Kritisches Denken - das Werkzeug der Zukunft
Gastbeitrag --- Beinahe jeder Mensch hat heute das digital erfasste Wissen am Smartphone zur Verfügung. In immer kürzeren Abständen durchdringen technologische Neuerungen wie etwa KI-Tools unser Leben.
Diese Tools wirken unmittelbar in die Lehre an Universitäten hinein. Unüberschaubare Datenmengen erkennen, zu Formulierungen inspirieren oder ein "sokratisches Gegenüber" beim Entwickeln eines Arguments imitieren - das und vieles mehr kann KI. Müssen wir in dieser Situation aktuelle Studienprogramme über Bord werfen? Und unsere klassischen Vorstellungen von Bildung gleich hinterher?
Die gute Nachricht: nein. Universitäten sind robust, haben jahrhundertelange Erfahrung und sich schon in verschiedensten Umbruchphasen bewährt. Wissenschaft blickt hinter die Kulissen und vermittelt Wissen, das für die Einordnung und Bewertung dieser Tools und der damit verbundenen Phänomene essenziell ist. Gerade in stürmischen Zeiten analysieren Expertinnen und Experten unabhängig von ökonomischen Zwängen und frei von politischen Einflüssen diese Entwicklungen, arbeiten an deren Weiterentwicklung und kümmern sich um die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen, die für diese Entwicklungen erarbeitet werden müssen.
Wissenschaftliche Fragestellungen sind zum Beispiel: Wie funktioniert KI wirklich? Worauf basiert sie? Welchen Nutzen stiftet sie auf wessen Kosten? Wie verändert sie das Tun des Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes? Welche rechtlichen und ethischen Regelwerke braucht es, um handlungsfähig zu bleiben?
Auf der anderen Seite stehen Studierende, die sich zu Recht fragen: "Was muss man als Absolventin oder Absolvent eigentlich noch wissen und können in einer Zeit, in der Maschinen vieles immer besser, schneller und effizienter machen werden?" Antworten darauf sind im Diskurs der jeweiligen Fächer und im Dialog mit Studierenden zu finden. Es gibt darauf keine einfache oder einheitliche Antwort. Aber klar ist: Nur ein "human in the loop" stellt qualitativ hochwertige, kreative und verantwortungsvolle Ergebnisse sicher.
Die Universität Wien hat Guidelines für den Umgang mit KI in der Lehre herausgegeben, die den Diskurs darüber steuern und anregen sollen und praktische Lösungen für aktuelle Fragen in der Lehre enthalten. Die Angst vor einem "Deskilling" der Studierenden wäre dann berechtigt, wenn Studierende und Lehrende diese Tools im Studium und in der Lehre unreflektiert einsetzen würden, ohne auf die dahinter stehenden Mechanismen, Chancen, Grenzen oder Risiken einzugehen. Die Universität stellt an Lehrende den Anspruch und unterstützt sie dabei, Lehrveranstaltungen so zu gestalten, dass den Studierenden der angemessene Umgang mit diesen Entwicklungen vermittelt wird. Aufgrund der Vielzahl an Hilfsmitteln braucht es Kompetenz im Umgang damit. Bildung ist mehr als das bloße Hantieren "mit Maschinen"; Bildung ermöglicht das Heranreifen zu einem selbstständig denkenden und selbstbestimmt agierenden Menschen - das Werkzeug der Zukunft heißt kritisches Denken. Das Studium so zu betreiben liegt auch in der Mitverantwortung der Studierenden. Es gab schon lange keine so spannende Zeit, ein Studium zu absolvieren. KI schafft neue Möglichkeiten, aber auch neue Risiken und braucht daher eine gebildete und mutige Generation, die bereit ist, die Zukunft mit zu gestalten.
Zur Person:
Christa Schnabl ist seit 2007 Vizerektorin an der Universität Wien, zunächst für Studierende und Weiterbildung, seit 2011 für Studium und Lehre. Sie studierte an der Universität Wien Katholische Theologie, wo sie nach beruflichen Tätigkeiten in der theologischen Erwachsenenbildung und nach einem Studien- und Forschungsaufenthalt in Münster schließlich 1998 zu Hannah Arendts Relevanz für die theologische Ethik promovierte. Nach ihrer Habilitation 2004 im Bereich Sozialethik und Gastprofessuren in Frankfurt am Main und Fribourg war Schnabl Professorin am Institut für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, wo sie auch bis 2007 als Vizedekanin der Fakultät tätig war.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.