Umweltökonomin: Bundeskanzler fehlt "Climate Leadership"
Fehlende wirtschaftspolitische Vorgaben sieht Umweltökonomin Sigrid Stagl von der WU Wien als auffälligstes Defizit der österreichischen Politik im Versuch, die Klimakrise zu bewältigen. "Die größte Baustelle ist der Industriebereich", sagt sie im APA-Interview. Das betreffe die bisherigen Maßnahmen der Regierung ebenso wie die Wahlprogramme der Parteien für den Nationalrat. "Kreislaufwirtschaft ist ein Schlüsselfaktor. Ohne sie wird die Transformation nicht gelingen."
Das Bewusstsein der Endlichkeit von Ressourcen bei gleichzeitigem Fehlen von echten technologischen Alternativen sieht die Wissenschafterin als wichtigstes Argument für eine Umstellung auf nachhaltiges Wirtschaften. "Bei der Dekarbonisierung wird uns einiges gelingen. Da ist eine Trendumkehr eingeleitet. Bei der Bewältigung der Biodiversitätskrise sind wir dagegen noch lange nicht so weit." Hier fehlten umfassende Konzepte, die etwa auch eine Veränderung der Mobilität miteinbeziehen. "Der Verkehr ist noch immer das große Sorgenkind der Klimapolitik. Die Trendwende geht zu langsam. Hier braucht es eine entschiedenere Veränderung der Infrastruktur."
Prioritäten haben sich verschoben
An sich sei die Klimabilanz der auslaufenden Legislaturperiode nicht so schlecht, meint die Ökonomin am Department für Sozioökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. "Endlich sind die Emissionen auf einen Pfad nach unten geschickt worden. Klimapolitisch ist deutlich mehr gelungen als in der Vergangenheit - aber noch lange nicht genug!" Das werde sich aber wohl weder unter der nächsten Regierung noch unter der nächsten EU-Kommission ändern. "Leider stehen mehrere Krisen miteinander im Wettbewerb." Dadurch habe sich die Prioritätenliste geändert und sei der Eindruck entstanden, bisher getroffene Maßnahmen seien ausreichend, nun müsse man sich auf anderes konzentrieren. "Dabei müssten die Anstrengungen weiter verstärkt werden. Die Zeit ist knapp!"
Vor allem plädiert Stagl für ein Umdenken im großen Stil. Es gehe darum, klarzumachen, dass die notwendigen Veränderungen nicht zu Einschränkungen, sondern zur Sicherung von Lebensqualität und -zufriedenheit führen würden. Und es gehe darum, die Bremser dabei herauszustreichen. "Wir müssen etwa aufhören, von 'der Wirtschaft' zu sprechen. Es gibt sehr wohl innovative Unternehmen, die diesen Wandel wollen und klare Rahmenbedingungen dafür einfordern. Es gibt aber auch welche, deren Geschäftsmodell große Auswirkungen auf die Umwelt hat, die sich aber weiterhin nicht verändern wollen. Wir müssen jene, die sich dem verweigern, künftig benennen und in die Pflicht nehmen." Dass in der Bevölkerung eine große Bereitschaft da sei, auch radikale Maßnahmen mitzutragen, habe etwa die Arbeit des Klimarats gezeigt. "Es ist sehr schade, dass es nicht gelungen ist, daraus etwas Nachhaltigeres zu machen."
Ambitionierte Klimapolitik wird in Frage gestellt
Im österreichischen Wahlkampf sind Klimathemen derzeit nicht dominant. "Es wundert mich, dass das so eine geringe Rolle spielt nach über 50 Tropennächten in Wien und dem heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Das liegt daran, dass 'Climate Leadership' vom Bundeskanzler fehlt und ambitionierte Klimapolitik in manchen Wahlprogrammen erneut in Frage gestellt wird."
Vor allem gelte es, die notwendigen Veränderungen "nicht als Problem darzustellen, sondern als Herausforderung, die wir meistern müssen. Wir wissen, wenn wir's nicht angehen, kommt es uns teuer! Die Kosten des Nichthandelns sind enorm. In Österreich schätzt man sie bereits jetzt auf mehrere Milliarden Euro pro Jahr, in Europa auf jährlich 250 Milliarden Euro." Natürlich seien die Kosten für die Transformation enorm, aber auch die weltweiten Subventionen für fossile Energie summierten sich nach Schätzungen mit 7 Billionen Dollar pro Jahr nahezu auf die gleiche Höhe. "Es braucht also nicht überall neue Finanzierung, man könnte vieles einfach umschichten. Vor allem aber gilt: Jedes Jahr, das wir ungenützt verstreichen lassen, macht es teurer!"
Nur Gesamtlösung möglich
"Die Option, nichts dafür auszugeben, aber dennoch größte Wirkung zu erzielen, gibt's leider nicht", analysiert Stagl eine "Klimapolitik mit Hausverstand", wie sie von der ÖVP gefordert wird. Es wundere sie, dass man industriepolitisch etwa weiter Verbrennermotoren propagiere. "Da frage ich mich schon: Setzt man demnächst wieder auf die Schreibmaschine?" Auffällig sei, dass fast alle Parteien bei der Lösung der Klimakrise mehr oder weniger stark auf eine Technologie-Offensive setzten. Statt aber Vorschläge für eine neue, zielgerichtete Strategie der Innovations- und Forschungspolitik zu liefern, stilisiere man einzelne Technologien zu heilsbringenden Zukunftslösungen, obwohl diese noch zu wenig erforscht, sehr teuer und bestenfalls kleiner Teil einer Gesamtlösung seien: "Unter Sebastian Kurz setzte man auf Grünen Wasserstoff, Kanzler Nehammer propagierte synthetische Treibstoffe und jetzt ist 'Carbon Capture and Storage' (also das Einfangen und Speichern von emittiertem CO2, Anm.) das Nonplusultra. Das ist aber ein Verzweiflungsakt. Wir werden es brauchen für eine Übergangsfrist, weil es uns nicht rechtzeitig gelingen wird, überall die CO2-Emissionen im nötigen Ausmaß zu senken. Das kommt aber konkret nur für wenige Bereiche, etwa in der Zement- und der Abfallwirtschaft und im Flugverkehr infrage."
Grundsätzliche Vorschläge, wie ein Umstieg auf ein nicht weiter Raubbau an den natürlichen Ressourcen betreibendes Wirtschaften gelingen könne, bei dem gleichzeitig soziale Inklusion betrieben, Ungleichheit bekämpft und Wohlbefinden gesichert werde, vermisst die WU-Ökonomin, die auf einem Bauernhof im Waldviertel aufgewachsen ist, bei allen Parteien. Ein tiefgreifendes Umdenken sei aber notwendig - und in manchen Bereichen auch in Gang gekommen, so die 55-Jährige: "Obwohl es auch durch Versäumnisse der Fiskalpolitik noch immer möglich ist, für 30 Euro schnell mal nach Barcelona zu fliegen, ist das unter jungen Leuten gar nicht mehr cool. Das macht Hoffnung."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)