Verbundenheit zur Heimat sei bei allen noch "extrem spürbar".
Das sei auch der große Unterschied zu anderen Geflüchteten, die teilweise schon vor der Flucht Abschied von ihrer Heimat genommen hätten, so Hamann. Bei der Gestaltung von schulischem Angebot in Österreich müsse dies deshalb berücksichtigt werden, fordert sie. Von ukrainischen Geflüchteten könne man "nicht erwarten, dass sie sich 100%ig auf Österreich einlassen, sie haben noch immer einen Fuß in der Heimat".
(Das Interview führte Christina Schwaha/APA.)