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Niederschwellig vermitteln

Es gibt gute Gründe und verschiedene Wege bildungsbenachteiligte Personen in Kontakt mit Wissenschaft zu bringen.
APA/ Georg Hochmuth
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Spätestens seit der Corona-Pandemie ist die Bedeutung von Wissenschaftsvermittlung in aller Munde. Auch im Hinblick auf den Klimawandel ist die Fähigkeit der Wissenschaft, Ergebnisse und Prozesse zu vermitteln, zentral. Dabei belegen Studien unter anderem einen Mangel an Formaten, die sich an „bildungsbenachteiligte“ Personen oder Gruppen richten. Expertinnen und Experten teilen diesen Befund gegenüber APA-Science und zeigen Wege auf, diese gesellschaftspolitisch wichtige Aufgabe zu erfüllen. 

Ob im Umfeld der Familie, in Leitartikeln und Kommentarspalten von Tageszeitungen oder in Online-Foren: Gesellschaftliche Themen werden anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen ausverhandelt. Für Wissenschaftsforscherin und Physikerin Ulrike Felt ist deswegen Wissenschaftsvermittlung in unserer modernen Gesellschaft nicht weniger als eine demokratiepolitische Aufgabe: „Wenn sich eine Gesellschaft so stark darauf verlässt, dass ihr Fortschritt darin besteht, dass wissenschaftlich-technische Innovationen geschehen, dann ist es total wichtig, auch den Sinn dieser Innovationen mitzutransportieren, ansonsten verliert man die Gesellschaft“, erklärt die Universitätsprofessorin der Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien, die für die Stadt Wien Wissenschaftsvermittlungsaktivitäten in einer Studie kartographiert hat. Dabei ist es besonders schwierig, Personen, die nicht als „bildungsaffin“ gelten, außerhalb des Schulkontextes zu erreichen, sagt auch Barbara Streicher, die als Geschäftsführerin des Vereins ScienceCenter-Netzwerk interaktive Wissenschaftsvermittlung in Österreich betreibt und koordiniert.  

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12.08.2023, Bayern, WŸrzburg: Ein junger Mann sitzt mit Kopfhšrer auf einer Bank. Am 12. August ist Internationaler Tag der Jugend. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Österreich und die Wissenschaft

 

Vergangene Untersuchungen zu dem Thema waren für Österreich wenig schmeichelhaft: Eine 2021 veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage attestierte der österreichischen Bevölkerung wiederholt ein vergleichsweise geringes Interesse an Wissenschaft, bis hin zu verbreiteter „Wissenschaftsskepsis“.

 

Auch laut dem „Wissenschaftsbarometer“ der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vertrauen 30 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher der Wissenschaft kaum. Niedriges Bildungsniveau und monatliches Nettoeinkommen spielen dabei eine Rolle: Personen ohne Matura stehen der Wissenschaft demnach doppelt so häufig skeptisch gegenüber wie jene mit abgeschlossener Reifeprüfung – ein Haushalts-Nettoeinkommen von unter 1.500 Euro hat ungefähr den gleichen Effekt.

 

Nun stellte das Bildungs- und Wissenschaftsministerium (BMBWF) die Ergebnisse einer Ursachenstudie zur Wissenschafts- und Demokratieskepsis vor, die vom Institut für Höhere Studien (IHS) umgesetzt wurde. Es hat sich gezeigt, dass es in Österreich „definitiv eine Neigung zu Kritik und Skepsis gegenüber Wissenschaft und Demokratie gibt“, das Phänomen sei aber nicht so ausgeprägt wie oftmals angenommen  (siehe „Harter Kern von zehn Prozent Wissenschaftsskeptikern in Österreich„).

"Es braucht eine Vielzahl von niederschwelligen Formaten." Barbara Streicher, Verein ScienceCenter-Netzwerk

Nach den diversen Befunden zur Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung in Österreich und der damit verbundenen medialen Diskussion ist in der Wissenschaftsvermittlung „einiges in Bewegung geraten“, meint Streicher gegenüber APA-Science. Doch eine Schwachstelle gibt es noch: „Es braucht eine Vielzahl von niederschwelligen Formaten.“ 

APA (dpa)
Angebote machen, Räume schaffen

 

„In der Wissenschaftsvermittlung geht es darum, Verknüpfungsstellen zwischen der Wissenschaft und Gesellschaft aufzuzeigen und zu zeigen, wie Wissenschaft funktioniert – also wie Wissen erzeugt und umgesetzt wird“, erklärt Felt. Die Wissenschaft soll dabei nicht als ein geschlossenes System, das Fakten produziert, dargestellt werden. Vielmehr müsse man einen Raum schaffen, in dem die Interaktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stattfinden kann und gegenseitige Auseinandersetzung und Wahrnehmung möglich wird, so die Expertin.

 

Das Ganze ist kein bildungspolitisches Randthema: „Wenn man Demokratie ernst nehmen will, muss man Leuten die Möglichkeit geben, sich mit den Themen, die ihre Gesellschaft und Umwelt gestalten, auseinandersetzen zu können – wenn sie das möchten“, sagt Felt. Zumindest potenziell müssten Bevölkerungsgruppen angesprochen werden, die man sonst für einen ernstgemeinten demokratischen Prozess “verlieren“ würde. 

 

„Wissenschaftsvermittlung macht man, in dem man direkt auf die Leute zugeht“, meint auch Streicher. Sie benutzt deswegen gerne der Begriff „science engagement“. Im Vergleich mit klassischer Wissenschaftskommunikation stehen dabei Interaktion und unmittelbare Rückmeldungen im Fokus. Es gehe um das spontane Identifizieren von Anknüpfungspunkten, auf die man direkt reagieren kann.  

"In der Wissenschaftsvermittlung geht es darum zu zeigen, wie Wissenschaft funktioniert – also wie Wissen erzeugt und umgesetzt wird." Ulrike Felt, Universität Wien

Bewusstsein für vielfältige Zielgruppen schaffen

Die Gruppe der Personen, die im Laufe ihres ganzen Lebens wenig Berührungspunkte mit Wissenschaft hat, ist dabei alles andere als homogen. Das Miteinbeziehen eines „Bildungsbasisprofils“ ist laut Felt sinnvoll, um festzustellen, inwiefern Werkzeuge und Grundbildung zur Orientierung in der Welt zur Verfügung stehen. 

Der überholte Begriff „bildungsfern“ gibt der Gruppe einen Teil der Verantwortung. Laut Barbara Streicher gibt es viele Studien, die dieses „double deficit“ – einfach gesagt: „Ihr kennt euch nicht aus und ihr seid selber schuld daran“ – problematisieren. „Wenn man von „bildungsbenachteiligten“ Personen spricht, macht man klar, dass die Schuld nicht bei der beschriebenen Personengruppe liegt“, so die Expertin. Niederschwellige Wissenschaftsvermittlung wäre hingegen der positive Begriff – dabei bleibt nämlich sowohl die Art als auch die „Höhe“ der Schwelle offen. 

Aber auch wenn solide Grundkenntnisse vorhanden sind, gibt es Personen, die einfach in keiner Weise mit Wissenschaft zu tun haben. Oft fehlt die zentrale soziale Komponente: „Die wenigsten Leute haben Beziehung zu jemandem, der in der Wissenschaft arbeitet“, so Felt. Soziale Berührungspunkte sind aber oft ein Hauptgrund, überhaupt mit wissenschaftlichen Prozessen in Kontakt zu treten. „Wenn keine Beziehung und keine räumliche Nähe zu Angeboten besteht, dann wird daraus nichts.“ 

ScienceCenter-Netzwerk/Marko Kovic
„Wissenschaftskreisler“ für jedes Grätzl 

 

Die Stadt Wien hat räumliche Leerstellen durch die von Ulrike Felt durchgeführte Studie „Die Stadt als Wissensraum“ identifizieren lassen. Ein darauffolgender Fördercall hatte zum Ziel, Projekte zu fördern, die räumliche Nähe für spontane Begegnung schaffen. Sogenannte Wissenschaftskreisler könnten, so Felt, weit weg von institutionellen und räumlichen Schwellen, als Interaktionspunkte dienen.  

 

In diesem Sinne sei es wichtig, erklärt Streicher, sich an lokal verankerte Organisationen zu wenden. Grätzl- und Community-Organisationen, Jugend- und Bildungszentren oder auch Bibliotheken sind im Rahmen ihrer Arbeit Kooperationspartner. „Wir versuchen weder inhaltliche noch räumliche oder finanzielle Hürden zu schaffen und uns auch in die Nähe von Personen zu begeben, die als nicht bildungsprivilegiert gelten.“

 

Die geschaffenen Räume zur Vermittlung sollten demgemäß niederschwellig zugänglich, konsumfrei und informell sein und interaktive Beschäftigung mit Wissenschaft ermöglichen. Optimal wäre es, verschiedenste Räume in unterschiedlichen Grätzln und Orten zu schaffen. Dabei dürfen ländliche Regionen, wo sich ganz andere Problemlagen als im urbanen Raum ergeben, nicht vergessen werden, so Streicher.  

Sensibilität gefragt 

Man müsse außerdem auf ein mehrsprachiges Vermittlungsteam setzen, das verschiedenste Kulturen repräsentiert. Ziel dabei sei einerseits, dass die Personen, die Wissenschaft vermitteln, ein Bild abgeben, welches die Gesellschaft gut trifft – sie also entsprechend divers aufgestellt sind – und anderseits, „Role Models“ zu bieten, meint Streicher. Gerade bei jungen Menschen soll so auch Selbstvertrauen geschaffen werden: „Diese Role Models sollen das Gefühl vermitteln, dass ich das auch kann, wenn er oder sie das schafft.“  

Die Sprache ist dabei zweifach wichtig: Auch wenn nicht immer alle Sprachen zu jedem Zeitpunkt gesprochen werden können, ist es möglich, durch mehrsprachige Plakate oder Einladungen ein Willkommensgefühl zu erzeugen. Außerdem müsse man „sprachsensibel“ vermitteln: In der Wissenschaft werden Begriffe aus der Alltagssprache oft in einem umgekehrten Sinne verwendet. Wenn etwas „nur eine Theorie ist“, muss man sich nicht darauf verlassen, eine wissenschaftliche Theorie sei hingegen etwas schon sehr Fundiertes, erläutert Streicher.   

Kulturwandel statt Projektmentalität 

Die Evaluierung von Projekten der Wissenschaftsvermittlung gestaltet sich oft schwierig, weil der Erfolg sich anhand einfacher Indikatoren nicht leicht beurteilen lässt. Ulrike Felt plädiert dafür, weniger „projektorientiert“ zu denken: Es gehe eben um langfristige gesellschaftliche Veränderung, die nicht so gut zu dem Modell zwei- bis dreijähriger Finanzierungen passen würde. Erfolgreich sei man dann, wenn „ausreichend gute“ Angebote geschaffen worden sind, die Möglichkeiten eröffnen.  

So meint auch Barbara Streicher, eine Initiative oder ein Workshop seien dann gelungen, wenn sich die Teilnehmenden einbringen können – nämlich „wenn die teilnehmenden Personen emotional oder intellektuell an den Gedanken andocken, dass Wissenschaft etwas Spannendes ist“.

Expertinnen der Geschichte

Ulrike Felt ist Professorin und Leiterin des Institutes für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien

Barbara Streicher ist Geschäftsführerin des Vereins ScienceCenter-Netzwerk

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