"Letzte ihrer Art" - ESA geht bei Ariane 6-Nachfolgerin neue Wege
Zwei Wochen nach Start der Trägerrakete Ariane 6 spürt Josef Aschbacher, Generaldirektor der Weltraumagentur ESA, immer noch "eine riesige Erleichterung": Die Schwerlast-Rakete "wird Europas Arbeitspferd sein, um unsere Autonomie im Weltall wieder herzustellen". Die am 9. Juli aufgetretenen Probleme gegen Ende des Fluges seien bewältigbar, sagte der Tiroler bei einem APA-Gespräch in Wien. Und die Planungen zur nächsten Entwicklung im Bereich "Heavy Launcher" sind angelaufen.
Ob die nächste Rakete "Ariane 7" heißen wird, steht in den Sternen bzw. liegt nicht mehr in den Händen der ESA: "Ariane 6 ist sicherlich die letzte Rakete dieser Art, die von der ESA mit der Industrie entwickelt und gebaut wird", so Aschbacher. Auch wenn es noch bis zur Realisierung eine ganze Weile dauern wird, beschloss der ESA-Ministerrat bereits: Die nächste Entwicklung einer europäischen Schwerlastrakete wird über eine "European Launcher Challenge" abgewickelt. Damit könne die Industrie "von sich aus technische Lösungen vorschlagen". Die ESA wird künftig nicht mehr als Entwickler, sondern als Kunde auftreten und Starts kaufen.
Nach einem ersten ESA-Aufruf zur Interessensbekundung hätten sich 26 europäische Firmen, die Raketenentwicklung verfolgen, gemeldet, erzählte Aschbacher. Mit der Initiative wolle man den Wettbewerb befeuern und letztlich die vielversprechendesten auch unterstützen, ihre Technologieentwicklung in Richtung "Heavy Launcher" voranzutreiben. Der Aufruf zur Bewerbung um die Teilnahme, mit allen technischen Spezifikationen, sei für etwa Anfang 2025 geplant, "Mitte nächsten Jahres wollen wir bereits die Gewinner dieser European Challenge kennen", so der ESA-Chef.
Abrücken von "Geo-Return-Prinzip"
Rund um den kürzlichen Ariane-Start gab es auch wieder Stimmen, die u.a. die lange Umsetzungszeit (im Fall von Ariane 6 rund zehn Jahre) und damit Risiken veralteter Technologien thematisierten. Aschbacher sieht die Ariane 6 gut für den Bedarf des europäischen Marktes aufgestellt. Mit der Challenge rückt die ESA aber auch von ihrem bisherigen, bisweilen als ineffizient geltenden "Geo-Return-Prinzip" ab (das bei Ariane 6 zur Anwendung kam und wonach die ESA-Beiträge der Mitgliedsländer wieder in den Ländern über Industrieverträge ausgegeben werden, aus denen sie stammen). Mit dem neuen Ansatz wolle man der Industrie alle Freiheiten geben, die Partner zu wählen, mit denen sie arbeiten wollen. Und: "Es wird wahrscheinlich auch schneller gehen und billiger werden", meinte Aschbacher.
Der Wettbewerb werde so sicherlich geschärft, was aber nicht ausschließe, so der Experte, dass viele der kleineren Komponenten für die Raketenentwicklung weiterhin auch von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) kommen könnten. Inwiefern die ESA künftig um Mitgliedsbeiträge bangen müsse, weil garantierte Rückflüsse so nicht mehr fließen? "Das ist komplex und Teil einer wichtigen Diskussion. Hier haben wir die goldene Lösung noch nicht gefunden", sagte Aschbacher.
Bis Ende des Jahres ist nach wie vor ein zweiter Start der Ariane 6 - es ist der erste kommerzielle - geplant. Am 9. Juli hatten sich gegen Ende des Fluges technische Probleme gezeigt, sodass die Oberstufe nicht wie geplant zur Erde zurückkehrte und verglühte, sondern nun als Weltraumschrott die Erde umkreist. Man dürfe aber nicht vergessen, so Aschbacher, dass der "Launch-Teil"- also der Raketenstart mit Dauer von knapp über einer Stunde bis hin zum Absetzen jener Satelliten, die abgesetzt werden sollten - "zu 100 Prozent funktioniert hat".
Problem mit Oberstufe soll demnächst behoben werden
Das Versagen des Hilfsantriebs der Oberstufe beim nochmaligen Zünden, um die Rückkehr einzuleiten, sei in der "experimentellen Phase" aufgetreten, die Daten seien bereits ausgewertet und würden Ende Woche intern und dann auch öffentlich präsentiert. "Ich kann vorweg nehmen, dass wir das Problem verstanden haben und dies demnächst beheben werden", so der ESA-Chef.
Beim Weltraumschrott hat sich die Weltraumagentur, u.a. mit der auch von Österreich unterschriebenen "Zero Debris Charter", ambitionierte Ziele zur Reduktion von Weltraumschrott gesetzt. In Bezug auf Arianes nicht verglühte Oberstufe meint Aschbacher, man dürfe nicht vergessen: "Der Großteil der bisherigen Weltraumoberteile verbleibt noch im Weltraum" - so habe man mit Ariane 6 "besser sein wollen als der Durchschnitt". Er sei zuversichtlich, "dass das in Zukunft klappt".
Die jüngst, noch vor dem Ariane 6-Starttermin bekannt gewordene Entscheidung des europäischen Satellitenbetreibers Eumesat, ihren Wettersatelliten im kommenden Jahr nicht mit Ariane 6, sondern mit einer Falcon 9 der US-Firma SpaceX ins All zu tragen, bedauert der ESA-Chef: Er sei überrascht gewesen, dass die beschließende Ratssitzung noch so kurz vor dem Ariane-Start angesetzt war. Aber natürlich sei auch jeder Raketenstart eine hoch riskante Sache: "Zwischen 2020 und 2024 sind in etwa 40 Raketen das erste Mal gestartet worden. 47 Prozent dieser Erststarts sind nicht geglückt. D.h., die Wahrscheinlichkeit, dass der Ariane 6-Start glückt, war in etwa 1:1." Es liege auch nicht an ihm, Eumesats Entscheidung zu beurteilen.
Weitere Amtszeit als ESA-Generaldirektor
Mit Anfang 2025 geht Aschbacher in eine weitere vierjährige Amtszeit als ESA-Generaldirektor. Mit Antritt seiner ersten Amtszeit (2021) legte er die "Agenda 2025" vor, die erste Schritte für Ziele bis ins Jahr 2035 definiert. An den Prioritäten habe sich kaum etwas geändert, aber "ich habe den Mitgliedsländern vorgeschlagen, dass wir gemeinsam eine Strategie 2040 aufsetzen", so der Experte. Im Oktober soll ein erster Entwurf vorliegen. Ein "weiterhin wichtiges Thema" sei, "dass wir unseren Weltraum verwenden, um den Klimawandel genau zu untersuchen". Nachhaltigkeit im Weltraum, z.B. Technologien zum Nachtanken von Satelliten im All, planetare Abwehrsysteme, Weltraum-Exploration, Mond- und Mars-Missionen, Satellitennavigation sowie "Space Science", wie sie z.B. mit der Sonde "Euclid" und ihrem detaillierten Blick in den fernen Weltraum praktiziert wird, seien weiterhin Schwerpunkte.
Unser Erdtrabant soll bei der nächsten ESA-Ministerkonferenz ein Schwerpunkt werden, wie Aschbacher, der diese Woche am "Salzburg Summit" (24.-26. Juli) teilnimmt, erzählte. Das Wettrennen zum Mond - am 21. Juli vor 55 Jahren betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond - hält an: "Es ist aber ein Wettrennen ganz anderer Natur."
Früher war es der Wettlauf zwischen der USA und der Sowjetunion, "heute gibt es etwa 80 sogenannte spacefaring nations, die eine Weltraumkapazität haben. Sie gliedern sich um den chinesischen und den US-Pol", so der Experte. Die geopolitische Landkarte - etwa mit Russland auf der Seite Chinas und Europa auf Seite der USA - sei komplizierter geworden. Die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen, um z.B. den Südpol des Mondes zu besiedeln, hätten zugenommen. "Es wird eine Mondwirtschaft geben", zeigte sich Aschbacher überzeugt. Die derzeitig international verfolgten, rund 100 Mondmissionen "werden sich in der nächsten Dekade wirklich entfalten". So soll auch der "Argonaut-Lander" der ESA geplanterweise im Jahr 2030/31 erstmals zum Mond fliegen und zum Einsatz kommen.
Sehr viel Exzellenz in Österreich
Angesprochen auf Österreichs Relevanz im Bereich der Raumfahrt meinte Aschbacher: "Österreich ist bekannt als Land mit sehr viel Exzellenz und intellektueller Kapazität, was den technischen und den Raumfahrtsektor betrifft." Er verwies etwa auf die Österreicher Daniel Metzler, Gründer und Leiter der deutschen Firma Isar Areospace, Stefan Tweraser, Leiter des Raumfahrtunternehmens Rocket Factory Augsburg, oder Peter Platzer, Mitbegründer und Leiter vom US-Tech-Unternehmen "Spire Global". Es gebe zudem Top-Firmen in Österreich - neben Beyond Gravity als größtes heimisches Weltraumunternehmen auch viele KMU.
"Aber Österreich hat ein kleines Problem." Aschbacher verweist neben der Deckelung der Zeichnung über den ESA-Mitgliedsbeitrag, die damit die beteiligten Unternehmen bei ihrem Engagement limitieren, auch auf die Risiken eines "Brain Drain": Aschbacher plädiert daher für eine Erhöhung Österreichs ESA-Beiträge und mehr Initiative, "dass gute Leute auch in Österreich bleiben". Der Weltraumsektor sei ein steter Wachstumssektor.
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