Österreich hat bei Omikron laut Forscher große Wissenslücken
Beim Testen gehört Österreich zu den Spitzenreitern, nicht aber, was den Umgang mit Corona-Varianten und Sequenzierungen betrifft. Dies erfolgt hierzulande viel zu langsam und nur im Rückblick, sagte der Genetiker Ulrich Elling am Dienstag im "Ö1-Morgenjournal". Die vorliegenden Informationen sind "weit zu lückenhaft, um einschätzen zu können, wie hoch die Dunkelziffer in Wien ist. Für viele andere Regionen wissen wir einfach nur, dass wir nichts wissen", kritisierte er.
Diese Meldung wurde aktualisiert. Neu: Einschätzung Klimeks
Komplexitätsforscher Peter Klimek wiederum sprach im "Ö1-Mittagsjournal" in Bezug auf Omikron nicht von einer Welle, sondern von einer "Wand". Diese "Pandemie 2.0" sei nicht mit den bisherigen Erkrankungswellen zu vergleichen: Durch die Impfungen und überstandenen Infektionen habe sich in der Bevölkerung eine Immunität aufgebaut, weshalb nicht unbedingt mit höheren Hospitalisierungen zu rechnen sei.
Nach den bisherigen Zahlen würde sich Omikron jedoch zwei- bis dreimal schneller verbreiten. Klimek: "Wenn die Welle so steil ist, muss man fast von einer Wand sprechen, die da auf uns zu kommt." Dadurch ergeben sich Fragen nach der kritischen Infrastruktur. Wenn die Zahlen durch die Decke gehen, sei der Betrieb von Krankenhäusern, Supermärkten oder anderen Einrichtungen gefährdet. Hier stelle sich die Frage, ob man - bevor etwa die Stromversorgung zusammenbricht, eine Person trotz Corona-Erkrankung arbeiten lässt.
Positiv sei laut Klimek, dass je höher die Welle wird, desto früher sei sie vorüber. Es sei notwendig, die bisherigen Maßnahmen zu überdenken. Unter Umständen ist es vernünftiger, "schnell durchzutauchen, als durch ein Abflachen die Infrastruktur zu gefährden".
Allein über das Wochenende sind in Salzburg und Innsbruck dutzende Flieger mit Touristen aus Großbritannien gelandet, dort ist die ansteckendere Omikron-Variante bereits dominant, London hat bereits den Katastrophenfall ausgerufen. Einen negativen PCR-Test müssen die Urlauber erst seit Montag vorweisen. Elling schätzt, dass bereits rund 5.000 Personen aus Großbritannien eingereist sind. Pro Tag werden somit "15 Fälle importiert", die dann direkt in die Skigebiete weiterreisen, sagte der Experte.
Hinken bei Sequenzierung hinterher
In Dänemark beispielsweise wird jede positive Corona-Probe innerhalb weniger Tage sequenziert, erläuterte Elling. Das Team des Wissenschafters und jenes von Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) führt hierzulande Sequenzierungen durch. Die Experten bekommen aber nur sporadisch Proben, und diese sind "typischerweise mehrere Wochen alt", kritisierte der Forscher vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der ÖAW.
"Wir blicken in den Rückspiegel und zwar ziemlich weit zurück, während wir Vollgas vorausfahren", konstatierte Elling. Außerdem gibt es in Österreich mehrere Bundesländer, die überhaupt keine Virusvarianten-Vortests durchführen. Einmal mehr ist Wien diesbezüglich Vorreiter. In der Bundeshauptstadt werden alle positiven PCR-Proben auf Virusvarianten vorgetestet, berichtete der Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ), Mario Dujakovic. In Wien wurden somit auch die bisher meisten Omikron-Fälle bestätigt - 193 der 297 Nachweise der neuen Variante gab es bis Sonntag in der Bundeshauptstadt.
Elling erhofft sich jedenfalls von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), dass es möglichst rasch ein "strukturiertes Logistiksystem für Stichprobensequenzierungen" gibt. Außerdem müssen die Wissenschafter die Daten verschränken können, um die Situation einschätzten zu können. Dazu gehört die Verbindung positiver Fälle mit Alter, Impfstatus und Informationen über die Schwere des Verlaufs.
Laut AGES hätten mehrere Bundesländer bereits angekündigt - nunmehr 666 Tage nach den ersten positiven Fällen in Österreich - Virusvarianten-Vortests zu starten. Hierfür seien aber spezielle Testkits und Reagenzien erforderlich und somit sei es eine Frage der Zeit, bis das anlaufen werde. Elling rechnet jedenfalls damit, dass bereits ab dem Jahreswechsel Omikron und somit auch die Corona-Neuinfektionszahlen sprunghaft ansteigen könnten.