Missbrauch in Heimen: Weiter Debatte um Forschungsarbeit
Die Debatte wegen der Unstimmigkeiten rund um die wissenschaftliche Aufarbeitung zu Gewalt in konfessionellen Heimen in Tirol nach 1945 zwischen Bischof Hermann Glettler und dem Wissenschaftsteam hält an. Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) zeigte sich gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" "schockiert über die Zugangsweise des Herrn Bischof". Dieser wies die Vorwürfe zurück. Glettler hatte die wissenschaftliche Qualität der Studie infrage gestellt.
Diese Kritik hatte Glettler in einem Vorwort zu der nun in Buchform erscheinenden Studie "Demut lernen" formuliert. Er sah in dem Forschungsbericht unter anderem eine "Fixiertheit auf wenige Aussagen", die dem Gesamtblick nicht dienlich sei. Am Freitag legte die Diözese Innsbruck die Sichtweise des Bischofs in einer ausführlichen Stellungnahme auf ihrer Homepage erneut dar. Bei der Ausweitung der Forschungen von zuerst einem Heim - jenem Mädchenheim in Martinsbühel in Zirl, das Ausgangspunkt der Forschungen gewesen war - habe sich recht bald gezeigt, "dass die wissenschaftlichen Gütekriterien aufgrund des zeitlichen Drucks nicht mehr eingehalten werden können", hieß es dort.
Bischof wollte vertiefte Untersuchungen bei Heim
Daher habe der Bischof um eine "vertiefte Untersuchung der Situation im Heim Thurnfeld (in Hall in Tirol, Anm.)" ersucht, "das ihm aufgrund der Fürsorge um die dort noch lebenden Schwestern besonders am Herzen lag". Um die "Repräsentativität" gewährleisten zu können, wollte er mehr Personen befragt wissen, als jene zwei Betroffenen, "die sich selbst gemeldet hatten". Beidem sei leider nicht entsprochen worden, was Glettler laut eigenen Angaben "bedauerte", wie er am späten Freitagnachmittag selbst via kathpress erklärte. Nach Veröffentlichung sei außerdem im Archiv in Thurnfeld eine "Fülle von Dokumenten" aufgetaucht, "die zur Erfassung der Gesamtsituation von Bedeutung seien". Der Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs sei außerdem "als erwiesene Tatsache hingestellt" worden, obwohl die "beschuldigte Schwester eine gegenteilige Erklärung abgegeben hat und damit Aussage gegen Aussage steht". Es könnten bei den Ausführungen zum Heim Thurnfeld nicht zwei befragte Zeugen "für 1.200 Buben stehen, die im Salesianer Heim untergebracht waren" und in jenem genannten Fall, bei dem Aussage gegen Aussage stehe, nicht "der Inhalt einer massiven Beschuldigung als historisches Faktum ausgegeben" werden.
Bischof Glettler gab zudem an, bei den Vorbesprechungen zur Beauftragung der Studie mehrmals betont zu haben, dass "alle Fakten auf den Tisch gelegt gehören und nichts vertuscht werden dürfe". Damit sei primär gemeint gewesen, "dass die Opfer in ihren Aussagen ernst genommen werden müssen, aber auch die Situation der Schwestern und das Versagen der Fürsorgeverantwortung des Landes dargelegt werden muss". So habe er seiner Verantwortung zur "schonungslosen Offenlegung von nicht zu entschuldigenden Vergehen" gerecht werden wollen, ließ der Diözesanbischof wissen. Zugleich obliege ihm jedoch auch "die Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die mit größtem Engagement für das Wohl der ihnen Anvertrauten sorgten und die aufgrund einer unvollständigen Darstellung hier Gefahr einer Pauschalverurteilung laufen".
Die Diözese verwies wiederum auf die umfassende Aufklärungsarbeit und Entschädigungszahlungen durch die Kirche. Glettler eine "Missachtung der Opfer" vorzuwerfen, sei "schlichtweg eine infame Unterstellung", wehrte man sich in der Stellungnahme vehement.
"Jeder Fall von Missbrauch" sei "einer zu viel", unterstrich Glettler selbst zudem gegenüber kathpress. "Alle Betroffenen möchte ich erneut um Vergebung bitten und versprechen, dass die Kirche daraus gelernt hat und betreffend Missbrauchsprävention entschlossen vorangeht." In der Diözese Innsbruck gebe es beispielsweise seit 2011 mit einer Ombudsstelle auch eigene unabhängige Ansprechpersonen für Betroffene. Diese würden der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit unterliegen. Bis dato seien von kirchlichen Einrichtungen auf dem Gebiet der Diözese Innsbruck zudem rund 7,7 Millionen Euro an finanzieller Hilfe für Opfer ausgeschüttet worden, wurde betont. Über 700.000 Euro seien für Therapien geleistet worden. Dieses Geld stamme übrigens nicht aus laufenden Kirchenbeiträgen, sondern sei durch Erträge aus Rücklagen abgedeckt.
Pawlata sieht Rückschritt bei Aufarbeitung
Für die zuständige Landesrätin Pawlata waren die ursprünglichen Äußerungen Glettlers indes nicht nachvollziehbar. "Für die Aufarbeitung des erlittenen Unrechts bedeutet das einen klaren Schritt zurück", meinte sie. Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit - den Projektleiter Dirk Rupnow am Donnerstag vehement zurückgewiesen hatte - stelle nicht nur "die Integrität des gesamten Autorenteams infrage, sondern bagatellisiert auch die Geschichte der Opfer."
Natürlich würden "bestimmte Strukturen" diese Gewalt bedingt haben, "verantwortlich bleiben aber immer die Täter und Täterinnen selbst", hielt Pawlata fest. "Jede Entschuldigung, die mit einem großen 'aber' versehen ist, stellt die Wiedergutmachung in Frage. Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb sich der Bischof in dieser Frage so sträubt", übte die Soziallandesrätin deutliche Kritik.
Forschungsarbeit laut Wissenschaftern mit Hürden verbunden
Der 400 Seiten starke und aus 75 Interviews entstandene Forschungsbericht ist Teil der Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe rund um das mittlerweile geschlossene Mädchenheim Martinsbühel bei Zirl. Dieses war keine Fürsorgeeinrichtung des Landes, es wurden aber vom Land Mädchen dorthin zugewiesen. Geführt wurde das Mädchenheim bis 2008 von den Benediktinerinnen. Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe im Jahr 2010 hatten sich rund 100 ehemalige Heimkinder an die Ombudsstelle der Diözese Innsbruck gewandt.
Das Land richtete schließlich eine unabhängige Entschädigungskommission ein. Zusammen mit der Diözese setzte man eine Dreierkommission ein, die wiederum das Forschungsprojekt ins Leben gerufen hatte. Bei der Erstellung des Forschungsberichts stießen die Autoren allerdings auf Hürden, so war etwa die Aktenlage im Tiroler Landesarchiv sehr dürftig. Obwohl Land und Diözese Auftraggeber des Berichts seien, heiße dies nicht, "dass all ihre Einrichtungen die Forschungsarbeiten unterstützten. Deutlich spürbar war die Sorge, durch Kooperation letztlich in schlechtem Licht präsentiert zu werden", war bei Vorliegen des Berichts im Dezember 2022 erklärt worden. So sei etwa laut Kommission auch die Kooperation mit den Ordensschwestern, die in Martinsbühel gearbeitet hatten, sehr schwierig gewesen.