"Das Internet ist keine fiktive Welt, die unabhängig von uns existiert"
Das Internet ist nicht nur ein Medium, sondern eine zusätzliche Ebene zur physischen Welt, die mit dieser fest verwoben ist und ihr an Realität in nichts nachsteht, sondern diese erweitert. Wir betreten diese nicht-physische Ebene unserer Gesellschaft täglich viele Male durch Wurmlöcher wie unsere Telefone, Computer, Tablets oder POS-Terminals in Geschäften und Banken und hinterlassen dabei digitale Spuren, die oft auf Jahre zurückverfolgt werden können. Das Internet ist seit über einer Generation integraler Bestandteil unseres Lebens. Die Digitalisierung der Welt schreitet seit den 1960er Jahren immer schneller voran und ist nicht mehr wegzudiskutieren.
Kontrollverlust
Seit einer Weile scheint jedoch ein gefühlter Kontrollverlust stattzufinden. Jetzt, da das Internet in gewaltigen Worthülsen über uns hereinbricht - von "Digitalisierung" über "Industrie 4.0" und das beliebte, allem vorangestellte "Cyber-" - scheinen die Menschen von der Existenz des Internets Notiz zu nehmen. Plötzlich fühlen sie sich überfordert, sich mit etwas auseinandersetzen zu müssen, dass seit spätestens Mitte der 1990er Jahre unser aller Leben tagtäglich begleitet. Sie meinen die Kontrolle in diesem Neuland zu verlieren - seit den Zwangsupdates eines weit verbreiteten Betriebssystems sogar über ihre Geräte selbst.
Die Menschen realisieren jetzt, da das Marketing ihnen mit dem Cyber-Hammer täglich in die Aufmerksamkeit drischt, dass Macht und Daten in den Händen von Internetriesen und transatlantischen Multikonzernen liegen. Der gläserne Mensch ist schon lange Realität - dies zum Teil selbstverschuldet durch die leichtfertig geäußerte Einstellung "Ich habe doch nichts zu verbergen".
Privacy - wo beginnt Privatsphäre?
Wie nah lassen wir die Welt und vielmehr die alle Daten verarbeitenden und verknüpfenden Konzerne an uns heran, womöglich ohne es tatsächlich zu wollen? Aus Unachtsamkeit oder Gruppendruck? Das Teilen von Essensfotos, (Katzen-)Videos, Vollzeit-Gesundheitstracking, Geotracking, Kundenkarten, Onlinerechnungen, Onlineshopping, Suchmaschinenanfragen, nicht zuletzt das alles vereinende Smartphone: Der 24/7-Tracker, den wir alle scheinbar gewollt in der Tasche mit uns tragen. Dazu kommt noch das äußere Tracking im öffentlichen Raum und in Geschäften sowie Videoüberwachung - unsere letzten 24 Stunden sind vermutlich bereits seit Jahren lückenlos nachvollziehbar.
Dass "alle" alles über uns wissen, scheint beunruhigend egal zu sein
Kritisch wird es für viele offenbar erst, wenn diese Daten genutzt werden. Beispielsweise dann, wenn Versicherungsbeiträge sich erhöhen, weil die Versicherungen aufgrund von Fitness-Trackern wissen, wieviel Fast-Food jemand isst, dass jemand aufgrund der Telefonhistorie und der darin vermehrt auftretenden Anrufe bei Beratungshotlines wahrscheinlich zu Depressionen neigt oder aufgrund der Einkaufshistorie vermutlich schwanger ist - vor allem wenn es um Geld geht, ist das Geschrei groß.
Was machen schon ein paar geklaute Datenbanken? Aber ein Crypto-Trojaner, der uns Geld abpresst, damit wir unseren privaten Computer wieder benutzen können (und wieder an unsere privaten Daten gelangen), ist eine ganz andere Dimension. Wenn es an den eigenen Geldbeutel geht, ist das Internet plötzlich real und bedrohlich.
Eigentlich ist es ja bereits zu spät. Oder?
Statt den Kopf in den sprichwörtlichen Sand zu stecken, kontern Vereine und Aktivistengruppen schon seit langem mit breit angelegten Aufklärungsprogrammen. Vorträge, Workshops, Interessengruppen und Open Spaces wie beispielsweise das Wiener Metalab heißen Menschen willkommen, die ihre Daten lieber selbst in die Hand nehmen wollen und (mit)bestimmen möchten, was die Welt von ihnen weiß. In allen größeren Städten, so auch in Österreich, sind Crypto-Parties für Einsteiger wie Fortgeschrittene ein beliebtes Format, um sich zu Privacy und Security auszutauschen und zu bilden. Auf cryptoparty.at finden Interessierte mehr Informationen hierzu.
Chaos macht Schule
Medienkonsum alleine bedeutet noch lange keine Medienkompetenz - das müssen Schüler, Lehrer und Eltern täglich erfahren. Das in Deutschland bereits seit 2007 erfolgreiche Programm "Chaos macht Schule" des Chaos Computer Clubs soll ab Herbst 2016 auch in Wien starten. Hierdurch sollen Medialiteracy und das Bewusstsein für Privacy sowie Technikverständnis für Schüler, Lehrer und Eltern gefördert werden. In Vorträgen und Hands-On-Workshops geht es dabei anschaulich ans Eingemachte und auch auf aktuelle Vorfälle und globale Trends wird eingegangen. Mehr Infos unter https://c3w.at/schule.
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