Rekord-Investitionen in österreichische Start-ups - der Wendepunkt?
Der vorliegende Artikel geht der Frage nach, wie die jüngsten Erfolgsmeldungen einzuschätzen sind. Der Mangel an Risikokapital stellt bislang ein dauerhaftes Problem für Österreichs Innovationssystem dar. Ändert sich das jetzt? Was zählt zum Risikokapital, welche Rolle spielen Business Angels? Warum ist es wichtig, woher das Kapital kommt?
In letzter Zeit gab es eine Reihe erfreulicher Meldungen wie z.B. "Österreichs Start-ups mit Rekordfinanzierung" (1). Allerdings stellt sich bei Lektüre der entsprechenden Artikel heraus, dass dieser Rekord auf zwei finanzierte Unternehmen zurückzuführen ist, Bitpanda und GoStudent.
Das ist zunächst natürlich erfreulich, da es zeigt, dass es (i) möglich ist, in Österreich Unternehmen mit innovativem Geschäftsmodell innerhalb weniger Jahre zu einem Marktwert von über einer Milliarde Euro aufzubauen ("Einhörner"), und dass (ii) die öffentliche Förderung solcher Unternehmen durch gezielte Programme (insbesondere über die aws) gewisse Erfolge zeigt.
Diese Erfolge spiegeln sich in den Statistiken von Invest Europe wider, auf denen auch jener Indikator basiert, der im Europäischen Innovationsanzeiger (European Innovation Scoreboard, EIS) dazu beiträgt, ob ein Land als führend bei Innovationen ("Innovation Leader") eingestuft wird.
Dieser Indikator zählt zu den chronischen Schwächen Österreichs, 2021 lag das Land auf Rang 20 innerhalb der 27 EU-Mitgliedstaaten, und trotz des gestiegenen Volumens liegt Österreich auch 2022 nur auf Rang 17.
Ein Grund dafür ist, dass in den EIS der Mittelwert der letzten drei Jahre einfließt, um den Effekt von Ausreißern zu dämpfen. Ein zweiter Grund ist, dass die EU-Kommission Wachstumskapital zum Wagniskapital zählt, was der gängigen wissenschaftlichen Definition widerspricht.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Start-ups werden nicht notwendigerweise und schon gar nicht ausschließlich über Wagniskapital finanziert, und was als Start-up definiert wird, kann sich ebenfalls unterscheiden. Dementsprechend können Statistiken zum Finanzierungsvolumen für ein und dasselbe Land erheblich variieren.
Mit Risikokapital sind im Folgenden alle Formen von Beteiligungsfinanzierung gemeint, die im Englischen als "risk capital" bezeichnet werden: Diese inkludieren Wachstumskapital sowie alle anderen Formen von Private Equity, außerdem Investitionen durch Business Angels.
Wagniskapital (engl. "venture capital") ist nach gängiger wissenschaftlicher Definition eine Unterkategorie von Private Equity, das durch speziell ausgerichtete Fonds in junge, forschungsintensive Unternehmen investiert wird.(2)
Die chronischen Probleme Österreichs haben sich durch den Erfolg von Bitpanda und GoStudent statistisch sogar noch verschärft. Diese betreffen den extrem hohen Anteil ausländischen Wagniskapitals und den überproportionalen Anteil Wiens an allen Investitionen. Das ist auch nicht überraschend, denn strukturell hat sich in Österreich 2021 trotz der Erfolgsmeldungen nichts geändert.
Noch nie stammte anteilsmäßig so wenig Wagniskapital aus dem eigenen Land. Was in anderen Branchen vielleicht als Beleg für die Attraktivität des Standorts gesehen wird, ist im Bereich der Wagniskapital-Finanzierung ein Hemmnis. Denn bei Wagniskapital spielt die Bindung zwischen Investor (der Wagniskapitalgesellschaft) und investierten Unternehmen (den Start-ups) eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund ist räumliche Nähe wichtig, und aus demselben Grund konzentrieren sich Wagniskapitalgesellschaften und Startups typischerweise auf engem geografischen Raum. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung für Österreich seit 2007. Sowohl Gesamt-Volumina als auch heimische Anteile daran schwanken jährlich, was durch größere Einzelinvestitionen bedingt ist - besonders ersichtlich im Jahr 2021, als das Volumen stark zunimmt. Der Anteil heimischen Wagniskapitals erreicht mit 14,20 % im Jahr 2021 hingegen den niedrigsten Wert seit Beginn der Erhebungen. Davon abgesehen sind keine Trends erkennbar.
Abbildung 2 basiert auf einer WPZ Research exklusiv vorliegenden Berechnung der Anteile heimischen Wagniskapitals im mehrjährigen Schnitt. Österreich liegt - wohlgemerkt bei sehr kleinem Volumen insgesamt - weit zurück. Zum Vergleich Frankreich: Dort wurden in letzten Jahren mehrere Reformen durchgeführt hat, um sich zu einer "Start-up-Nation" zu entwickeln, wobei v.a. innovative Digitalfirmen zu robustem und nachhaltigem Wirtschaftswachstum beitragen sollen. Der Anteil heimischen Wagniskapitals liegt bei knapp zwei Drittel, bei weit größerem Gesamtvolumen.
Auch der Anteil Wiens lag nie höher als 2021, bei 91,83 % aller Wagniskapital-Investitionen in Österreich. Während in den 2010er-Jahren auch die industriell geprägten Regionen Oberösterreichs und der Steiermark relativ große Volumina aufwiesen, findet in diesem Jahrzehnt Wagniskapital praktisch nur noch in Wien statt.
Für die Gesamtwirtschaft ist das an sich weder gut noch schlecht: Die geografische Konzentration istletztlich ein Ausdruck von Effizienzgewinnen an bestimmten Standorten (Agglomerationseffekte). Für Wien entspricht 2021 sogar dem größten nominalen Volumen seit Beginn der Erhebungen 2007.
Aber vor dem Hintergrund der anderen Daten bedeutet es, dass es in Wien nicht wenige Unternehmen gibt, die Investoren unter den gegebenen Rahmenbedingungen attraktiv genug erscheinen. Bitpanda und GoStudent unterstreichen dies: Das Problem in Österreich ist demnach kein Mangel an Kreativität oder Entrepreneurship, sondern ein Mangel an Wagniskapital.
Und außerhalb Wiens? Angesichts der Initiativen Österreichs, sowohl Unternehmertum als auch F&E zu fördern, bieten einige Regionen gute Voraussetzungen. So hat sich im Raum der Obersteiermark und Graz-Umgebung ein Cluster akademischer Spin-offs gebildet, Start-ups also, die von Hochschulen heraus gegründet werden und in der Regel besonders F&E-intensiv sind.
Neue Forschungsergebnisse der WPZ Research(3) zeigen zusätzlich, dass es Spillover-Effekte gibt, von denen F&E-intensive Unternehmen profitieren, d.h. sie entwickeln sich besser, wenn sie sich in der Nähe anderer F&E-intensiver Unternehmen und/oder Forschungseinrichtungen wie Universitäten befinden. Die Ergebnisse zeigen allerdings auch, dass Start-ups schneller wachsen, wenn sie über ein stärkeres finanzielles Rückgrat verfügen, was die Bedeutung von Risikokapital noch einmal unterstreicht.
Vor diesem Hintergrund erscheint das niedrige Volumen an Wagniskapital in Österreich nicht nur als Hindernis für individuelle Geschäftspläne, was gesamtwirtschaftlich vielleicht verkraftbar wäre. Entscheidend ist vielmehr seine Bedeutung, F&E zu kommerzialisieren und somit zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beizutragen. Der Mangel an Wagniskapital ist, wenn schon kein Hauptgrund, so doch zumindest ein Symbol, warum Österreich vom angestrebten Aufstieg zum "Innovation Leader" auch in den 2020er-Jahren weit entfernt ist. Eine fehlende Finanzierung für forschungsintensive Startups bedeutet, dass es weniger kommerzielle F&E gibt, und daher auch weniger Spillovers, von denen wiederum andere Unternehmen profitieren.
Warum gibt es in Österreich so wenig Wagniskapital? Weil die Rahmenbedingungen ungünstig sind, es ist einfach nicht attraktiv genug, von Österreich aus Wagniskapital zu investieren. Es liegt v.a. an der unvorteilhaften Besteuerung für Wagniskapitalgesellschaften sowie dernGmbH & Co KG als de facto einziger möglicher Rechtsform. Andere Länder haben ermöglicht, Wagniskapitalgesellschaften auch als Aktiengesellschaften zu etablieren. Ein im Verhältnis zum BIP besonders großes Volumen, das durch heimische Fonds investiert wird, weist Luxemburg auf (vgl. Abbildung 2). Das bedeutet nicht, dass das in Luxemburg investierte Volumen besonders groß wäre, es ist (relativ zum BIP) sogar kleiner als jenes Österreichs. Aber es zeigt, wie durch günstige Rahmenbedingungen ein Land zum attraktiven Platz für Wagniskapitalgesellschaften sein kann.
Allerdings ist dazu nicht nötig, dass Österreich mit Steueroasen konkurriert. Im Verhältnis zum BIP mag das durch luxemburgische Wagniskapitalgesellschaften investierte Volumen groß sein, die Bedeutung für Europa ist gering. Man muss bei der Interpretation Wagniskapital nach dem Quell- und Zielland unterscheiden, was allerdings,wie Abbildung 2 illustriert, überwiegend dasselbe ist. Es ist also nicht so, dass Wagniskapitalgesellschaften nach dem steuerlich günstigsten Standort suchen und von dort aus operieren. Sie siedeln sich dort an, wo sie potenzielle Ziel-Unternehmen vermuten. Der Grund dafür ist die Kooperation zwischen Wagniskapitalgesellschaft und Start-up, erforderlich dafür ist räumliche Nähe.
Business Angels erfüllen im Grunde die gleiche Aufgabe wie Wagniskapitalgesellschaften, operieren allerdings als Individuen auf eigene Rechnung (4) In Österreich gibt es einige Business Angels, das investierte Volumen wird durch Programme wie dem "Business Angel Fonds" der aws noch erhöht.
Berechnungen zeigen, dass 2017, als es die Risikokapitalprämie gab und das Investitionsverhalten entsprechend gut dokumentiert wurde, das von Business Angels investierte Volumen gute zwei Drittel jenes der Wagniskapitalgesellschaften erreichte - bezogen auf inländische Investoren und Unternehmen. Mit anderen Worten, Business Angels kompensieren bis zu einem gewissen Maß den Mangel an heimischem Wagniskapital, und sie scheinen noch mehr als Wagniskapitalgesellschaften dazu zu neigen, im eigenen Land zu investieren. Allerdings ist die Dokumentation lückenhaft und deshalb kann das investierte Volumen nur grob geschätzt werden.
Es ist in Hinblick auf das österreichische Innovationssystem zu begrüßen, dass der Staat (über die aws) als Investor agiert. Nicht in allen, aber in vielen heute in der Start-up-Finanzierung führenden Ländern tragen oder trugen staatliche Finanzierungseinrichtungen wesentlich zur Entwicklung einer dynamischen Gründungsentwicklung bei. Wenn allerdings der Staat direkt oder indirekt bei den meisten Start-up-Investitionen beteiligt ist, stellt sich die Frage, warum in einem kapitalistischen System so wenig investiert wird.
Zur Vergrößerung des Risikokapital-Volumens nötig wäre eine Reform, die den Standort Österreich nicht nur für Start-ups, sondern für Wagniskapitalgesellschaften attraktiver macht. Damit würde Österreich zwar noch nicht die Spitze erreichen, denn dazu bräuchte es in eine umfassende Strategie eingebettete Reformen wie zuletzt in Frankreich, wo der Staat bspw. mit einer Reihe institutioneller Anleger aus Frankreich Milliardeninvestitionen in die Hochtechnologie-Branchen vereinbart hat. Aber zumindest könnte vermieden werden, dass vielversprechende Projekte in Österreich nicht finanziert werden, weil es an Wagniskapitalgesellschaften fehlt.
Das Ziel sollte daher sein, dass Wagniskapitalgesellschaften in Österreich gegründet werden, damit diese in Österreich Start-ups finanzieren. Zusätzlich können auch weitere Maßnahmen überlegt werden, um die Anreize für Private (also Business Angels) zu erhöhen, in forschungsintensive Start-ups zu investieren. Im aktuellen Regierungsprogramm wird ausdrücklich hervorgehoben, Innovation durch Risikokapital zu ermöglichen.
In der FTI-Strategie ist sogar formuliert, das Volumen der Wagnisfinanzierung in Österreich bis 2030 auf 0,1 % des BIPs zu erhöhen - 2017-2021 waren es, nicht zuletzt dank der beiden genannten Unternehmen, 0,05 %.5 Ohne eine Erhöhung des Volumens heimischen Wagniskapitals wird es nicht möglich sein, das formulierte Ziel zu erreichen.
Es sei abschließend noch einmal betont, dass Investitionen durch Business Angels nicht zum Wagniskapital gezählt werden. Sollten Business Angels tatsächlich Österreichs Mangel an Wagniskapital kompensieren - in dem Sinn, dass ihr investiertes Volumen größer ist als in vergleichbaren Ländern - stellt sich auch die Problemlage anders dar. Im Gegensatz zu Wagniskapital-Investitionen, die von Invest Europe jährlich für Europa erhoben werden, gibt es bislang keine entsprechende systematische Erhebung für Business Angels.
Anmerkungen
1) https://orf.at//stories/3222074/
2) Die naheliegende Frage ist, ob ein Unternehmen, das Nachhilfedienste anbietet, "forschungsintensiv" ist. Hier zeigt sich die Schwierigkeit der Abgrenzung in der Praxis. Ein vielleicht anschaulicherer und hier besser passender Begriff ist "innovativ", da ein innovatives Geschäftsmodell riskant und potenziell erfolgreich sein kann, ohne dass der tägliche Geschäftsbetrieb von Forschungsaktivitäten geprägt ist, in diesem Sinn also den wörtlichen Anspruch von "Wagniskapital" und "Risikokapital" erfüllt.
3) Keuschnigg, C., Ecker, B., Johs, J., Kritzinger, M. und Sardadvar, S. (2022): Wirkungen des Wissens- und Technologietransfers, im Speziellen von Spin-offs: Eine makro- und mikroökonomische Analyse, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung [i.E.]
4) Business Angels unterscheiden sich in zwei wesentlichen Aspekten von Wagniskapitalgesellschaften: Erstens sind sie definitionsgemäß Privatpersonen, die ihr eigenes Vermögen nach eigenen Kriterien investieren. Sie sind nicht berichtspflichtig und verfolgen möglicherweise andere Ziele als Beteiligungsgesellschaften, die ihre Ziele und letztlich auch ihren Geschäftserfolg zumindest ihren Investoren gegenüber publizieren müssen. Zweitens ist die Abgrenzung zu privaten Investoren, die in Start-ups investieren, aber sonst keine Aufgaben übernehmen, fließend und daher schwierig.
Rückfragehinweis: Susanne Fröhlich WPZ Research Mariahilfer Straße 115/16, 1060 Wien Mobil: +43 (0)664 4237870 susanne.froehlich@wpz-research.com www.wpz-research.com