AK: Bürokratieabbau kann Sozial- und Umweltstandards gefährden
Die Bürokratie und der Aufwand dafür sind schon lange Thema für Staaten, Volkswirtschaft und Unternehmen. Angesichts der Rezession wurde von der Wirtschaftsseite zuletzt noch lauter nach einem deutlichen Abbau des Verwaltungsaufwandes gerufen. Doch die EU-Policy zum Bürokratieabbau hat auch "das Potenzial, Sozial- und Umweltstandards zu untergraben", warnt die Arbeiterkammer untermauert mit einer Studie, die sie veröffentlicht hat. Unterdessen ergibt eine Untersuchung des Economica Instituts, dass Österreich beim bürokratischen Aufwand im europäischen Mittelfeld liegt.
Speziell seit den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren wurde die EU-Gesetzgebung zunehmend als Belastung empfunden, insbesondere für Unternehmen, heißt es in der im Arbeiterkammer-Verlag veröffentlichten Studie "EU Better Regulation" von Brigitte Pirchner von der Södertörn Universität in Schweden. Die Wissenschafterin analysiert die Agenda der Kommission für bessere Rechtsetzung und die Maßnahmen, die sich im Laufe der Zeit verändert haben. In der EU gibt es allerdings doch mehr als 23.000 Gesetze. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es rund 5.000.
Aber: "Bei allem Verständnis für die wirtschaftlich schwierige Lage der Industrie: Wir müssen aufpassen, dass wir mit Bürokratieabbau nicht in Wirklichkeit Demokratieabbau betreiben", sagte Direktorin der Arbeiterkammer (AK), Silvia Hruška-Frank, zur APA. "Vieles, was da vorgeschlagen wird, ist auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll." Dabei verweist sie etwa auf einen Vorschlag der EU-Kommission zu weniger Berichtspflichten bei Tierseuchen. Zudem würden viel zu viele Firmen als Kleine- und Mittlere Unternehmen (KMU) eingestuft.
Fast alle Firmen als KMU definiert
Zur von ihr georteten, möglichen Untergrabung von Sozialstandards schreibt die Forscherin, dass die Kommission in einem Bericht über den Verwaltungsaufwand im Jahr 2023 eine neue EU-Rechtsvorschrift zum Schutz der Arbeitnehmer vor Asbest als Belastung für die Unternehmen bezeichnet habe. Gleichzeitig seien die Vorteile der Erhaltung der Gesundheit der Arbeitnehmer, der Weiterbeschäftigung und ihrer Beiträge zu Steuern und Sozialversicherung völlig außer Acht gelassen worden.
Seit der Zeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würden überhaupt fast alle Firmen als KMU definiert. Das Bürokratie-Problem werde ausschließlich damit begründet, dass die EU-Rechtsvorschriften für Unternehmen, insbesondere für KMU, zu aufwendig und kostspielig seien. Die Definition von KMU sei allerdings derart weit gefasst, dass heutzutage 99,8 Prozent aller Unternehmen unter diese Kategorie fielen. Die Kosten seien das zentrale Thema. So würden die politischen Lösungsansätze praktisch nur noch auf die Kosten abzielen, "während der Wert einer Regelung außer Acht gelassen wird", schreibt Pirchner.
KMU seien insgesamt bereits "häufig von Kontroll- und Berichtspflichten ausgenommen". Das habe auch für Unternehmen der gefallenen Signa-Gruppe rund um Rene Benko gegolten, die so "häufig von Kontroll- und Berichtspflichten ausgenommen" seien. Die Signa-Milliardenpleite ist nicht nur die größte Pleite der österreichischen Geschichte, sondern auch der größte Insolvenzfall in Europas Immobilienbranche.
Gesellschaftspolitische Ziele nicht im Mittelpunkt
Seitens der Kommission sind über 2024 hinaus Erleichterungen von Berichtspflichten für Unternehmen angekündigt, auch wenn die Behörde gerade neu besetzt wurde. "Diese Maßnahmen können jedoch dazu führen, dass Unternehmensinteressen Vorrang vor gesellschaftlichen Rechten erhalten, was die Sozialsysteme gefährdet und das Risiko prekärer Arbeitsbedingungen in der gesamten EU erhöht", schreibt Pirchner. Gesellschaftspolitische Ziele stünden nicht im Mittelpunkt. Die durch von der Leyen forcierte Deregulierung stehe auch eindeutig im Kontrast zu von der Leyens Green Deal, heißt es in der Studie.
Österreich im europäischen Mittelfeld
Dass Österreichs Unternehmen unter einer überbordenden Bürokratie zu ersticken drohen, sagt die Industriellenvereinigung schon seit Jahren - nun hat die IV ihren Chefökonomen Christian Helmenstein und sein Economica Institut beauftragt, diese Kritik mit einer Studie und Zahlen zu untermauern. Das Ergebnis: Die Bürokratiebelastung ist in Österreich zwar geringer als in den meisten Nachbarländern, der Abstand zu den Best Performern in Skandinavien und im Baltikum ist aber groß.
Bis zu 15 Mrd. Euro im Jahr geben die Unternehmen in Österreich für Steuererklärungen, Jahresabschluss, Berichtspflichten und Ähnliches aus, berichtet die Zeitschrift "Pragmaticus" in ihrem aktuellen Bericht und verweist auf die Economica-Studie, wonach Österreich in dem von Economica entwickelten Bürokratiekostenindex mit einem Score von 60 Punkten im europäischen Mittelfeld liegt. Zum Vergleich: Deutschland und Tschechien schneiden mit jeweils 55 Punkten deutlich schlechter ab, in der Slowakei (37 Punkte), Ungarn (46) und Italien (43) ist die Bürokratiebelastung aber noch viel größer. Slowenien (61) hat etwa das gleiche Niveau wie Österreich.
Klares Nord-Süd-Gefälle
Insgesamt ist ein klares Nord-Süd-Gefälle in der EU erkennbar: Der Südosten und der Süden haben die niedrigsten Scores, was bedeutet, dass die Kosten und der bürokratische Aufwand in diesen Ländern am höchsten ausfallen. Besonders gering sind die Bürokratiekosten in Finnland (83), Schweden (78), Dänemark (77), Estland (73) und Holland (72).
Die Erstauflage des Bürokratiekostenindex (BKI) für Unternehmen mit Daten aus dem Jahr 2023 beinhaltet insgesamt 25 Indikatoren, für die EU-weit vergleichbare Scores berechnet und zu einem einzigen Index aggregiert werden. Die Indikatoren wurden aus diversen internationalen Quellen zusammengetragen, indem Datenbanken, Indikatorensammlungen und bestehende Indizes systematisch durchsucht wurden. Der BKI soll die bürokratischen Kosten, den Personalaufwand sowie nicht-monetäre Hürden in allen Ländern der EU vergleichbar machen.