RFTE empfiehlt die Neuausrichtung der Industriepolitik auf Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit, Resilienz und Souveränität
"Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben neu und deutlicher denn je gezeigt, in welchen Bereichen schon länger dringender Handlungsbedarf besteht. Und weil es systemische Veränderungen sind, vor denen wir stehen, können unsere Lösungen auch nur systemische sein: Eine neue Industriepolitik muss daher auf Forschung, Technologie und Innovation aufbauen, und strategisch intelligent Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Souveränität integrieren", so die stellvertretende Ratsvorsitzende Sabine Herlitschka über den Hintergrund der Empfehlung des Rats für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE).
Von green tech zu tech for green
Schon vor der Pandemie stellte sich aufgrund der unter anderem mit dem Aufstieg Chinas verbundenen geopolitischen und geoökonomischen Verschiebungen immer öfter die Frage, wie Europa und Österreich in einem globalen Wirtschaftssystem mit immer dichteren Beziehungsgeflechten ihren Handlungsspielraum bewahren können.
Die aktuellen Entwicklungen eröffnen nun aber gerade kleinen, offenen Volkswirtschaften wie Österreich neue Chancen: Österreich hat sich in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Wettbewerbsvorteil im Bereich der Nachhaltigkeitstechnologien erarbeitet, den es nun im verschärften internationalen Wettbewerb erfolgreich ausspielen kann. Durch den Ausbau existierender Stärken in den Bereichen der Umwelttechnologien (green tech) und die Nutzung von Schlüsseltechnologien für eine nachhaltige Volkswirtschaft (tech for green) kann eine starke Positionierung Österreichs im globalen Kompetenzwettbewerb gelingen.
"Insbesondere – und davon bin ich zutiefst überzeugt –, weil green tech alleine nicht reicht, um eine effektive Nachhaltigkeit zu bewirken. Es braucht heutzutage tech for green, also eine Vielzahl von Technologien, um die Ziele des European Green Deal zu erreichen", betont Sabine Herlitschka. Gerade Österreich verfüge über viele Technologien, die für Nachhaltigkeit eingesetzt werden können. Dadurch ergeben sich wichtige Chancen für Österreich, sich im internationalen Wettbewerb stark zu positionieren.
Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Strategie ist jedenfalls eine forschungs-, technologie- und innovationsorientierte Industriepolitik, die nicht isoliert an einzelnen Parametern ansetzt, sondern systemisch denkt und handelt. Wesentlich für ihren Erfolg ist aber auch die Abstimmung mit sektoralen und intersektoralen Strategien auf nationaler und europäischer Ebene, etwa der europäischen Industriestrategie, der nationalen Standortstrategie 2040 und der FTI-Strategie 2030, und eben mit dem European Green Deal.
Resilienz, Kreislaufwirtschaft und Souveränität erfordern einen integrierenden Politikansatz
Der RFTE empfiehlt daher, die Neuausrichtung der Industriepolitik Österreichs gesamtheitlich auf drei Säulen aufzubauen: Stärkung der vorhandenen technologischen Kompetenzen, Wertschöpfungsketten und ihre strategischen Elemente sowie ein level playing field für den internationalen Wettbewerb.
Diese neue Industriepolitik soll dabei drei übergeordnete Ziele verfolgen:
(1) Sie muss die österreichische Industrie proaktiv unterstützen, ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln und ihren Beitrag zur Resilienz und Versorgungssicherheit fördern.
(2) Sie muss die Transformation der linearen Wirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft aktiv formen und vorantreiben.
(3) Sie muss die technologische Souveränität und die staatliche Handlungsfähigkeit sicherstellen.
In der Verfolgung dieser Ziele soll eine neue österreichische Industriepolitik auf drei Gestaltungsprinzipien basieren:
(1) Österreichs Industriepolitik kann ihre Ziele nur in Abstimmung mit europäischen Partnern sowie darüber hinaus als Element internationaler Kooperation und Arbeitsteilung erreichen. [1]
(2) Österreich muss seine eigenen industriepolitischen Aktivitäten auf jene Bereiche fokussieren, die von herausragender Bedeutung für die künftige Wettbewerbsfähigkeit seiner Volkswirtschaft sind. Diese Bereiche sind allerdings nicht statisch, sondern dynamisch zu sehen und zu behandeln.
(3) Der Fokus auf die Resilienz der österreichischen Volkswirtschaft und die Technologiesouveränität sind nicht mit einem Streben nach Autonomie oder gar Autarkie zu verwechseln. [2]
Österreichs neue Industriepolitik darf angesichts der starken internationalen Dimension weder reaktiv noch passiv bleiben, sondern muss die internationale/europäische Diskussion weiter aktiv mitgestalten, wie es das bereits im Kontext des geplanten "ERA Pact for R&I" getan hat, und wo immer es nötig ist, Maßnahmen auch national umsetzen.
Die Handlungsempfehlungen
Als konkrete Handlungsempfehlung schlägt der Forschungsrat vor, die neue österreichische Industriepolitik auf drei Säulen aufzubauen:
(Säule I) Technologieoffensive
Neben der Erreichung von Kompetenz- und Technologieführerschaft in Technologien mit hohem Innovations- und Transformationspotenzial müssen etwa die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft in Gang gesetzt, heimisches Risikokapital gestärkt und im Rahmen einer Bildungsoffensive Naturwissenschaften und Technik in allen Bildungsstufen massiv ausgebaut und verankert werden.
(Säule II) Schaffung strategischer Wertschöpfungsketten
Aus- und Aufbau von strategisch bedeutsamer Wertschöpfung in Österreich und Europa, um mittel- und langfristig Industrie und die gesamte Volkswirtschaft zu stärken. Dazu zählen u.a. die Europäisierung der IPCEI, d.h. die Ko-Finanzierung auf europäischer Ebene [3], eine Reform des europäischen Wettbewerbs- und Beihilferechts sowie eine strategische öffentliche Beschaffung.
(Säule III) Schaffung eines level playing field
Um internationale Wettbewerbsbedingungen zu vereinheitlichen und global gleiche Bedingungen für alle zu schaffen, müssen auch Außen- und Handelspolitik als Instrumente einer neuen Industriepolitik entwickelt und genutzt werden. Darüber hinaus sollen ausländische/außereuropäische Investor:innen den europäischen gleichgesetzt, eine am Transaktionswert orientierte Aufgriffsschwelle in die Fusionskontrolle eingeführt und die Umsetzung des Investitionskontroll-gesetzes kritisch analysiert werden.
Nur durch die gleichzeitige und koordinierte Umsetzung aller drei Säulen werden industriepolitische Ziele wie die Transformation in Richtung Digitalisierung und Nachhaltigkeit sowie Resilienz und technologische Souveränität zu erreichen sein.
[1] Siehe das Beispiel des European Chips Act.
[2] Vgl. RFTE (2021): Thesenpapier zur Technologiesouveränität, Wien.
[3] Österreich sollte sich beispielsweise dafür einsetzen, die bisher nationale Finanzierung der Important Projects of Common European Interest (IPCEI) auf eine europäische Ebene zu heben ("Europäisierung der IPCEIs"), um zu vermeiden, dass es zu einer Deindustrialisierung kleiner EU-Länder kommt.
Rückfragehinweis: DI Dr. Ludovit Garzik Geschäftsführer des Rates für Forschung und Technologieentwicklung Pestalozzigasse 4/D1, 1010 Wien E-Mail: l.garzik@rat-fte.at Tel.Nr.: 01 713 1414
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