Kommunikative Querdenker für komplexe Fragen
Wie wird man Komplexitätsforscher? Fachliche Expertise in der Biologie, Mathematik, Physik, Geografie, Wirtschaft oder den Computerwissenschaften wäre ein guter Ausgangspunkt. Geht sie einher mit einer offenen, kommunikativen Persönlichkeit, die gern über den Tellerrand blickt, sind die Voraussetzungen fast perfekt. Wer dann noch ein wenig Programmieren lernt oder gleich eine Ausbildung zum Data Scientist anhängt, dem stehen alle Türen offen.
Während es in Großbritannien und den USA, aber auch in Deutschland schon seit längerem eine Vielzahl an Ausbildungsoptionen im Bereich Data Analysis bzw. Data Science gibt, war das Angebot in Österreich bisher überschaubar. Das dürfte sich in den kommenden Jahren ändern, denn auch hiesige Fachhochschulen (FH) und Universitäten haben die Zeichen der Zeit erkannt und rüsten auf. So kann man sich voraussichtlich ab 2017/18 an der FH Joanneum in vier Semestern zum "Data and Information Analyst" ausbilden lassen.
Angebot wird erweitert
Ebenfalls ab 2017/18 soll an der Linzer Johannes-Kepler-Universität "Data Science" als einer von sechs Schwerpunkten im Masterstudium Computer Science angeboten werden, wie Hanspeter Mössenböck, Leiter des Instituts für Systemsoftware, auf Anfrage informierte. "Wir werden den Schwerpunkt gemeinsam mit den Fachbereichen Statistik und Wirtschaftsinformatik konzipieren, die ihn dann ebenfalls in ihre Masterstudien einbetten werden. Unser Ziel ist, Data Scientists mit unterschiedlichem Background - Informatik, Statistik, Wirtschaftsinformatik - auszubilden", so die Auskunft des Vorsitzenden der Studienkommission Informatik.
Bereits seit diesem Herbst läuft ein viersemestriges "Data Science"-Masterstudium an der Universität Salzburg. An der Wirtschaftsuniversität Wien wird Data Science ebenfalls seit dem laufenden Semester als interdisziplinäres, Department-übergreifendes Wahlfach ("SBWL") angeboten.
Nach der im Juni zu Ende gegangenen Bewerbungsfrist für die ausgeschriebene Stiftungsprofessur zum Thema "Grundlagen für Data Science, Schwerpunkt Big Data Management" an der Technischen Universität Graz - daran beteiligen sich AVL LIST, Infineon, Magna Steyr sowie Magna Automotive und die voestalpine - wird sich auch hier wohl bald einiges tun. "Ziel ist es, die Stiftungsprofessur im Laufe des Sommersemesters 2017 zu besetzen", so die Auskunft der Universität. Schon jetzt ist Data Science an der TU Graz im englischsprachigen Masterstudium "Software Engineering and Management" als Wahlfach verankert.
Mit einem weiter zunehmenden heimischen Ausbildungsangebot rechnet jedenfalls Werner Fritz, Vizerektor und Leiter des Instituts für Informationsmanagement des Departments Angewandte Informatik an der FH Joanneum. "Wobei an den Universitäten bereits viel über die Wahlfächer möglich ist, vor allem in der Wirtschaftsinformatik", meinte er gegenüber APA-Science. Das Masterstudium solle nicht nur an die hauseigenen Bachelor-Studien andocken und stark mit den Angeboten im Bereich Gesundheit oder Wirtschaftsinformatik kooperieren, sondern auch für Absolventen einschlägiger Bachelor-Studien an Universitäten und anderen Fachhochschulen offen stehen, weist er gegenüber auf die Interdisziplinarität des Studiums hin. "Wir wollen nicht strikt im Informatikfeld bleiben, sondern eine Schnittstelle zwischen Data Science und verschiedenen Anwendungsdomänen schaffen", erklärt er.
Kein Arbeiten im stillen Kämmerlein
Was erwartet die Studierenden? Mathematik, Statistik, Programmieren, Datenbanken und Datenvisualisierung sollen einen wichtigen Teil des noch in Arbeit befindlichen Curriculums einnehmen. Denn auch wenn der Fokus in einer Fachhochschule im Gegensatz zu den Universitäten "naturgemäß in der Anwendung" liege und weniger in der dahinterliegenden Theorie, werde Mathematik ein wesentlicher Baustein der Ausbildung sein. "Das ist notwendig, um statistische Methoden und Verfahren entwickeln zu können und Algorithmen zu verstehen", betonte der Vizerektor. Doch der Fokus liege entsprechend stärker auf der professionellen Handhabung von Methoden und Werkzeugen für die Datenanalyse, etwa für Vorhersagemodelle - "es gibt hier ja bereits eine Vielzahl von Instrumenten, etwa von Google oder Microsoft mit der Azure Cloud", erläutert Fritz. "Aber unsere Studenten müssen nicht einen neuen, noch leistungsfähigeren Algorithmus für maschinelles Lernen entwickeln."
Wie man an sehr unterschiedliche Datenquellen herangeht, die Qualität von Daten bewertet und Ergebnisse visualisiert, soll ebenso vermittelt werden. "Wir werden uns damit beschäftigen, welche Diagrammtypen oder -farben die beste Wirkung entfalten, aber auch, über welche anderen Sinneseindrücke, etwa im Akustikbereich, Analysen veranschaulicht werden können", erklärt der Mathematiker. Denn natürlich gehe es letztlich darum, den Entscheidungsträgern eine Analyse auch "zu verkaufen". Fritz: "Deshalb braucht es in diesem Feld kommunikative Menschen, keine sogenannten 'Nerds' - es geht um 'Story Telling Skills'". Gefragt sei ein generalistisch-offener Zugang.
Das passt auch zum Anforderungsprofil des Komplexitätsforschers. So zeichnet sich für den Präsidenten des im Mai in Wien eröffneten "Complexity Science Hub Vienna" (CSH) ein guter Forscher in diesem Bereich vor allem dadurch aus, dass er im Austausch mit anderen Partnern kreative Ideen entwickelt. "Im Prinzip müssen die Leute zumindest ein wenig programmieren können. Sie müssen die gleiche Sprache der angewandten Mathematik sprechen, sie müssen ein Fachgebiet haben und in der Gruppe arbeiten. All diese Eigenschaften zu finden ist nicht leicht", so der CSH-Chef. Auf Basis dieser gelte es nämlich, Netzwerke - im Sinne von sich dynamisch verändernden komplexen Beziehungen vieler einzelner Akteure - handzuhaben. "Dafür gibt es einen relativ neuen mathematischen Zweig, den jeder Komplexitätsforscher abdecken sollte", wenn er Visionen auf den Boden der Realität bringen möchte, erklärte Thurner.
Absolventen stark nachgefragt
Das Echo der regionalen Wirtschaft und Industrie auf das geplante Studium sei positiv gewesen. Den Absolventen würden sich vielfältige Jobchancen bieten, ist Fritz überzeugt: "Sei es im Handel, im Gesundheitsumfeld, in den Wirtschaftswissenschaften oder im Marketing. Aber auch in der digitalen Produktion bzw. Industrie 4.0 braucht es etwa die Auswertung von Sensordaten im Engineeringprozess, und zwar oft in Echtzeit", so der Vizerektor. Datenanalyse spielt auch in allen bildgebenden Verfahren eine große Rolle. "Denken Sie an Krankenhaus-Informationssysteme - hier werden Unmengen an Daten generiert. Wie lassen sich diese beispielsweise für die Diagnoseauswertung nutzen?", weist Fritz auf mögliche Arbeitsfelder hin und stellt außer Frage, dass ethisch-moralische Fragen von Privacy und Datensicherheit bei alldem nicht unter den Tisch fallen dürfen.
Denn die Generierung von Daten über alle Branchen und Lebensbereiche hinweg schreite unaufhaltsam voran, Stichwort "Big Data". "Zwischen 2015 und 2020 wird sich das Datenvolumen verfünffachen. Diese Menge gilt es zu beherrschen", betont der Studienleiter.
Dass sich Frauen wenig für IT interessieren, stimmt laut Fritz nur bedingt. "Im Bereich Gesundheitsinformatik/eHealth liegt der Anteil weiblicher Studenten bei 50 Prozent oder darüber, beim Informationsmanagement (entspricht der Wirtschaftsinformatik) zwischen 25 und 30 Prozent. Also dort, wo der Mensch im Mittelpunkt der Arbeit steht, ist das Interesse groß", stellt er klar. Für das neue Studium wünscht er sich einen Frauenanteil von 50 Prozent.
Das FH-Studium soll mit 18 Plätzen starten, vorbehaltlich der Akkreditierung durch die AQ Austria und der bescheidmäßigen Genehmigung durch das Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium (BMWFW). Bewerbungen sind ab Februar 2017 möglich.
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science