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„Wissenschaftsspionage“: Forschung im Fokus des Auslands

Akteure ausländischer Staaten, die Forschungsergebnisse abgreifen, um sie für missbräuchliche Zwecke einzusetzen, sind aufgrund der stärkeren Vernetzung und der geopolitischen Lage auf dem Vormarsch.
APA (dpa)
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Experten sehen den Diebstahl von Forschungsergebnissen für missbräuchliche Zwecke im Aufwind. Wie lässt sich deren Absicherung mit dem Anspruch der Wissenschaft, offen, global und frei zu sein, vereinen?

Im Gegensatz zur Wirtschaftsspionage, deren Risiken relativ gut im Bewusstsein der Gesellschaft verankert sind, ist „Wissenschaftsspionage“ bisher eher ein Randthema. Gleichzeitig steigt laut Einschätzung von Experten und Verfassungsschutz die Anzahl an Fällen von Akteuren ausländischer Staaten, die versteckt Forschungsergebnisse abgreifen, um sie für missbräuchliche – meist militärische – Zwecke zu nutzen. Konkrete Informationen sind naturgemäß schwer zu erheben. APA-Science hat nachgefragt, wie heimische Institutionen mit dieser neuen Situation umgehen, die vor allem im Kontext einer offenen und freien Wissenschaft sowie Forschungskooperationen, die sich auch im Hinblick auf Diplomatie und globale Herausforderungen positiv auswirken können, problematisch ist.

Ursache für die deutliche Zunahme der unerwünschten ausländischen Einmischung sei erstens die starke Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung in den vergangenen 30 Jahren und zweitens die Veränderung des geopolitischen Umfelds, sagte Klaus Schuch, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI), zu APA-Science.

„Die Vollvernetzung und den Grad an Digitalisierung hatten wir vor rund zehn Jahren sicher nicht – das ist also recht neu und bringt neue Probleme mit sich“, sagte auch Helmut Leopold vom AIT (Austrian Institute of Technology). Wie heimische Forschungseinrichtungen ihre Cybersicherheit durch „Awareness-Raising“ sowie im Hinblick auf das Prozessmanagement stärken können, erklärte er im Beitrag „Cybersicherheit: (Noch) zu wenig beachtet“.

Facts

Kritische Technologien aus Sicht der EU: https://go.apa.at/wflEirgC

Anwendungen mit potenziell doppeltem Verwendungszweck: https://go.apa.at/hcDDXBhz

Wirtschaftsministerium zu Dual Use-Gütern: https://go.apa.at/FGe6oikI

ASPI-Tracker: https://go.apa.at/pcUjB0GE 

„Staff Working Document on Tackling R&I Foreign Interference“ der EU-Kommission: https://go.apa.at/k8qDcypl

Studie über österreichische Akteure, Netzwerke und Aktivitäten im Bereich Wissenschaftsdiplomatie: https://go.apa.at/bN12TvUm

Wissenschaftskooperationen und Wissenschaftsdiplomatie des BMEIA: https://go.apa.at/VS54YXhF

Verfassungsschutzbericht 2023: https://go.apa.at/gpS4brv4

„China Science Investigation“: https://go.apa.at/8pWunH1g

"Im Fokus stehen neben der militärischen Nutzung vermehrt auch strategische Forschungsbereiche, die ökonomisch im globalen Wettbewerb einen Unterschied ausmachen können." Klaus Schuch, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI)
Cyberangriffe nehmen zu APA (AFP)
Erkenntnisse werden in die Heimat "mitgenommen"

„Im Fokus stehen neben der militärischen Nutzung vermehrt auch strategische Forschungsbereiche, die ökonomisch im globalen Wettbewerb einen Unterschied ausmachen können“, so Schuch. Zudem gebe es neben Cyberangriffen und Industriespionage einen großen Graubereich, etwa wenn Forschungsgruppen aus bestimmten Ländern in Europa arbeiten und Erkenntnisse „mitnehmen“, in der Absicht, sie militärisch oder wirtschaftlich zu nutzen. Hier würden vor allem China, Russland, Iran und hin und wieder auch die USA genannt.

Bis vor kurzem habe in Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern außerdem noch der Wunsch geherrscht, mehr mit Asien und insbesondere mit China zu kooperieren. Insofern sei z.B. Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger kein Vorwurf bezüglich der Kooperation mit chinesischen Forschenden zu machen. Zeilinger hat viele Jahre die Zusammenarbeit mit China vorangetrieben und führte beispielsweise 2017 als Präsident der Akademie der Wissenschaften mit seinem chinesischen Amtskollegen das erste quantenverschlüsselte Videotelefonat. „Aus der damaligen Sicht war das gewünscht. Die Forschungspolitik ist inzwischen aber deutlich sensibler geworden“, erläuterte der Experte.

Gerade in Bezug auf China macht die Situation nun aber auch dem Verfassungsschutz Sorge, wie dem aktuellen Verfassungsschutzbericht zu entnehmen ist. Vereinfacht wird das von der Gesetzeslage: Österreich habe in Bezug auf Spionage durch ausländische Dienste eine Sonderstellung. Denn diese sei mit Ausnahmen nur dann gerichtlich strafbar, wenn sie gegen österreichische Interessen gerichtet ist. Dies mache Österreich zu einem prädestinierten Zielland für ausländische Nachrichtendienste, vor allem als Plattform für Spionageaktivitäten gegen andere EU-Länder.

Dass China aus diesen Umständen nach Ansicht des Verfassungsschutzes profitiert, könnte zu kurz- und langfristig auftretenden Risiken wie etwa der Problematik des Abflusses von Expertise von Österreich nach China sowie einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes Österreich führen. Denn die österreichisch-chinesische Forschungskooperation findet überwiegend in hochtechnologischen Bereichen statt, wie Philipp Brugner vom ZSI in einem Gastbeitrag schreibt. Selbst, dass junge Chinesen Österreichs Hochschulen besuchen, wird mit Skepsis gesehen: Aus der starken Präsenz chinesischer Studierender an österreichischen Universitäten könne sich ein im großen Stil erfolgender Wissenstransfer nach China ergeben, wird im Bericht des Verfassungsschutzes ausgeführt.

Extra: Dual Use

Die missbräuchliche Verwendung von zivilen Forschungsdaten für politisch-militärische Zwecke wird auch als „Dual-Use“ bezeichnet. Das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft definiert auf seiner Website: „Güter mit doppeltem Verwendungszweck, sogenannte Dual-Use-Güter, sind Güter (Waren, Software und Technologie), die aufgrund ihrer technischen Spezifikationen sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können.“

 

Die EU-Kommission will das Bewusstsein schärfen und hat Hochtechnologiebereiche definiert, bei denen verstärkt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden sollten – genannt werden hochentwickelte Halbleiter, Künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien und Biotechnologie. Bei internationalen Kooperationen in diesen Themenfeldern wird geraten, sich das Verhältnis der Kooperationspartner und Partneruniversitäten zu militärischen oder nachrichtendienstlichen Einrichtungen näher anzusehen.

Auch Biotechnologie kann missbräuchlich eingesetzt werden Credit: APA (AFP)

Eine angemessene Risikobewertung internationaler Kooperationen sei gar nicht so einfach, erklärte Schuch. Deshalb müsse es nationale Richtlinien geben, wie damit in dieser und jener Situation, umzugehen sei und was man dabei beachten sollte. Vonseiten der heimischen Wissenschaftspolitik erklären Heribert Buchbauer und Katharina-Irene Bointner vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) in einem Gastbeitrag, wie man „verantwortungsvolle Internationalisierung“, also Maßnahmen, die dem Verhältnis zwischen dem Potenzial der Kooperation und dem Risiko geeignet Rechnung tragen, etabliert.

„An der Universität Graz sind wir grundsätzlich sehr offen für internationale Studierende, auch aus geopolitisch konfliktbehafteten Regionen“, sagte Joachim Reidl, Vizerektor für Forschung an der Universität Graz, gegenüber APA-Science. „Im Einklang mit der EU und den anderen österreichischen Universitäten wollen wir auch im Hinblick auf Forschungskooperationen so offen wie möglich, aber so restriktiv wie nötig sein.“ Man möchte die Türe nicht zuschlagen, vielmehr potenziell Türöffner dafür sein, dass demokratische Freiheiten in der Wissenschaft auch anderswo stärker gelebt werden können. Warum es sich auszahlen kann, auch in Zeiten ideologischer Konfrontation oder von Sanktionen gewisse Kooperationsbeziehungen zu erhalten, erklärte Oliver Rathkolb im Hinblick auf den Kalten Krieg und die Geschichte des Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) im Beitrag „Wie ein Spionageverdacht dem IIASA zu globalem Stellenwert verhalf“.

Joachim Reidl, Vizerektor für Forschung an der Universität Graz; Credit: Uni Graz/Kanizaj
Rund 20 Prozent der Forschungsaktivitäten "sensibel"

„Wir betreiben zu rund 90 Prozent Grundlagenforschung – Dual-Use-Aspekte sind dort anfänglich meist gar nicht oder erst in weiterer Zukunft zu erkennen“, erklärte Reidl. Wenn jene Aspekte aufkommen, betreffen sie vor allem den MINT-Bereich. Zusammen mit den Forschenden, die sich darüber oft nicht bewusst sind, sei dann eine breite Diskussion und „Awareness-Raising“ nötig. Grundsätzlich wolle man an der Universität Graz trotzdem bei rund 80 Prozent der Forschungsaktivitäten „Open Science“ betreiben und Ergebnisse für jedermann zugänglich machen. Demgegenüber stehen circa 20 Prozent, bei denen Patente geschützt werden sollen, um etwa die Gründung von Start-ups oder Kooperationen mit der Industrie zu ermöglichen – der potenziell sensibelste Bereich, was die Informationsgewinnung durch Akteure ausländischer Staaten angeht, auch wenn es in Graz noch keinen konkreten Fall gegeben hat.

Reidl betonte außerdem die europäische Dimension der Problematik: „Wir tauschen uns regelmäßig mit Partneruniversitäten in ganz Europa zu Wissenschaftsdiplomatie, aber auch Sicherheitsrisiken in diesem Zusammenhang aus.“ Dabei halte man sich an europäische Vorgaben und Leitfäden wie etwa das „Staff Working Document on Tackling R&I Foreign Interference“ der EU aus dem Jahr 2022. Dass Projekte oder Kooperationen unter der aktuellen Situation leiden, ist für ihn derzeit noch nicht erkennbar – „das könnte sich ändern, wenn sich die geopolitische Situation verschärft und einzelne Länder anfangen, Top-Down zu regulieren“, sagte er.

Auf APA-Science-Anfrage betonten die beiden größten heimischen Forschungsförderungsinstitutionen, der Wissenschaftsfonds FWF und die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, die Bedeutung internationaler Kooperationen für Österreich. Es bestehe ein enger Austausch mit dem BMBWF, den Universitäten und Forschungseinrichtungen, sowie dem europäischem Förderdachverband „Science Europe“. Welche europäischen Best Practices man in Zukunft umsetzen will, sei Teil dieser Gespräche, hieß es vom FWF.

Extra: Beispiele für Orientierungshilfen

In den Niederlanden sind als Orientierungshilfe nationale Kontaktstellen eingerichtet worden, die im Hintergrund mit anderen Behörden kommunizieren, um hier zu beraten, berichtet Schuch. Es gebe aber keine konkreten Ja/Nein-Antworten, weil sonst in die Entscheidungsautonomie der Universitäten eingegriffen werde. In Flandern wiederum sei ein System in der Forschungsförderung in Vorbereitung, bei dem Forschenden, wenn sie ihre Projekte bei den Förderagenturen einreichen, mittels Ampelfarbe angezeigt wird, ob eine Kooperation unbedenklich wäre. Australien habe knapp 100 chinesische Universitäten, mit denen häufig kooperiert wird, gescreent und bewertet, so der ZSI-Manager. Dieser sogenannte ASPI-Tracker werde zwar häufig genutzt, ein entsprechendes EU-weites System zur Aufzeichnung von Fällen unerwünschter Einmischung ausländischer Institutionen in der EU scheitere aber unter anderem an Widerständen einzelner Mitgliedstaaten.

Der ASPI-Tracker wird häufig genutzt; Credit: Screenshot

Anfang 2024 wurden von der Universität Wien Empfehlungen für Forschungskooperationen mit Institutionen, etwa in China oder anderen autoritär regierten Staaten entwickelt, um unerwünschten Wissenstransfer zu verhindern. „Dies umfasst u. a. international ausgerichtete Initiativen der Volksrepublik China kritisch auf ihr Risiko zu prüfen, insbesondere Projekte mit einseitiger Finanzierung von Forschungsprojekten durch Fördereinrichtungen in der Volksrepublik China, die eindeutigen wissenschaftlichen Mehrwert für die Wissenschafterinnen und Wissenschafter der Universität Wien bringen und ein überschaubares Sicherheitsrisiko darstellen müssen“, hieß es seitens der Universität Wien.

Weiters sollen persönliche Einladungen von Forschenden, insbesondere wenn diese mit Reisen in die Volksrepublik China verbunden sind, nur angenommen werden, wenn sie einen akademischen Zweck haben und wenn Einladungen zu wissenschaftlichen Konferenzen auf einen größeren Kreis internationaler Teilnehmer abzielen.

Klar ist, dass eine Gratwanderung zwischen der für die Forschung so wichtigen Offenheit, die sich auch an der Vielzahl internationaler Kooperationen zeigt, und einem Schutz von Wissen und Expertise vor missbräuchlicher Nutzung nicht leicht ist und Behutsamkeit abverlangt. Als Grundvoraussetzung für Forschungssicherheit („research security“) gilt ein entsprechendes Bewusstsein für die Problematik. Beim Bewusstsein, besonders unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, gibt es laut Experten aber noch Spielraum nachzuschärfen. An Aufklärung und entsprechenden Hilfestellungen wird schon gearbeitet.

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