Hinweise auf subtile Bevorzugung von Arbeiten von Männern in Physik
Bei einem Vergleich von inhaltlich sehr ähnlichen Physik-Publikationen in Fachjournalen hat ein Team um Fariba Karimi vom Complexity Science Hub (CSH) in Wien Hinweise auf strukturelle Bevorzugung männlicher Hauptautoren gefunden. Ihre Erkenntnisse präsentierten die Forscher im Fachblatt "Communications Physics". Sieht man sich Paare gleichwertiger Arbeiten von Frauen und Männern an, "bekommt der Mann im Durchschnitt 0,84 Zitierungen mehr als eine Frau", so Karimi zur APA.
Der Ausgangspunkt für die Arbeit war ein Ausspruch eines italienischen Kollegen im Jahr 2018 am Europäischen Kernforschungszentrum CERN, der besagte, dass die Physik "von Männer erfunden und aufgebaut wurde" und männliche Physiker bessere Forschungsarbeiten lieferten als Frauen, heißt es in einer Aussendung des CSH. Für seine Analyse zu dem Thema konnte das aus Hyunsik Kong, Samuel Martin-Gutierrez und Karimi bestehende Team auf einen Datensatz zu einschlägigen Publikationen der "American Physical Society" zurückgreifen.
Mit einer Kombination aus Analysen der Namen und von auffindbaren Fotos der Forscherinnen und Forscher erfolgte die Geschlechterzuordnung der jeweiligen Hauptautoren der mehr als 541.000 wissenschaftlichen Artikel, die zwischen 1893 und 2010 erschienen sind. Dies offenbarte die erwartbare Schieflage in den historischen Daten: 9.947 Frauen standen 60.886 Männer als Hauptautoren gegenüber.
"Äpfel mit Äpfeln" verglichen
Die jahrzehntelange dominante Stellung von Männern in der Physik war allerdings nicht der Fokus der Studie. Um herauszufinden, ob Frauen und Männer für vergleichbare wissenschaftliche Leistungen unterschiedliche Aufmerksamkeit in Form von Zitierungen erhalten, suchte das Team nach möglichst ähnlichen Arbeiten. Dabei ging es um Publikationen, in denen sich das Gros der Verweise auf andere Arbeiten überschnitten hat. Mit einer statistischen Methode konnten die Forscher ausschließen, dass die Gemeinsamkeiten zufällig zustande kamen, so Karimi.
So konnte man sicherstellen, dass "Äpfel mit Äpfeln" verglichen wurden. Als wichtigster Faktor für Aufmerksamkeit entpuppte sich die zeitliche Komponente. Wer zuerst mit einer einschlägigen Erkenntnis aufwarten konnte, wurde selbstverständlich deutlich öfter zitiert als jemand, der ein Ergebnis etwa replizierte - soweit keine Überraschung. Allerdings fand das Team heraus, dass Männer deutlich öfter zuerst mit ihren Ergebnissen in Fachjournalen unterkommen. Sind hingegen Frauen beim Publikationsdatum im Vorteil, erhalten sie trotzdem im Schnitt etwas weniger Aufmerksamkeit in der Fachcommunity, so die Analyse.
Karimi und Kollegen sehen hier einen Hinweis auf "strukturelle Ungleichheiten", die mit der historischen Dominanz von Männern in der Physik zusammenhängen dürften. In der aktuellen Studie habe man allerdings nur gezeigt, dass Männer offenbar einen Vorteil dabei haben, ihre Resultate früher zu publizieren. Worin genau diese "First-Mover"-Vorteil begründet ist, sei offen, so Karimi. Dass Männer früher zum Zug kommen, könnte im Prinzip auch darin begründet sein, dass es einfach viel mehr in dem Feld gab und gibt, räumt die Physikerin und Computerwissenschafterin ein.
Insgesamt erhalten auch ältere und renommierte Wissenschafter mehr Aufmerksamkeit für ähnliche Arbeiten als etwa Jungforscher. Das zeigten kürzlich andere Studien. Da Frauen in höheren Positionen in der Physik besonders stark unterrepräsentiert sind, dürfte auch das ein Faktor sein. Ob etwa Männer Arbeiten anderer Männer im Rahmen des Überprüfungsprozesses vor der Veröffentlichung durch Fachkollegen ("Peer-Review"-Prozess) tendenziell wohlwollender beurteilen, und so Publikationen gleichwertige von Frauen fallweise quasi überholen, könne man auf Basis der aktuellen Untersuchung nicht beurteilen, erklärte Karimi.
Service: https://doi.org/10.1038/s42005-022-00997-x