Crowdsourcing ist an den Unis angekommen
Mit einer offenen Ausschreibung für den "Ö1 Hörsaal" fiel vor zwei Jahren der Startschuss zu einem bis dato einmaligen Open Innovation-Projekt. Zwölf Universitäten beteiligten sich an der als Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft konzipierten Initiative. Das Resümee der Unis und ihrer Partner nach Projektende fällt grundsätzlich positiv aus, einer Fortsetzung dürfte nichts im Wege stehen.
Auch wenn an einzelnen Schrauben gedreht werden müsse, "sind die Weichen in Richtung eines zweiten Durchgangs 2016 gestellt", zeigte sich Elisabeth Fiorioli, Generalsekretärin der Österreichischen Universitätenkonferenz (uniko), die das Projekt mitinitiiert hatte, in einer Feedback-Veranstaltung zum Projekt gegenüber APA-Science optimistisch. Der Ö1 Hörsaal wurde zudem als Best Practice-Projekt der Open Innovation Initiative der heimischen Bundesregierung ausgewählt. Beteiligt waren die Technische Universität (TU) Graz, Medizinische Universität Innsbruck, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Universität für Bodenkultur, Akademie der bildenden Künste Wien, Uni Salzburg, Uni Graz, TU Wien, Uni Innsbruck, Angewandte, Medizinische Uni Graz und Uni Klagenfurt.
Im Rahmen der Ausschreibung waren Bürger aufgerufen, Lösungen für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und Probleme vorzustellen und ihr Wissen im Sinne von "Crowdsourcing" an die Unis zu bringen. Aus 251 Einreichungen wählte eine Jury dreizehn sehr unterschiedliche Ideen und Projekte, die jeweils in Kooperation mit einer Universität umgesetzt wurden. Der Radiosender Ö1 begleitete das Projekt multimedial, als technischer Partner fungierte Innovation Service Network (ISN).
Nur über die Masse zu Top-Ideen
Grundsätzlich zeigten sich die Unis zufrieden mit dem Projekt, wenngleich es einen nicht zu unterschätzenden administrativen und personellen Aufwand bedeutet habe. Eine Herausforderung sei es etwa gewesen, "eine(n) zum Thema passende(n) Forscher(in) zu finden, der auch zeitliche Ressourcen aufbringen konnte", hieß es. Dass am Thema Open Innovation für die Universitäten aber kein Weg vorbei gehe, waren sich alle einig - auch wenn betont wurde, dass die Hochschulen ohnehin "keine hermetisch abgeriegelten" Institutionen seien.
Ein Kritikpunkt der Unis, welche aus den Einreichungen ein zu ihrem Profil passendes Projekt auswählten, betraf deren durchaus schwankende Qualität. Durch die Heterogenität - von abstrakten Fragestellungen bis hin zu bereits laufenden Projekten - sei es zudem nicht immer leicht gewesen, sie zu bewerten oder miteinander zu vergleichen.
Diese Heterogenität gehöre einerseits zum Wesen von Crowdsourcing-Projekten, sei aber teilweise auch der sehr breiten Formulierung der Ausschreibung geschuldet, in welcher auch Tom Grad und Christian Garaus vom Institut für Strategie, Technologie und Organisation der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien Verbesserungsbedarf sahen. So regten die als externe Evaluierer engagierten Fachleute die Vorgabe einer gewissen Struktur und "Sub-Challenges" an.
Mehr "Masse"
Neben "mehr Zielklarheit" rieten sie auch dazu, eine Erweiterung der "Masse" über die Ö1-Hörerschaft und die ISN-Community hinaus anzupeilen. "Nur über das Einfangen von vielen, vielen Ideen gelangt man an die ganz wenigen herausragenden", gab Garaus zu bedenken. Denn obwohl sich die Zahl der Einreichungen und auch die Anzahl der Teilnehmer (116) durchaus sehen lasse, sei der Bewerb von einem relativ kleinen, hochaktiven Kreis vorangetrieben worden. "Von 15 Einreichern stammten 52 Prozent der Ideen und Projekte - und 70 Prozent davon kamen unter die zehn besten", so seine Analyse.
Im große und ganzen sei beim Projekt jedoch "sehr viel sehr gut gelaufen", meinte Garaus und warnte davor, an zu vielen Schrauben drehen zu wollen. "Open Innovation ist ein Tool, das nie beim ersten Mal funktioniert", so sein nüchterner Hinweis. Erst müsse intern die Kapazität aufgebaut werden, um Ideen von außerhalb überhaupt an- oder aufnehmen zu können.
Vom bewohnbaren Container bis zur "Essbar"
Die dreizehn Siegerprojekte spiegeln die Breite der Ausschreibung wieder: Manche befanden sich noch in einem Ideen- oder Projektstatus. Bei anderen ging es um die Präsentation eines fertigen Projekts. So etwa bei einem ausrangierten Schiffscontainer, der als Prototyp für ein Smart Home namens Living Container bereits existierte. Die Universität Klagenfurt adoptierte das Projekt, stellte die riesige rostige Frachtbox auf dem Unigelände auf und sorgte für drei öffentliche Begehungen, wo Input für Weiterentwicklungen gesammelt wurde. Gleichzeitig tüftelten Umweltforscher und Elektrotechniker der Uni an der Verbesserung der Dämmung. Die Container-Wohnungen werden tatsächlich verwirklicht - ob für Studenten oder für generationenübergreifendes Wohnen, ist noch nicht entschieden. Fix sei, dass die Stadt Klagenfurt ein Grundstück zur Verfügung stellen wolle.
Als nachhaltig erwies sich auch die Idee der "Seniorenuni Graz", welche an der Medizinischen Universität Graz umgesetzt wurde. Ziel war es, den Bewohnern und Angehörigen des Grazer geriatrischen Gesundheitszentrums die Möglichkeit zu geben, mit den Experten der Uni ins Gespräch zu kommen. Auch Studierende wurden in die Wissensvermittlung stark eingebunden. Dieses Projekt soll als Veranstaltungsreihe weitergeführt werden.
Um Integration geht es beim "Interkulturellen Mentoring für Schulen", umgesetzt mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien in Kooperation mit der Akademie der bildenden Künste Wien. An Volks- und Mittelschulen in Wien und St. Pölten werden Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund durch Studierende mit ähnlichem Hintergrund in ihrer persönlichen und schulischen Entwicklung unterstützt.
Die weiteren Siegerprojekte: ein Sanierungskonzept für private Trinkwasserbrunnen, die Forcierung öffentlicher Selbsternteflächen unter dem Titel "essbare Gemeinden bzw. Firmengärten", die Bewahrung alten Handwerks-Wissens im "Netzwerk Baukultur Salzkammergut", "Bienengespräche" - eine Initiative, welche das althergebrachte Wissen der Imker erweitert um wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse an die Nachwuchs-Bienenzüchter bringt, die Weitergabe alten Kulturwissens, Dämmen mit Baumrinde, Pflanzenwissen, Wissenschaftsvermittlung, "Science Angels" und ein Energie(s)parcours.
Reichtum an Wissen
Umfassende Erfahrung mit der "Crowd" sammelte Martin Bernhofer, Leiter der Ö1-Wissenschaftsredaktion, schon vor dem Ö1 Hörsaal. Bereits seit 2013 setzt der Sender auf den Schwerpunkt "Open Innovation". Im Zuge der mittlerweile abgeschlossenen Projekte "Innovation Leben" und "Orte in Bewegung" war eine Ideenplattform eingerichtet worden, auf der Hörerinnen und Hörer Beiträge in Bild, Text oder Ton hochladen konnten.
"Da haben wir realisiert, wie groß das zivilgesellschaftliche Engagement in Österreich ist, wie viele Initiativen es zu unterschiedlichsten Themen - vom Arbeitsmarkt über Integration, Zusammenleben bis hin zu neuen Formen des Wirtschaftens - bereits gibt, bis hin zu bereits umgesetzten Projekten", erklärte er. Die überwiegende Zahl an Beiträgen sei aus dem informellen Sektor gekommen, etwa von kleinen Vereinen oder innovativen Zentren innerhalb von Gemeinden. "Hier ist Kompetenz außerhalb der herkömmlichen Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen entstanden, die für diese eine durchaus wertvolle Ergänzung darstellt", so Bernhofers Erkenntnis.
Für die Redaktion waren die Open Innovation-Projekte auf jeden Fall ein Gewinn: "Wir hatten die einmalige Chance, viele neue Projekte, Initiativen und interessante Personen kennenzulernen und einen alternativen Recherchepool aufzubauen."
Von Sylvia Maier-Kubala / APA-Science
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