Forschen auf den “Inseln der Kulturlandschaft”
Die Arbeit unter freiem Himmel ist für Wissenschafter wie etwa Biologen oder Geologen nichts Ungewöhnliches. Selten aber werden sie so naturnahe Bedingungen vorfinden wie in einem Nationalpark, meint einer, der es wissen muss: „Ein Alleinstellungsmerkmal der Forschung in Nationalparks ist die Langfristigkeit der Untersuchungen“, so der Wildtierökologe Friedrich Reimoser, der seit Mitte der 1990er Jahre Nationalpark-Forschung betreibt, im Gespräch mit APA-Science.
Reimoser, der offiziell seit Ende des vergangenen Jahres in Ruhestand ist, hat über viele Jahre an der Universität für Bodenkultur (Boku) und an der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmed) gelehrt und war in die Forschung in insgesamt fünf Nationalparks und im Wildnisgebiet Dürrenstein involviert. An den Unis ist er noch immer aktiv, “wenn auch nicht mehr im gleichen Ausmaß wie früher”.
Die Möglichkeit, langfristige Ökosystemforschung über Jahrzehnte und gleichbleibendes, begleitendes Monitoring zu betreiben, ist für den Experten “einzigartig”. Das liege unter anderem daran, dass die Kernzonen der Nationalparks mangels Land- und Forstwirtschaft nicht konsumtiv genutzt werden und auch die Bejagung von Wildtieren nur in Ausnahmefällen erlaubt ist.
Vom Akteur zum Beobachter
Im Nationalpark wird der Mensch vom Akteur zum Beobachter. Wie sich dieses "Sich-selbst-Überlassensein" auf die Biodiversität auswirkt, steht im Mittelpunkt von Reimosers Forschungsinteresse. "Wie sind die Wechselwirkungen zwischen Pflanzenfressern und Pflanzen, wie ändert sich das Verhalten der Wildtiere?", das sind einige der Fragen, denen der Wildtierökologe seit gut zwei Jahrzehnten nachgeht. Aus den Forschungsergebnissen lassen sich wertvolle Rückschlüsse für bewirtschaftete Gebiete ziehen, ist der Experte überzeugt.
Durch das sogenannte Vergleichsflächenverfahren hätte sich etwa gezeigt, dass große Pflanzenfresser wie Hirsche und Gämsen auch positive Auswirkungen auf die Waldbiodiversität haben können. Bei dem Verfahren werden zwei nebeneinander liegende Flächen von sechs mal sechs Metern über lange Zeiträume miteinander verglichen. Die Areale sind völlig gleich, nur ist eine der Flächen so eingezäunt, dass sie Huftiere nicht betreten können. “Der Zaun wirkt als Filter. Und aufgrund dieses Filters können wir herausarbeiten welche Auswirkungen große Pflanzenfresser speziell auf die Waldvegetation haben”, erklärt Reimoser.
Die bisherigen Resultate würden "ein absolutes Novum” darstellen. Die wild lebenden Huftiere würden vor allem in sehr naturnahen Waldstrukturen durch das Aufwühlen des Bodens und die Verbreitung von Samen einen positiven Einfluss auf die pflanzliche Vielfalt im Ökosystem Wald ausüben. Zusatz: Auf die Menge kommt es an. “Das völlige Fehlen von großen Pflanzenfressern führt zu geringeren Biodiversitäten der Pflanzen und ein Zuviel reduziert sie auch wieder.” Eine moderate Wildeinwirkung habe also am ehesten eine hohe Pflanzendiversität zur Folge.
Die Raumnutzung von Wildtieren
Ein weiteres Langzeitprojekt, an dem der Ökologe beteiligt ist, ist der Aufbau von Monitoringsystemen innerhalb der Nationalparks, die Aktivitätsmuster und die Raumnutzung der Wildtiere in Abhängigkeit von Jahreszeit, Wetter und menschlichen Störungen untersuchen: “Da wurden Huftiere narkotisiert, mit GPS-Halsbändern bestückt und dann über mehrere Jahre beobachtet, wie sich das entwickelt, wenn die Tiere nicht bejagt werden.”
Vor allem in den alpinen Nationalparks wie in den Hohen Tauern habe sich gezeigt, dass Rothirsche im Hochsommer konzentriert in relativ großen Rudeln in den besten Lebensräumen oberhalb der Waldgrenze leben und im Hochwinter in Tieflagen konzentriert sind. Übrige Flächen seien währenddessen weitgehend frei von Rotwild.
Nur im Frühjahr und im Herbst sind die Tiere dann auf wesentlich größerer Fläche verteilt. Diese Raumnutzungsmuster könne man in einer normalen bewirtschafteten Landschaft nicht erkennen, denn hier entstehe bei der erforderlichen Regulierung der Wildtiere “ein gewisser Jagddruck”. “Dadurch sind die Tiere diffuser verteilt und es kann diese natürliche 'Klumpung' vor allem in Hochsommerzeiten eigentlich kaum irgendwo wirklich erfolgen. Das war recht interessant.”
Sobald das Wild aber vom Menschen gestört wird, ändere es sein Raumnutzungsverhalten und ziehe sich stärker in weniger gestörte, deckungsreiche Wälder zurück. Dort entstehe dann die Gefahr einer Überbelastung der als Nahrung aufgenommenen Vegetation, was sich wiederum negativ auf die Biodiversität auswirke.
Schutz natürlicher Prozesse
In den 1990er Jahren wurden in Österreich drei Nationalparks anerkannt: Neusiedlersee - Seewinkel (1993), Donau-Auen (1996) und Kalkalpen (1997). Die ersten Arbeiten, denen Reimoser nachging, drehten sich noch um die Managementpläne für die neu gegründeten Nationalparks. Das Credo lautete, dass der Schutz der natürlichen Prozesse im Vordergrund stehen sollte und jede Intervention dahin gehend begründet werden müsse, dass sie einem "höheren Naturschutzzwecke" diene.
Der zweite Schritt in Sachen Nationalparks war für Reimoser die wildtierökologische Raumplanung, bei der es um die Vernetzung des Nationalparks mit seinem Umfeld geht. "Die Nationalparks sind ja bei uns in Mitteleuropa nur kleine Inseln in einer Kulturlandschaft, wo die mobilen Säugetierarten ein- und ausmarschieren. Da braucht es ein Zusammendenken im Großraum", so Reimoser. Wenn etwa Huftiere mit dem Quellgebiet Nationalpark außerhalb für die Land- und Forstwirtschaft als "Schadensarten" in Erscheinung treten, bedürfe es eines abgestimmten Managements, denn eine Bejagung im herkömmlichen Sinne komme für Nationalparks nicht infrage.
Bunt gemischtes Ensemble
Nationalpark-Forschung ist facettenreich und interdisziplinär. Die Schwerpunkte sind punktuell je nach Nationalpark-Führung etwas anders gewichtet, grundsätzlich seien aber fast alle möglichen Wissensgebiete vertreten. “Ich denke, dass hier alle Platz finden: Von den Entomologen, die sich um Käfer kümmern über Botaniker die sich mit Pflanzen befassen, es ist wirklich ein sehr bunt gemischtes Ensemble von Forschern”, sagt Reimoser, der hier auch den Austausch unter Wissenschaftern hervorhebt.
Die Gründung der Dachmarke “Nationalparks Austria” vor drei Jahren bewertet der Forscher positiv: “Man hat jetzt mehr gemeinsame Blickwinkel und eine gemeinsame Basis.” Dadurch sollte auch die Abstimmung zwischen den Nationalparks und damit die Vergleichbarkeit der Forschung in Zukunft besser werden, hofft Reimoser.
Von Mario Wasserfaller / APA-Science