Abtausch "Sicherheit gegen Privatsphäre" - Experte kritisiert Überwachungs-Automatik
Auf potenzielle Gefährdungen im öffentlichen Raum wird oft mit einem Ausbau von digitalen Überwachungstechnologien reagiert. Denn: Anders könne beispielsweise die Sicherheit von Großveranstaltungen, wie der kommenden Fußball-Europameisterschaft nicht gewährleistet werden, so die Argumentation. Oft werde aber vergessen, dass ein Ausbau von Überwachungstechnik meistens nicht die gewünschten Präventions-Effekte mit sich bringt, dafür aber einen massiven Eingriff in die Privatsphäre darstellt, so der Technikfolgenabschätzer Jaro Krieger-Lamina im Gespräch mit APA-Science.
"Die Sicherheit von Personen, von kritischer Infrastruktur oder die Sicherheit bei Großereignissen wird meiner Meinung nach meistens unhinterfragt über dem Schutz der Privatsphäre eingeordnet", so der Experte. Bei größeren und kleineren Veranstaltung müssen Zuschauer oft automatisch persönliche Daten preisgeben und sich Personenkontrollen unterziehen. Dafür erteile die öffentliche Hand oft freihändig spezielle Genehmigungen oder Verordnungen. An diese Argumentationslinie haben sich bereits weite Teile der Bevölkerung gewöhnt.
Überwachungs-Ausbau vor Beantwortung wichtiger Fragen
Oft würden in dem Zusammenhang die wichtigsten Fragen gar nicht gestellt. Nämlich: Welche Sicherheitsmaßnahmen sind tatsächlich sinnvoll? Und: Sollte man nicht vom Einsatz von Technologien absehen, die mit dem immerhin verfassungsrechtlich verankerten Schutz der Privatsphäre schlecht oder nicht vereinbar sind?
Der Einsatz von (digitaler) Überwachungstechnologie müsse in erster Linie verhältnismäßig sein. Genau dieser Gedanke komme aber "oft zu kurz, weil selten gesehen wird, dass Privatsphäre ein Grundrecht ist", so Krieger-Lamina, der am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu dem Thema forscht. Der quasi automatische Abtausch "Sicherheit gegen Privatsphäre" sei eben nicht in Stein gemeißelt: "Ich glaube, in ganz vielen Fällen wird nur nicht überlegt, wie man vielleicht beides erreichen könnte." Leider werde ein kritischerer Zugang auch von der Politik nicht unbedingt gefördert.
Wirkung fragwürdig
Dieser gewissen Hurra-Mentalität bei der Einführung neuer Sicherheits- und Überwachungstechnologien stünden Befunde entgegen, die klar zeigen, dass viele Verbrechen durch den Technologie-Einsatz nicht verhindert werden. Anschaulich lasse sich das anhand der mittlerweile auch in Österreich stark ausgebauten Videoüberwachung zeigen.
"Der Wunsch nach präventiver Sicherheit durch Videoüberwachung lässt sich aber nicht realisieren. Es gibt ganz wenige Situationen, in denen sich Menschen damit von etwas Illegalem abhalten lassen", so der Forscher. Mit dem Einbau solcher Systeme ließen sich etwa Autodiebstahl in einer ganz speziellen Parkgarage zurückdrängen. Für einen politisch oder religiös motivierten Terrorist könne die Kamera-Präsenz sogar ein Ansporn sein. Auch Verbrechen, die im Affekt geschehen, lassen sich so nicht verhindern. Trotzdem werde Videoüberwachung, mit all ihren negativen Effekten für den Schutz der Privatsphäre oft als Allheilmittel zur Verhinderung von Verbrechen aller Art angepriesen.
Technologie-Ausbau verändert Verhalten im öffentlichen Raum
Bei der Aufklärung von Verbrechen seien Daten aus der Videoüberwachung zumindest teilweise hilfreich, räumte Krieger-Lamina ein. Es gebe aber trotzdem sehr viele Fälle, wo sich herausstelle, dass das Bildmaterial nicht zur Aufklärung beiträgt oder Kameras gar nicht funktioniert haben. "Ich glaube, die Fälle, wo eine Aufklärung nur mit Hilfe von Videoüberwachung möglich ist, sind sehr selten." Genau hier liege der Knackpunkt: Denn Eingriffe in das Grundrecht auf Privatsphäre müssten eigentlich auf die "gelindest mögliche Art" getätigt werden. Hier stünde aber ein großer Eingriff einem sehr geringen Nutzen gegenüber.
Nun wirkt sich diese Form der digitalen Überwachung allerdings stark auf das Verhalten der Menschen im öffentlichen Raum aus - egal ob die Kameras ein- oder ausgeschaltet sind. Das Gefühl, überwacht zu werden, sei in jedem Fall da, und habe "diese schleichende Anpassung des eigenen Verhaltens an die gewünschte Norm" zur Folge.
Oft schwierige Einsichtnahme in Daten
Krasse Schieflagen ortet der Forscher auch im Bereich der Einsicht in Überwachungsdaten: Das Recht auf Auskunft darüber, was aufgezeichnet wird, gibt es zwar, oft erhalte man auf Anfragen aber gar keine Antwort oder die Information "Die Daten sind bereits wieder gelöscht". Das war ein Ergebnis eines europäischen Forschungsprojekts das Krieger-Lamina und Kollegen durchgeführt haben.
Eine weitere Argumentation gegen eine Auskunft sei jene, dass die Suche nach Bildmaterial jener Person, die Auskunft verlangt, das Recht auf Privatsphäre derer verletze, die mit auf den Bildern zu sehen sind. Oft gebe es auch relativ augenscheinliche Auskunfts-Barrieren, wie etwa sehr rigide Vorgaben, um ein derartiges Ansuchen überhaupt regelkonform einzureichen. So sei meistens der postalische Weg vorgesehen, obwohl der Postweg länger dauert als die meisten Daten gespeichert werden müssen. "Damit ist nicht kontrollierbar, welche Bereiche eigentlich überwacht werden", sagte Krieger-Lamina.
Online-Privatsphäre als Black-Box
Den starken Ausbau der Videoüberwachung hätten zwar viele Menschen registriert, viel weniger wisse Otto-Normalverbraucher aber darüber, inwieweit das Online-Verhalten nachvollziehbar ist. Auch nach den Enthüllungen rund um Edward Snowden sei die Bewusstseinsbildung in dem Bereich noch wenig fortgeschritten.
Das Bild, dass ein Großteil der Überwachung im Sinne der "Big Brother"-Idee vonseiten des Staates ausgeht, sei zudem noch weit verbreitet. "Dass es hier einen sehr großen kommerziellen Bereich gibt, ist vielen nicht so bewusst", gab der Forscher zu bedenken.
"Daten herzugeben ist mittlerweile schon so normal geworden"
Im Geschäftsbereich sind mittlerweile Formen des Abtauschs von persönlichen Daten gegen ein billigeres Produkt oder den Zugang zu einer Dienstleistung entstanden. Nutzt man etwa ein Gratis-Service - etwa einer Smartphone-App - sei manchen durchaus klar, dass das nicht umsonst ist, sondern im Tausch gegen Nutzer-Daten passiert. "Daten herzugeben ist mittlerweile schon so normal geworden. Was viele Menschen aber nicht bis zur letzten Konsequenz einschätzen können, ist was man damit machen kann." Hier wäre der Konsumentenschutz gefragt, denn der einzelne Verbraucher könne das in der Regel nicht überblicken.
Seit den Snowden-Enthüllungen gebe es aber auch bei Unternehmen ein gewisses Umdenken dahin gehend, dass sich auch mit dem Schutz von Konsumentendaten Geld verdienen lässt. Krieger-Lamina: "In manchen Bereichen könnte der Wunsch nach Gewinnsteigerung gemeinsam mit dem nach Privatsphäre realisiert werden."
"Bildungsproblem" und Frage der (fehlenden) Ressourcen in Österreich
Das weitverbreitete Unwissen in dem Bereich sieht der Forscher auch als "Bildungsproblem". Denn die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit Neuen Medien sei "lange verschlafen worden, weil die Unterrichtenden das vielleicht selbst nicht mitbekommen haben, und deren Weiterbildung zu schleppend vorangegangen ist" (siehe auch "Eltern und Lehrer müssen fit für die digitale Welt werden).
Wichtig wäre auch, die österreichische Datenschutzbehörde mit angemessenen Ressourcen auszustatten, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann. "Da sieht es in Österreich im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ganz schlecht aus", sagte Krieger-Lamina. Dabei würde sich die Bevölkerung hier mehr Engagement wünschen: Im Rahmen eines EU-geförderten Forschungsprojekts zur Akzeptanz von Überwachungstechnologien zeigte sich nämlich, dass die Menschen grundsätzlich nicht überwacht werden wollen und gleichzeitig von der Politik verlangen, dass die öffentliche Sicherheit sowie der Schutz der Privatsphäre gewahrt bleibt.
Service: Informationen zu den Forschungsprojekten im Internet: http://irissproject.eu/, http://surprise-project.eu/ sowie http://www.oeaw.ac.at/ita/projekte/surprise/ueberblick/
Von Nikolaus Täuber/APA-Science