Markus Arndt: Die Kreditkarten der Wissenschaft
Gerade erst im Dezember 2012 wurde dem Quantenphysiker Markus Arndt ein mit rund 2,3 Mio. Euro dotierter "ERC Advanced Grant" zuerkannt. Für den Dekan der Fakultät für Physik der Universität Wien und Leiter der Forschungsgruppe Quantennanophysik bedeuten Preise und die damit verbundenen Geldmittel vor allem die Freiheit, an den Themen zu forschen, die ihn interessieren. Und ganz nebenbei haben Auszeichnungen auch dafür gesorgt, dass Arndt der heimischen Forschung erhalten geblieben ist.
Gelernt hat der gebürtige Deutsche (geboren am 14. September 1965 in Unkel am Rhein in der Nähe von Bonn) bei den besten seines Fachs: Nach dem Physikstudium an der Universität Bonn und München ging er als Postdoc unter anderem zum späteren Physik-Nobelpreisträger (2005) Theodor W. Hänsch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München und zu Experimentalphysiker Anton Zeilinger an die Universität Innsbruck. Arndt folgte Zeilinger 1999 an die Universität Wien, wo er die Arbeitsgruppe Quantennanophysik aufbaute und 2008 zum ordentlichen Professor berufen wurde. Im gleichen Jahr erhielt er mit dem Wittgenstein-Preis den höchsten Wissenschaftsförderpreis Österreichs.
APA-Science: Was hat sich durch die Auszeichnung(en)/Grant(s) für Sie persönlich verändert bzw. welche(r) davon war am bedeutsamsten?
Arndt: Der bei weitem wichtigste Aspekt dieser Grants ist, dass ich mit meiner Gruppe gemeinsam weiter an den Themen forschen kann, die mich interessieren. Das Geld erzeugt also vor allem Forschung, sehr viel Planung, Diskussion, praktische Detailarbeit! Die öffentliche Aufmerksamkeit war bei „Wittgenstein“ noch etwas größer als beim ERC Grant. Aber deswegen schreibt ohnehin niemand einen Forschungsantrag. In die Medien kommen wir auch mit Forschungsresultaten.
Was den Marktwert betrifft: Da ich eh schon Universitätsprofessor bin, habe ich monetär alles, was ich zum Leben brauche. In meinem Alter ist der „Marktwert“ nicht mehr so wichtig. Die Möglichkeit, Forschung frei zu betreiben, ist mir aber sehr wichtig. Das Geld schafft eine deutliche Erweiterung dieser Freiheit - obwohl bei manchen Mitteln die Regeln der Verwendung auch relativ strikt sind.
Es stimmt, dass die START-Preise des FWF und des ERC (Wissenschaftsfonds bzw. European Research Council; Anm.) eine sehr stark strukturierende Wirkung haben. Die Chancen auf eine gute Anstellung an einem Forschungsinstitut oder einer Universität werden dadurch in der Regel signifikant erhöht. Egal, an welcher Uni man schaut - in Österreich sicher.
Mein FWF-START-Preis von 2001 und der FWF-Wittgenstein-Preis 2008 waren sicher - neben der sehr guten persönlichen Integration in das Team vor Ort und neben den sehr positiven Entscheidungen der Rektoren Winckler und Engl an der Universität Wien in den Jahren 2004, 2008 und 2012 - entscheidend dafür, dass ich heute noch in Österreich bin und hier sehr gerne arbeite.
APA-Science: Braucht man in der Wissenschaft heute Auszeichnungen, um voran zu kommen?
Arndt: Sie helfen natürlich. Auszeichnungen sind die Kreditkarten der Wissenschaft. Man bekommt einen Vertrauensvorschuss. Man muss aber weiterhin Tag- und Nacht arbeiten um sich diese Kreditwürdigkeit und wissenschaftliche Glaubhaftigkeit zu erhalten. Die Förderung von Grundlagenforschung ist ja in der Regel im Vergleich zur angewandten industriellen Entwicklung stark unterdotiert. Das ist ein struktureller Fehler der österreichischen Politik, aber nicht nur in Österreich.
Sehr erfreuliche Ausnahmen sind dann die Exzellenzgrants wie der FWF-START/Wittgensteinpreis und die Europäischen ERC Grants. Dass ich mittlerweile von drei dieser Förderungen (START, Wittgenstein, ERC Advanced) profitieren durfte und nun darf, sehe ich als ausgesprochenes Privileg. Es ist aber auch eine enorme Verpflichtung. Freizeit ist heutzutage gleichbedeutend mit der Arbeit für die Forschung.
Wenn man als Experimentator neue Themen intensiv beforschen will, braucht man einfach viel Geld. Das wird aber auch und vor allem in die Ausbildung exzellenter Jungforscher/-innen investiert, die sich damit täglich in der Wissenschaft beweisen. Ein besseres Investitionsprogramm gibt es kaum.
APA-Science: Welche Preise und Förderungen sind gut, welche weniger, welche müssten erst erfunden werden?
Arndt: Ich denke der FWF ist mit START, Wittgenstein schon sehr gut positioniert. Was fehlt, ist ein deutlicher Ausbau der Doktoratsförderung. Es gibt bei der ÖAW nur wenige Dutzend Doc-Stipendien für tausende von Doktoratsstudierenden. Da braucht man nicht lange nachdenken, um zu sehen, dass das nicht reicht.
Die Universität Wien wird die Doctoral Academies einführen und Individualstipendien für Doktoranden. Das ist ein sehr guter Schritt in die richtige Richtung. Aber auch hier müssten vom Ministerium deutlich die Mittel erhöht werden, um die Schlagkraft zu verbessern.
Viele Kollegen denken, dass es ein österreichisches Pendant zur Studienstiftung des Deutschen Volkes geben sollte. Ich teile diese Meinung. Auch bei kleiner Dotierung ist die intellektuelle Stimulierung ein bedeutender Nebeneffekt.
In Deutschland gibt es auch z.B. die Großpreise der Alexander von Humboldtstiftung (Humboldt-Professuren), die zusammen mit Eigenmitteln der Universitäten in die zweistelligen Millionenbeträge gehen. Das wird sich Österreich finanziell nicht leisten können, aber es ist in Einzelfällen ein klarer Wettbewerbsvorteil für Deutschland.
Was ebenfalls zu früh mit „dem Bade ausgeschüttet“ wurde, ist ein österreichisches Karrieremodell. Ich muss heute auch den besten meiner Doktorand/-innen sagen: „Geht ins Ausland“. Nur sehr wenige von ihnen werden nach einigen Jahren in der österreichischen Wissenschaft eine Karrierechance haben. Das ist wirklich bedauerlich.
APA-Science: Anton Zeilinger sagte kürzlich sinngemäß, dass man die Mittel für hoch dotierte Preise wie etwa den Wittgensteinpreis genauso gut Jungforschern zur Verfügung stellen könnte. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?
Arndt: Es kann sich ja jeder Promovierte um das START Programm bewerben, das fast ähnlich hoch dotiert ist wie der Wittgensteinpreis. Insofern sehe ich da keinen Konflikt. Es geht genau um eine (manchmal zwei) zusätzliche Dotierung pro Jahr, die an etabliertere Forscher geht. Die Mittel werden oft für Bleibeentscheidungen wichtig. Insofern ist Wittgenstein ein wichtiges strukturelles Mittel in Österreich.
Deutschland ging sogar weiter und hat das Äquivalent zum Wittgensteinpreis - den Leibnizpreis - noch einmal finanziell deutlich aufgewertet. Das hat durchaus auch seine Berechtigung. Es gibt Forschung, die dieses Geld braucht. Dann darf man nur nicht in den Medien behaupten, dass damit der „beste Wissenschaftler an sich“ ausgezeichnet wird. Natürlich braucht nicht jede/r Geisteswissenschaftler/in mehrere Millionen Euro. Das ist ein Spezifikum vor allem der experimentellen Wissenschaften.
APA-Science: Wie schätzen Sie den Stellenwert der Öffentlichkeit und von Öffentlichkeitsarbeit für die Wissenschaft und die Person des Wissenschafters selbst ein?
Arndt: Öffentlichkeitsarbeit ist sehr wichtig. Das ist auch der Grund, warum wir im Herbst einen Workshop der Jungen Kurie der ÖAW zu diesem Thema mitorganisiert haben (beim Tag des Wissenschaftsfilms). Ich habe den Workshop folgendermaßen zusammengefasst:
Die Notwendigkeit der Weitergabe von Forschungsergebnissen und eines Verständnisses für den Forschungsalltag an den Nachwuchs, die allgemeine Bevölkerung und die gesellschaftlichen Entscheidungsträger sind offensichtlich.
In einer wissensbasierten Gesellschaft wie Österreich, deren Bildung langfristig das höhere Gut ist als die nicht zu zahlreich vorhandenen Bodenschätze, ist ein Grundverständnis moderner wissenschaftlicher Entwicklungen eine wichtige Voraussetzung, auch für die angemessene politische Entscheidungsfindung. Berühmte Themen mit positiven und negativen öffentlichen Diskussionsbeispielen sind die Kernenergie, Gentechnologie, Verkehrstechnologie, Demographie, Klimaforschung und viele andere. Die Vielfalt der Parameter in diesen Sachfragen erfordert eine sachliche Analyse und eine breite und detaillierte Information möglichst breiter Schichten der Bevölkerung.
Wichtig ist es auch, auf die Komplexität der Wahrheitsfindung hinzuweisen. Nicht jede Wahrheit kann in eine Schlagzeile gefasst werden. Es ist zudem auch Teil der Wissenschaft, Expertengutachten und Autoritäten in Frage zu stellen, klarzustellen, dass bestimmte Systeme zu komplex sind um eindeutige Antworten mit hundertprozentiger Sicherheit zu erlauben - wenn dieses wiederum auf wissenschaftlicher Basis und unter erweiterter Perspektive geschieht.
Die Vermittlung der wissenschaftlichen Methode, ihrer Gültigkeitsgrenzen und möglichen Lücken wurde als nahezu ebenso wichtig gesehen wie das Resultat selber.
Wissenschaftskommunikation ist auch Service für die Gesellschaft: Ein Verständnis der Natur, der Technik, des Menschen, der geschichtlichen und sozialen Prozesse schafft einen wichtigen kulturellen Wert und einen bedeutenden Beitrag zum menschlichen Selbstverständnis. Wenn es gelingt den wissenschaftlichen Diskurs in der Gesellschaft noch stärker zu verankern, werden Toleranz und Offenheit für das Andere, den Wandel, das Neue und die Resistenz einer Gesellschaft gegen die Vorherrschaft von Ideologien und Meinungsmonopolismus erhöht.
Die Notwendigkeit von Grundlagenforschung in Ergänzung zu der oft öffentlich leichter akzeptierten angewandten Forschung wird oft weit unterschätzt. Die Unterscheidung zwischen „Entdeckungen“ - die unerwartet aus neugiergetriebener Forschung erwachsen - und „Entwicklung“ als der konsequenten Fortführung und Nutzung schon erworbenen Wissens ist auch ein wichtiges Ziel der Wissenschaftskommunikation.
Wir müssen uns auf das Neue vorbereiten und die Suche nach dem Neuen zu einem Teil unserer Gesellschaftskultur entwickeln.