Corona, Kraken, Kaperfahrten: Wissenschaftsbücher des Jahres wurden ausgezeichnet
Komplexe Themen breitenwirksam vermitteln, dafür wurden am Montag in Wien Kognitionsbiologin Angela Stöger, Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer, Historiker David Abulafia sowie der Schriftsteller Michael Stavarič und die Kommunikationsdesignerin Michèle Ganser ausgezeichnet. Ihre Bücher vermitteln "auf verständliche Weise wissenschaftliche Zusammenhänge und zeigen, wie aktuell, interessant und spannend Wissenschaft sein kann", so Wissenschaftsminister Martin Polaschek in einer einleitenden Videobotschaft an die Preisträger der Wissenschaftsbücher des Jahres.
Eine zwanzigköpfige Fachjury hatte in einem mehrstufigen Auswahlverfahren in vier Kategorien jeweils fünf Bücher nominiert, aus der seit Ende November das Publikum über seine Favoriten abstimmen konnte. Bei der diesjährigen Wahl gaben mehr als 9.000 Personen ihre Stimmen ab. Die Preisverleihung erfolgte in der Aula der Wissenschaften in Wien im Rahmen eines vom Bildungsministeriums veranstalteten Science Talk.
Menschheitsgeschichte aus dem Blickwinkel des Ozeane
Historiker und Mittelalterspezialist David Abulafia entschied mit "Das unendliche Meer" die Kategorie "Geistes-, Sozial-, Kulturwissenschaft" für sich. Der Universalgelehrte vermittelt auf über tausend Seiten die Geschichte von Händlern, Entdeckern, Piraten und Kartographen, die unter anderem auf der Jagd nach Gold, Gewürzen oder Sklaven die Ozeane befuhren - und das alles aus der Sicht des Meeres. Seinen Anfang nahm der Wälzer mit Abulafias (bereits 2013 erschienenem) Buch über das Mittelmeer, wodurch sein Interesse am großen Ganzen geweckt wurde. Die Arbeit daran brachte ihn dazu, den Blick auf die drei großen Ozeane zu richten.
Humorvoll und trotzdem wissenschaftlich - wie schreibt man ein Buch, das die wissenschaftliche Community genauso zufriedenstellt wie den Laien, erklärte der Brite wie folgt: "Was nützen Historiker, wenn wir nicht mit der Öffentlichkeit in Verbindung treten und ihnen unsere faszinierenden Entdeckungen zeigen? Diese Idee, dass ein Universitätsprofessor über die wissenschaftlichen Kreise hinaus reichen soll", sei in Großbritannien in der Geschichtsschreibung tief verwurzelt.
Was wir Pandemien verdanken
Schifffahrt spielt auch beim Gewinnerbuch der Kategorie "Medizin/Biologie" eine große Rolle. Hinter dem provokanten Titel "Pandemie sei Dank!" verbirgt Medizinhistorikerin Daniela Angetter-Pfeiffer vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zahlreiche Errungenschaften aus Österreichs Geschichte, die Seuchen wie Pest, Cholera und Co. zu verdanken sind - und zieht Parallelen zur Gegenwart. "Handelsreisende waren immer eine große Gefahr", so die Autorin - wenn sie von Bord gingen oder Waren ausluden, brachten sie oft Krankheiten mit sich. Rigorose Maßnahmen dagegen wurden bereits im 14. Jahrhundert in Italien gesetzt, als Handelsschiffe sich vor der Ankunft zunächst 40 Tage außerhalb des Hafens in Quarantäne begeben mussten, um eventuelle Krankheitsausbrüche abzuwarten.
Das Interesse für Seuchen und Pandemien wurde Angetter-Pfeiffer quasi in die Wiege gelegt, erzählt sie von ihrem Großvater, der Grenzschutztierarzt war und dem sie schon als Kind bei der Arbeit zusehen durfte. Doch erst Corona und die damit verbundenen Medienanfragen ließen in ihrem Kopf die konkrete Idee reifen, aus ihrem Wissen zu der Thematik ein Buch zu machen. Mit dem Titel wolle sie zeigen, dass die Pandemiemaßnahmen der Gegenwart nicht neu sind; Quarantänemaßnahmen gibt es seit der Antike, To-Go-Verkauf und geschlossene Kultureinrichtungen seit der Pest. Gleichzeitig soll dadurch aber auch ausgedrückt werden, dass die heutige Gesellschaft Pandemien viel zu verdanken hat, von der Installation eines Kanalnetzes zu Pest-Zeiten über Kinderfreibäder, die zur Bekämpfung von Tuberkulose erbaut worden waren.
Kraken-Essen schwer gemacht
In der Kategorie "Junior-Wissensbücher" gewannen Schriftsteller Michael Stavarič und Kommunikationsdesignerin Michèle Ganser mit "Faszination Krake", einem illustrierten Buch für große, kleine, junge und alte LeserInnen - denn Stavarič hält nichts von Altersangaben auf Büchern. Vom Liebessymbol zum Seeungeheuer hat das Image des Kraken seit der Antike gelitten. Wer eintaucht in die Welt der Kopffüßer, werde seine Abscheu aber schnell überwinden und erkennen, wie faszinierend, wunderbar und intelligent die Tiere sind. "Wer dieses Buch liest, tut sich danach schwerer, einen Kraken zu essen", fasst Stavarič zusammen.
Nicht nur schön geschrieben, sondern auch schön illustriert lädt das Buch zum Ausmalen, Ausschneiden und Beschriften ein. "Ich finde, dass dieses Buch personalisiert gehört und wenn man es zwanzig Jahre später wieder in die Hand nimmt, glaube ich, dass man sich an die Zeit erinnert, als man es bekam", wünscht sich Stavarič, dass "Faszination Krake" eines jener Kinderbücher wird, die man ein Leben lang behält und die den Grundstein einer ersten eigenen Bibliothek bilden.
Es braucht mehr Stille
Auch das Buch von Verhaltensforscherin Angela Stöger von der Universität Wien beschäftigt sich mit dem Tierreich. Die Expertin für Bioakustik und weltweit eine der führenden Elefantenforscherinnen setzte sich in der Kategorie "Naturwissenschaft/Technik" mit "Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten" durch und führt darin in die Welt der tierischen Kommunikation. Ob es um tierische Duette, Chöre oder sprechende Elefanten geht.
Vom Buckelwalgesang über Hühnergespräche bis hin zu einem Elefanten in einem koreanischen Park, der sogar menschliche Worte imitieren kann - das Wichtigste, was es für eine gelungene Kommunikation braucht, so Stöger, ist die Bereitschaft, "sich aufeinander einzulassen." Denn der Mensch ist laut und stört dadurch Tiere. Ihr Lebensraum wird immer kleiner, ein Entkommen ist schwer möglich, und so geselle sich zur Plastik- und Lichtverschmutzung auch die Lärmverschmutzung, erklärt Stöger. Und diese bleibt nicht ohne Folgen für das Tierreich, von gestörter Nacht- oder Winterruhe über Vögel, die vier Dezibel lauter singen müssen, um sich Gehör zu verschaffen. Was es deshalb außerdem braucht: "Mehr Stille."
Die seit 2007 durchgeführte Wahl zum "Wissenschaftsbuch des Jahres" ist eine Aktion des Bildungsministeriums mit dem Verlag Buchkultur. Mit der Initiative soll der Stellenwert des wissenschaftlichen Sachbuches deutlich gemacht werden.
Service: www.wissenschaftsbuch.at