Erlass bringt mehr Unterstützung für behinderte Schüler
Im Frühling hat das Handelsgericht Wien festgestellt, dass in Österreich Kinder und Jugendliche mit Behinderung diskriminiert werden, weil nur Schülerinnen und Schüler mit körperlicher Behinderung bzw. einer bestimmten Pflegestufe ein Recht auf persönliche Assistenz haben. Nun hat das Bildungsministerium einen neuen Erlass herausgegeben, durch den auch Schüler mit einer Sinnesbehinderung oder im Autismus-Spektrum Zugang zu solchen Unterstützungsangeboten bekommen.
Diese Meldung wurde aktualisiert. Neu: Reaktion von Behindertenanwältin Christine Steger (vorletzter und letzter Absatz)
Bisher waren diese Kinder und Jugendlichen von Persönlicher Assistenz, die sie im Alltag in schwierigen Situation unterstützt, ausgeschlossen. Die Folge war laut dem Klagsverband, der gegen die bisherige Regelung vor Gericht gezogen war, dass viele Kinder und Jugendliche mit psychosozialen oder Sinnesbehinderungen bzw. geringer Pflegegeldstufe keinen Zugang zu Gymnasien oder berufsbildenden höheren Schulen hatten und etwa auf Sonder- oder Mittelschulen ausweichen mussten. Nach einer Schätzung des Klagsverbands waren davon mindestens einige hundert Schüler betroffen.
Mit der Neuregelung ist nun eine Persönliche Assistenz unabhängig von der Behinderung möglich. Außerdem gibt es Unterstützung nicht mehr nur in der Schule selbst (inklusive der bisher ausgeschlossenen Freistunden), sondern auch am gesamten Hin- und Rückweg oder bei ein- und mehrtägigen Schulveranstaltungen und schulbezogenen Veranstaltungen sowie Pflichtpraktika.
Gemischte Reaktionen
Für Theresa Hammer, fachliche Geschäftsführerin und Leitung der Rechtsdurchsetzung des Klagsverbands, ist der neue Erlass "ein Schritt in die richtige Richtung". Bildungsdirektionen und Schulen müssten nun tatsächlich für bedarfsgerechte Unterstützungsmöglichkeiten sorgen, sagte sie in einer Stellungnahme gegenüber der APA.
Für Sonja Tollinger, Obfrau von Integration Tirol, bringt der Erlass gerade für Kinder im Autismus-Spektrum wesentliche Verbesserungen. Es sei wichtig, dass das Bildungsministerium die breite Öffentlichkeit über die neuen Möglichkeiten bei der Persönlichen Assistenz an Bundesschulen aktiv informiere. "Nur so können Familien und Angehörige überhaupt erst auf die Idee kommen, Persönliche Assistenz zu beantragen."
Für den Klagsverband muss sich freilich erst zeigen, "ob es immer zu diskriminierungsfreier und bedarfsgerechter Unterstützung kommen wird". Auch für BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter bleibt noch abzuwarten, ob die Umsetzung in der Praxis tatsächlich den Bedürfnissen der Schüler mit Behinderungen gerecht wird, betont er in einer Stellungnahme.
Auch darüber hinaus bleibt aus Sicht der Interessensverbände bei der Gleichstellung von Schülern mit Behinderung weiterhin einiges zu tun. "Von einem inklusiven Bildungssystem, wie es die UN-Behindertenrechtskonvention fordert, sind wir trotz der Besserung im Bereich der Persönlichen Assistenz an Bundesschulen aktuell weit entfernt", kritisiert Tobias Buchner vom Unabhängigen Monitoringausschuss, der in Österreich die Einhaltung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung überwacht. In der Staatenprüfung Österreichs im vergangenen Sommer wurde vor allem kritisiert, dass es weiterhin Sonderschulen gibt.
Außerdem würden Lehrerinnen und Lehrer nicht ausreichend für den Umgang mit behinderten Schülern ausgebildet, Kinder und Jugendliche mit Behinderung sollten Zugang auch zu außerschulischer pädagogischer Betreuung bekommen und die Österreichische Gebärdensprache im Bildungsbereich anerkannt und genutzt werden.
Erfreut zeigte sich Behindertenanwältin Christine Steger, sah aber noch Verbesserungsbedarf: "Der aktuelle Erlass des Bildungsministeriums ist zu begrüßen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie dieser umgesetzt wird", sagte sie in einer Aussendung. Sie wies darauf hin, dass in Kindergärten und Pflichtschulen Kinder und Jugendliche Unterstützungsleistungen durch die Länder und Gemeinden erhalten: "Dabei gibt es hinsichtlich der Zugangsvoraussetzungen und des Umfangs der vorhandenen Angebote große Unterschiede." Die Verbesserungen, die der neue Erlass mit sich bringt, kommen also "nur einem Teil der Menschen mit Unterstützungsbedarf im Bildungsbereich zugute", sagte sie.
Auch verwies Steger darauf, dass in der neuen Regelung vorgesehen sei, die Unterstützung von Kindern aus dem Bereich Autismus zu deckeln. "Das ist absolut nicht mit den Zielen der UN-Konvention im Hinblick auf angemessene Vorkehrungen zu vereinbaren und daher abzulehnen." Assistenz und Unterstützung im Schulbereich müsse bedarfsgerecht, passgenau und anlassbezogen zur Verfügung gestellt werden.