Muslimische Schüler kritischer im Umgang mit ihrer Religion
Eine Studie der Professoren Ednan Aslan und Erol Yildiz, die 139 muslimische Jugendliche befragten, kommt zu dem Schluss, dass diese sich immer kritischer mit der eigenen Religion auseinandersetzen. Nach wie vor würden aber 40 Prozent eine sehr traditionelle, unkritische Haltung zum Islam leben. Einfluss auf die Religiosität der Schüler habe auch Social Media. Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) kündigte indes eine Initiative gegen Hassprediger im Netz an.
40 Prozent der 90 befragten Schülerinnen und 49 Schüler im Alter von 14 bis 19 Jahren biete ihre religiöse Identität bzw. ihr religiöses Milieu einen Bezugsrahmen, um sich zu gesellschaftlichen Fragen zu positionieren. Diesen würden sie oftmals unhinterfragt übernehmen. Sie leben in einer mehrheitlich islamischen Community mit überwiegend muslimischem Freundeskreis, halten sich an religiöse Gebote und Verbote und lehnen von der traditionellen islamischen Theologie abweichende Auffassungen mehrheitlich als "unislamisch" ab. Die meisten davon hätten bereits als Kinder religiöse Erziehung durch die Familie bzw. Koranunterricht in Moscheen genossen. "Ein Gelehrter in Ägypten sagt etwas, und von jenen wird das unhinterfragt übernommen", sagte der Wiener Religionspädagogik-Professor Ednan Aslan bei einer Pressekonferenz am Freitag.
Wachsend sei aber die Gruppe jener Schülerinnen und Schüler, die ihre Haltung zur Religion abwägen und reflektieren würde, ergänzte sein Innsbrucker Kollege Erol Yildiz. 60 Prozent verstehen sich demnach als Musliminnen und Muslime, messen ihrem "Muslimisch-sein" jedoch keine hohe Priorität bei. Sie würden Beziehungen zu Menschen unterschiedlicher Positionen und Religionszugehörigkeiten pflegen, einen weltoffenen Zugang zu gesellschaftlichen Fragen praktizieren und aus unterschiedlichen Einflüssen ihr subjektives Verständnis von Religiosität entwickeln. Diese Gruppe besuche auch deutlich seltener eine Moschee. Für 22 Prozent der Befragten stelle es auch keinen Widerspruch dar, sich selbst als Muslime zu verstehen und zeitgleich Dinge zu tun, die aus theologisch-konservativer Perspektive als verboten oder "haram" betrachtet werden könne.
Digitale Medien würden eine gewichtige Rolle dabei spielen, einen eigenen Zugang zur Religion und zu deren Interpretation zu finden. Einige der Befragten gaben an, am Tag bis zu acht Stunden auf Sozialen Netzwerken zu verbringen. Man müsse die "Umma" - die Gemeinde der Gläubigen - heute neu definieren, betonte Yildiz. "Sie ist weniger auf einzelne Moscheen zentriert und durch die digitalen Möglichkeiten globaler." Der offene Zugang zu jeder Art von Information könne eine emanzipierende Wirkung haben und Kritikfähigkeit stärken, so die Studienautoren.
Potenzielle Gefahr durch "Influencer-Preacher"
Dieser birgt aber auch Gefahr. "Influencer-Preacher" erklären in 60- bis 90-sekündigen Videos auf der Plattform TikTok, wie der Koran auszulegen ist - und das oftmals aus fundamentalistischer Sicht. Vor jenen Hasspredigern, die laut Verfassungsschutz (DSN) zur Radikalisierung junger Männer beitragen, will die Bundesregierung junge Menschen nun besser schützen. Dies könne auf zwei Arten gelingen, so Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm zur APA: "Entweder über die Social Media Plattformen an sich, indem wir sie zwingen, solche Videos zu löschen und Junge damit zu schützen. Oder wir geben jungen Menschen selbst das Rüstzeug, solche Online-Jihadisten zu durchschauen und sich nicht anstecken zu lassen von diesem extremen Gedankengut."
Mit dem Digital Service Act hat die EU einen ersten Versuch unternommen, gefährliche Inhalte auf Plattformen in den Griff zu bekommen, allerdings sind hier die Löschfristen sehr vage. Ab 2024 starte man deshalb damit, Seminare und Unterlagen anzubieten, die Jugendlichen helfen sollen, die Strategie von Hasspredigern zu enttarnen. "Denn islamistischer Hass darf bei uns keinen Millimeter Platz haben, wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen vor diesem geistigen Gift schützen", sagte Plakolm.
Wichtig zu betonen war Yildiz und Aslan, dass es sich bei den Ergebnissen der Studie um eine Momentaufnahme handle. Von Schulen wünschen sie sich einen offeneren Dialog zu religiösen Themen, auch fächerübergreifend. Viele der befragten Schüler und Schülerinnen hätten etwa für Ethikunterricht für alle SchülerInnen plädiert. Vielen fehle die Diskussion zu relevanten Alltagsfragen und medialen Debatten zur Stellung des Islam in der Gesellschaft im islamischen Religionsunterricht, wenngleich sie diesen per se gern besuchen. "Die Fragen, die junge Menschen beschäftigen, sollten auch die Schulen beschäftigen. Denn eine Schule, die die religiösen Belange der Schülerschaft nicht ernst nimmt, kann ihrem Bildungsauftrag nicht entsprechen", so das Fazit von Yildiz und Aslan.