Lebensmittelsicherheit: Ärzte haben andere "Sorgen" als Journalisten
In Ergänzung zum jährlich erhobenen "Risikobarometer Umwelt & Gesundheit" hat die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) erstmals praktische Ärzte und Journalisten nach ihrer Einschätzung in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit befragt. Ärzten bereitet demnach Mikroplastik in Lebensmitteln die meisten Sorgen, während Journalisten hormonähnliche Stoffe als größte Risiken wahrnehmen.
Gemessen an den Bedrohungen durch Umweltverschmutzung, Klimawandel und sozialer Ungleichheit (jeweils ungefähr drei Viertel aller Befragten) beunruhigt die Österreicher die Lebensmittelsicherheit relativ wenig (knapp ein Drittel), ergibt der aktuelle Risikobarometer. Ein differenzierteres Bild ergibt sich bei einer genaueren Betrachtung der wahrgenommenen Risiken im Lebensmittelbereich. Die Nennungen der beiden genannten Berufsgruppen wurden nämlich mit denen der Gesamtbevölkerung verglichen und den Einschätzungen der AGES-Experten gegenübergestellt.
Mikroplastik vor "Täuschung"
Die österreichische Bevölkerung schätzt Mikroplastik als größtes Risiko ein, gefolgt von "Täuschung durch unrichtige Information" sowie "Antibiotikarückstände in Lebensmitteln" und "Auswirkungen von Chemikalien und Schadstoffen". Dass die Gefahr durch Mikroplastik in Lebensmitteln erstmals im Risikobarometer auftaucht, führt AGES-Geschäftsführer Thomas Kickinger im Gespräch mit der APA auf die starke Medienpräsenz des Themas in letzter Zeit zurück und sieht eine grundlegende Hypothese der Befragung bestätigt: "Neue Risiken, die man nicht kennt oder die unnatürlich sind, werden größer wahrgenommen, unabhängig vom tatsächlichen Risiko."
Langfristigen Nachhall im Bewusstsein der Konsumenten verursachen auch Skandale ("Pferdefleischskandal") oder Täuschungen durch unrichtige Informationen. Gerade hier gelte es jedoch zu relativieren und reale Bedrohungen stärker zu betonen, so Kickinger: "2018 hat es in Österreich Todesfälle gegeben durch Listerien, Campylobacter, Salmonellen und Noroviren, und das geht irgendwie unter. Und wir haben mit aller Wahrscheinlichkeit niemanden, der an Täuschung gestorben ist."
Fremd- und Selbstwahrnehmung
Hinter der Risikobarometer-Auswertung steht das Ansinnen der AGES, ein verfeinertes Gefühl für die Fremd- und Selbstwahrnehmung zu erhalten, erklärt Ingrid Kiefer, Leiterin der Risikokommunikation der AGES. "Wie schätzen wir dieses und jenes Risiko als AGES ein, wo stehen wir im Vergleich mit anderen?" Die Einschätzung von Ärzten und Journalisten habe man wegen ihrer gesellschaftlichen Rolle als Multiplikatoren einholen wollen. Journalisten wegen der "Risikostories, die sie in den Medien erzählen" und praktische Ärzte, weil sie oft die ersten Ansprechpartner für Menschen mit bestimmten Sorgen sind. Künftig will man die Befragung auch auf andere wichtige Fokusgruppen ausweiten, in einem nächsten Schritt sind das zunächst Lehrer und dann Landwirte.
Bei so verschiedenen Gruppen sei es normal, dass es divergierende Einschätzungen gibt. Doch besonders stark gehe die Schere bei den krankmachenden Keimen auseinander, so Kiefer. "Das ist auch für uns interessant, dass die Ärzte die Keime noch unkritischer einschätzen als die Bevölkerung." Dass Ärzte ebenfalls Mikroplastik ganz oben auf der Liste haben - danach kommen Auswirkungen von Chemikalien und Schadstoffen sowie Antibiotikarückstände -, verwundert die Ernährungsexpertin: "Die große Überraschung war, dass wir als AGES so weit mit den Ärzten auseinanderliegen." Denn die hauseigenen Fachleute der AGES sehen eine anders geartete Bedrohungslage. Für sie stellen krankmachende Keime das höchste Risiko im Lebensmittelbereich dar, gefolgt von Aflatoxinen (Schimmelpilzgifte) und allergenen Stoffen in Lebensmitteln. Journalisten wiederum wählten nach den hormonähnlichen Stoffen die Auswirkungen von Chemikalien und Schadstoffen sowie Mikroplastik aufs Risiko-"Stockerl".
Nachhaltige Verhaltensänderungen als Ziel
Letztlich ist aber nicht der Abgleich von Meinungen das Ziel, sondern nachhaltige Verhaltensänderungen der Konsumenten im Umgang mit potenziellen Gefahren. Dabei dürfe die AGES nicht nachlassen, so Kiefer, denn die Bereitschaft, das Verhalten zu ändern, lasse tendenziell wieder nach. "Es gibt Risiken, bei denen ich als Konsument selbst etwas tun kann. Etwa die Bildung von Acrylamid in der Zubereitung zu vermeiden, indem ich die Temperatur richtig wähle und das Essen nicht verkohle." Wichtig sei es aber auch, mit einfachen hygienischen Maßnahmen die Gefahr durch krankmachende Keime in der Küche gering zu halten - und nicht nachlässig zu werden nach dem Motto: "Es ist eh alles so sicher, ich brauche mich nicht mehr zu fürchten."
Entsteht bei einem Thema eine zu große Diskrepanz zwischen Risikowahrnehmung und tatsächlichem Risiko, dann gelte es, in der Kommunikation gezielt nachzubessern. Adäquate und zielgruppengerechte Information ist für die AGES ein ständig zu adaptierender Prozess, nicht zuletzt, da die im Rahmen des Risikobarometers befragten Personen erstmals das Internet als Hauptinformationsquelle angaben, noch vor den klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen. "Das Internet ist bei allen Altersgruppen an erster Stelle, nicht nur bei den Jungen", so Kiefer.
Online in der Informationsflut qualitätsgesicherte Informationen zu finden, sei allerdings nicht eben einfach. An den Zugriffsstatistiken sei abzulesen, dass viele Personen direkt von einer Anfrage über bestimmte Risiken auf Suchmaschinen auf die AGES-Webseite gelangen. Gerade deshalb sei die AGES gefordert, wissenschaftliche Erkenntnisse und Sachverhalte auf eine leicht verständliche Sprache herunterzubrechen, so dass sich die eigentlich entscheidende Frage - "Ist das gesund oder nicht gesund?" - für jeden eindeutig beantworten lasse: "Wir müssen so kommunizieren, dass die Leute das verstehen und ihnen noch viel mehr die Botschaft mitgeben, was sie selbst tun können."
Service: Das "Risikobarometer Umwelt und Gesundheit 2019" ist hier abrufbar: http://go.apa.at/kCgbujlg