Klima-Glossar: Nachhaltige Stadtentwicklung
Weltweit leben immer mehr Menschen in Städten. Wie die Städte der Zukunft aussehen werden, ist nicht gewiss. Eines ist jedoch sicher: Sie werden immer heißer. Laut Thomas Madreiter, dem Planungsdirektor der Stadt Wien, war der bisherige Wiener Temperaturanstieg etwa doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt. Nur eine nachhaltige Stadtentwicklung wird Städte künftig weiter lebenswert erhalten. Nachhaltigkeit bedeutet dabei aber viel mehr als "bloß" Klimafitness.
"Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit ist eminent wichtig", sagt der an der TU Wien lehrende Ökonom und Stadtsoziologe Alexander Hamedinger. Damit gemeint ist einerseits die Einbeziehung der Bürger in zukunftsweisende Entscheidungen, andererseits die gesellschaftliche Durchmischung. "Soziale Inklusion ist ein zentrales Element nachhaltiger Stadtentwicklung", weiß Hamedinger und entwirft ein Städtebild der Zukunft, in der auf Nachhaltigkeit keinen Wert gelegt würde: "Dann sehen wir segregierte Städte, die in Viertel aufgeteilt sind. Geld bestimmt, wo man wohnt. Der öffentliche Raum ist kommerzialisiert und privatisiert, es findet kein sozialer Kontakt in ihm statt."
In Wien spielen Nachhaltigkeitsüberlegungen seit den 1990ern eine Rolle in der Stadtplanung. Die "Lokale Agenda 21" eröffnet dabei unmittelbare Handlungsspielräume im Kleinen, die 17 "Sustainable Development Goals" der UNO liefern die Orientierung im Großen. Die Innovationsstrategie zur Umsetzung bekam den Titel "Smart City". "Eine smarte Stadt muss einen Umgang mit dem Klimawandel finden, da er letztlich eine soziale Herausforderung darstellt", schreibt Madreiter in seinem 2021 erschienenen und aus einer "Wiener Vorlesung" hervorgegangenen Buch "Die nachhaltige Stadt".
Leistbares Wohnen, emissionsarmer Verkehr und kurze Wege sind drei Eckpfeiler von nachhaltiger Stadtentwicklung. Die "15-Minuten-Stadt" hat sich die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zum Ziel gesetzt - und angesichts von für 2050 prognostizierten Sommertemperaturen von bis zu 50 Grad Celsius die Rückgewinnung der Seine als Badegewässer als unabdingbar erklärt. Paris gilt als Vorzeigemodell dafür, wie rasch entschlossenes politisches Handeln spürbare Verbesserungen im urbanen Zusammenleben bringen kann.
Pilgerziele für Stadtplaner
Kürzlich war Experte Hamedinger in Seoul und gerät ins Schwärmen: "Auch die machen vieles richtig." In Teilen der südkoreanischen 10-Millionen-Metropole setze man auf "Green and Blue Infrastructure", arbeite aktiv dem Entstehen von Hitzeinseln entgegen und priorisiere den öffentlichen Verkehr. Hamedingers Lieblingsprojekt: Ein Flussbett, das vor Jahrzehnten durch eine Stadtstraße überbaut wurde, beherbergt nun wieder ein offenes Fließgewässer.
Auch in den neuen Stadtteil Vauban in Freiburg im Breisgau pilgern Stadtplaner aus aller Welt. Er wurde auf einem ehemaligen Kasernenviertel am Stadtrand grün und autoarm geplant. Hier setzt man in Sachen Verkehr auf dichte Tram-Intervalle und Carsharing. "Überhaupt liegt im Teilen und Tauschen im Stadtteil ein großes Nachhaltigkeitspotenzial", sagt Hamedinger. Das "Gute Leben für alle" ist das Ziel - und der Weg dorthin hat unendlich viele Facetten, von der thermischen Sanierung bestehender Gebäude und der Umstellung auf energiesparende und emissionsarme Heizungssysteme bis zu gesunder, aus der Region stammender Nahrung und Müllvermeidung oder der Schaffung von natürlichen Kaltluftschneisen. "Nachhaltigkeit ist ein echtes Querschnittsthema."
Nachhaltige Stadtentwicklung steht ganz oben auf der politischen Agenda. Beim "Brussels Urban Summit" waren sich kürzlich Vertreter von über 300 Städten aus der ganzen Welt einig, dass die Klimakrise eine der zentralen Herausforderungen für die Urbanität der Zukunft bedeutet. Und auch das auf EU-Ebene umstrittene "Nature Restauration Law" widmet der Wiederherstellung städtischer Ökosysteme einen eigenen Abschnitt. Doch verpflichtende Ziele wie Vergrößerung von städtischer Grünfläche und der Baumüberschirmung stießen auf teilweise heftigen Widerstand. In jenen Städten, in denen Zuzug und Migration für Bevölkerungswachstum sorgen, müsse die Priorität auf Schaffung von Wohnraum und nicht von Grünraum gelegt werden, hieß es seitens der Kritiker.
"Im Großen ist bei der Umsetzung noch Luft nach oben", gibt Stadtforscher Hamedinger zu: "Im Kleinen bewegt sich aber Vieles in die richtige Richtung. Es passiert was!" In Wien waren etwa die Bewohnerinnen und Bewohner der Bezirke Mariahilf, Währing und Floridsdorf im Frühjahr dazu aufgerufen, im Rahmen der zweiten Runde der Initiative "Wiener Klimateam" Grätzl-Ideen zum Klimaschutz einzureichen. Diese werden im Herbst gemeinsam mit Experten weiterentwickelt. Am Ende des Jahres empfiehlt dann eine Bürger-Jury, welche Projekte von der Stadt Wien umgesetzt werden sollen.
Service: Thomas Madreiter: "Die nachhaltige Stadt. Städte als Laboratorien des Wandels", Picus Verlag, 64 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-7117-3022-0; Raphaela Kogler / Alexander Hamedinger (Hg.): "Interdisziplinäre Stadtforschung. Themen und Perspektiven", Transcript Verlag, 412 Seiten, 35 Euro, ISBN 978-3-8376-5296-3, https://sektionstadtforschung.wordpress.com; https://klimateam.wien.gv.at