Neue Sachbücher: Rohstoffe, Autos, Amphibien und Architektur fürs All
Im Folgenden einige Neuerscheinungen zu diversen Themen, von Rohstoffen, die die Geschichte der Menschheit prägen, bis zu Architektur und Lebensräumen der Zukunft.
Ed Conway erzählt spannende Geschichten über sechs Rohstoffe
"You know that we are living in a material world", sang Madonna schon 1984. "Material World" heißt ein Buch, das der erfahrene und einflussreiche britische Wirtschaftsjournalist Ed Conway im Vorjahr herausbrachte und nun auf Deutsch erschienen ist. Wer mitten in der digitalen Transformation lebe, könne den Eindruck gewinnen, das Handfeste verliere an Bedeutung, schreibt er. "Aber das Gegenteil ist richtig." Die Statistik des Jahres 2019 zeige etwa: "In einem einzigen Jahr haben wir mehr Ressourcen gewonnen als die Menschheit im allergrößten Teil ihrer Geschichte." Auch der angestrebte Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ändere nichts daran: "Auf jede Tonne fossiler Brennstoffe beuten wir sechs Tonnen anderer Materialien aus - vorwiegend Sand und Gestein, aber auch Metalle, Salze und Chemikalien."
Für sein faszinierendes Buch hat Conway "sechs Rohstoffe, die die Geschichte der Menschheit prägen", ausgewählt: Sand, Eisen, Salz, Öl, Kupfer und Lithium. Sie seien "die unverzichtbaren Bestandteile unserer Welt", schreibt er. "In Geschichten über die Menschheit und ihre Errungenschaften kommen sie nur selten vor, und wenn, dann als träge Substanzen, die von einem genialen Erfinder ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden." Diesen Umstand ändert er mit seinem Buch gründlich, indem er Fakten und Geschichten zu einem Konglomerat verbindet, das sich stellenweise spannend wie ein Krimi liest. "Material World" verbindet anschaulich und kurzweilig Wirtschaftsgeschichte mit den Zukunftsfragen der Gegenwart. Auch Klimaneutralität lasse sich ohne Rohstoffe nicht gewinnen. "Was ist eigentlich ein Offshore-Windrad?", fragt Conway. "Die Antwort lautet: ein Bauwerk aus Glas, Eisen, Kupfer und Öl mit einer Prise Salz."
Service: Ed Conway: "Material World. Wie sechs Rohstoffe die Geschichte der Menschheit prägen", Deutsch von Sebastian Vogel, Hoffmann und Campe, 544 Seiten, 26,70 Euro, ISBN 978-3-455-01692-5
Hermann Knoflacher im Kampf gegen das Virus Auto
Hermann Knoflacher ist so etwas wie der Gottseibeiuns der Autofahrer. Der heute 83-jährige Ingenieur und ehemalige Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien hat als Verkehrsplaner und Berater zahlreiche Verkehrskonzepte entwickelt und umgesetzt und dabei immer gegen das Primat des motorisierten Individualverkehrs im öffentlichen Raum gekämpft. Schon 2009 hat er mit seinem Buch "Virus Auto" die "Geschichte einer Zerstörung" erzählt. Nun ist im Alexander Verlag Berlin eine aktualisierte und überarbeitete Neuauflage erschienen: "Virus Auto 4.0. Lebensraum für Mensch und Natur in Stadt und Land".
"Da Viren bekanntlich ansteckend sind, ist ein permanentes Monitoring mit wirksamen Sanktionen gegen die dem Virus innewohnende Unmenschlichkeit unverzichtbar", schreibt Knoflacher in seiner aktuellen Vorbemerkung, in der er kein Hehl aus seiner Stoßrichtung macht: "Ziel muss es sein, die physische, finanzielle und rechtliche Zwangsbindung des Autos an die Menschen wieder aufzulösen." Materialreich beschreibt der Verkehrsexperte und leidenschaftliche Fußgänger, der mit seinem "Gehzeug", einem umgeschnallten Holzrahmen mit der Raumforderung eines Pkw, berühmt geworden ist, die Geschichte dieser Bindung an ein Fortbewegungsmittel, dessen Bedürfnisse die Politik in hohem Maß bestimmen. Das Buch erneuert und untermauert die Argumente jener, die wie Knoflacher sei Jahrzehnten fordern: Eine Verkehrswende muss her!
Service: Hermann Knoflacher: "Virus Auto 4.0. Lebensraum für Mensch und Natur in Stadt und Land", Mit Beiträgen von Helga Kromp-Kolb und Maria Vassilakou. Alexander Verlag Berlin, Klappenbroschur. 432 Seiten. 68 Abb., 20 Euro, ISBN 978-3-89581-602-4
Paul Kammerers Liebe zu Amphibien und Reptilien
"Es gab wohl wenige Menschen, deren Passion für Reptilien und Amphibien so weit ging wie die des österreichischen Zoologen Paul Kammerer (1880-1926)." Das schreibt Paul Taschwer in seinem Nachwort der im Czernin Verlag in der Reihe "Launen der Natur" publizierten Neuauflage von Kammerers 1912 erschienenem Buch über "Das Terrarium und Insektarium", eines historischen Grundlagenwerks für artgerechte Haltung. Der Wissenschaftspublizist hat sich schon 2016 in "Der Fall Kammerer" mit dem "abenteuerlichen Leben des umstrittensten Biologen seiner Zeit" beschäftigt. Der "leidenschaftlichste Kriechtier- und Lurchfreund" experimentierte im Prater zur Vererbung von erworbenen Eigenschaften und nahm sich nach Fälschungsvorwürfen das Leben.
Nicht ganz so dramatisch wie das Leben des "Krötenküssers", dessen Beziehungsdreieck mit Alma Mahler-Werfel und Oskar Kokoschka die Autorin Julya Rabinowich vor einigen Jahren zu ihrem gleichnamigen Roman inspirierte, lesen sich Kammerers Tipps für die Einrichtung von Terrarien, die sich um 1900 ebenso wie Aquarien großer Beliebtheit erfreuten. Doch auch seine Anmerkungen zur Haltung von Skorpionen ("Mit Blattläusen und Mücken lassen sie sich bei einiger Mühewaltung großziehen."), Giftschlangen (die Scheiben "recht dick wählen" und nach Möglichkeit mit einem Gitter schützen) und Krokodilen ("Unter 25 Grad Celsius erreicht der Alligator nicht seine volle Lebenslust und Fressgier.") lesen sich abwechslungsreich und mitunter recht bizarr.
Service: Paul Kammerer: "Das Terrarium und Insektarium", Mit einem Nachwort von Klaus Taschwer. Czernin Verlag, 280 Seiten, 25 Euro, ISBN: 978-3-7076-0823-6
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Liquifers Wohnvisionen für Extremsituationen
Die Erde ist ihnen zu wenig: Die meisten Architekten beschäftigen sich mit dem Leben und Bauen auf der Erde, das Architekturbüro Liquifer mit Niederlassungen in Wien und Bremen befasst sich seit 20 Jahren mit der Frage, wie menschliches Leben in Zukunft auf der Erde, aber auch im Weltraum möglich sein kann. Ein englischsprachiger Band dokumentiert nun in Gesprächen und Projektvorstellungen die ungewöhnliche Arbeit des Teams um Barbara Imhof, Waltraut Hoheneder und René Waclavicek, dessen internationaler Ruf durch Beiträge der US-Raumfahrtarchitekten Brent Sherwood und Christina Ciardullo hervorgehoben wird.
Anhand von Beschreibungen, Bildern und Visualisierungen, Plänen und lässt sich die Arbeit für Lebensräume der Zukunft und die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Architektur, Technologie und Design nachvollziehen. Dabei reichen die Projekte "von einer simulierten Mars-Mission im spanischen Rio Tinto und der Inneneinrichtung für das Wohnmodul der geplanten Raumstation Gateway bis zum mobilen Gewächshauses EDEN ISS in der Antarktis und zu biogenerativen Studien, bei denen Mikroben in Gebäude integriert werden, um Energie zu erzeugen und Stoffe zu rezyklieren".
Service: "LIQUIFER. Living Beyond Earth Architecture for Extreme Environments", Herausgegeben von LIQUIFER Systems Group, Jennifer Cunningham, Park Books, Broschiert, 224 Seiten, 177 farbige und 62 s/w-Abbildungen, 38 Euro, ISBN 978-3-03860-345-0