Ein Jahr Corona - Laut Experten hatten bereits 15 Prozent Infektion
Knapp ein Jahr nach den ersten bestätigten Covid-19-Fällen in Österreich zogen Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und Experten eine Bilanz. Als "Jahr, das wir nie vergessen werden", bezeichnete Anschober das vergangene. Für die nächsten Wochen bis Ostern erwarte er noch eine "wirkliche Risikophase" mit "leicht steigenden Zahlen". Nicht zuletzt die Virus-Varianten übten "stärkeren Druck auf Tagesinfektionszahlen" aus, hieß es bei einer Pressekonferenz.
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Am 25. Februar 2020 wurden in Tirol erstmals zwei Fälle bestätigt, am 12. März wurde der erste Covid-19-Todesfall gemeldet, mittlerweile sind 8.348 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben. Rund ein Jahr nach den ersten nachgewiesenen Fällen haben laut den Modellen des Simulationsforschers Popper von der Technischen Universität Wien inklusive Dunkelzifferfällen bereits rund 15 Prozent der Österreicher eine SARS-CoV-2-Infektion hinter sich. "Das sind aktuell 1,3 bis 1,5 Millionen Menschen, die zumindest temporär immun sind", erläuterte Popper. In dieser Ausbreitung sei jedoch die Wirksamkeit der Immunisierung noch gering, dafür müssten 50, 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung eine Infektion überstanden haben.
Impfung ist keine dauerhafte Lösung
Die Impfung ist ein "wirklicher Gamechanger, aber nicht die Lösung auf Dauer, wir werden neue Mutationen erleben, es wird eine neue Normalität geben", sagte Popper. Wie weit sich die Mutationen bereits ausgebreitet haben, sei schwer einzuschätzen, in einigen Regionen sind es aber bereits über 50 Prozent. Die Ausbreitung der britischen Mutation B.1.1.7 und der südafrikanische B.1.351 sei zwar nicht unterbunden, aber ein "Eskalieren verhindert worden". Popper geht davon aus, dass "wir mit den jetzt gesetzten Maßnahmen das Explodieren verlangsamen können". Entscheidend ist, dass mit intensivem Testen und Isolieren die Zahl der Neuinfektionen nach unten gedrückt werden kann. Auch in den sogenannten Nasenbohrer-Tests in Schulen sieht der Forscher "großes Potenzial", wenn wir Infektionsfälle schnell isolieren.
Die schlechte Nachricht sei, dass die effektive Reproduktionszahl größer als eins ist. Das heißt, dass ein Infizierter mehr als eine weitere Person ansteckt. Leicht rückläufig wiederum ist weiterhin die Zahl der belegten Spitalsbetten. Nunmehr gehe es um "No-Covid", sondern um insgesamt niedrige Zahlen. "Wenn wir jetzt vier Wochen leicht steigen, haben wir es nicht im Griff", betonte Popper. Es brauche jetzt zumindest Stabilität bzw. leicht sinkende Fallzahlen. Denn nur dann könne man ökonomische, soziale, gesellschaftliche, kulturelle und medizinische Aspekte unter einen Hut bringen. Außerdem müsse die Datenlage verbessert werden, forderte der Wissenschafter.
Risikophase bis Ostern
Als "Jahr, das wir nie vergessen werden" bezeichnete Anschober das vergangene. Für die nächsten Wochen bis Ostern erwarte er noch eine "wirkliche Risikophase" mit "leicht steigenden Zahlen". Derzeit üben nämlich laut dem Gesundheitsminister nicht zuletzt die Virus-Varianten "stärkeren Druck auf Tagesinfektionszahlen" aus, sagte er bei der Pressekonferenz. Im Schnitt infizierten sich in der vergangenen Woche täglich 1.541 Menschen mit SARS-CoV-2.
Mit einer "sehr präzisen Bewertung" der Covid-19-Situation soll der künftige Umgang mit dem Virus definiert werden, meinte der Gesundheitsminister. Der 1. März sei "der Tag, an dem entschieden wird", so Anschober. Weitere Öffnungsschritte vor diesem neuralgischen Datum halte er daher für unrealistisch. Die Entscheidung zur Verlängerung der Ausreisebeschränkungen in Tirol soll noch im Laufe des Freitags fallen.
Mit Tests gegen Ansteigen der Fallzahlen kämpfen
Gegen das neuerliche Ansteigen von Fallzahlen arbeite man unter anderem mit 250.000 Tests pro Tag, sagte Anschober zuvor. Vor einem Jahr habe man mit 2.000 täglich gestartet. Die Testungen sollen weiterhin erhöht werden. Der Gesundheitsminister betonte auch, dass sich die Mutationen "massiv ausgedehnt" haben und auf dem Weg zur "Dominanz" sind. Bei den Nachweisen sehe man weiter, dass der Osten stärker von der britischen Variante betroffen ist, und die Südafrika-Variante bekanntermaßen in Tirol kursiert. Die Bevölkerung müsse jetzt trotzdem "sehr, sehr konsequent sein".
Insgesamt werde bereits an einer "klaren Strategie" gearbeitet, "was das Leben mit dem Virus betrifft". Denn "es wird sich nicht verabschieden, es wird dabelieben, aber wir werden eine Form finden können und müssen", damit umgegangen werden kann. Er kündigte auch an, genauer auf Folgeerscheinungen, wie negative psychosoziale Auswirkungen zu achten und Perspektiven für Jugendliche schaffen, die unter der Krise besonders leiden. Vor allem die größere Anzahl an geimpften Personen - diese Woche werde die Zahl von 500.000 Impfungen erreicht - "ist spielentscheidend", betonte Anschober. Die Situation sollte sich um Ostern demnach vor allem bei den Risikogruppen entspannen.
Corona wird "Teil unseres Lebens bleiben"
Günter Weiss, Direktor des Departments Innere Medizin, Medizinische Universität Innsbruck, hat vor rund einem Jahr die ersten Covid-19-Patienten stationär aufgenommen und "den Sprung von der Theorie in die Praxis genommen". Er betonte, dass keine Infektionskrankheit so schnell derart gut erforscht wurde. Allerdings wisse man nach wie vor nicht, welche Patienten warum einen schweren Verlauf entwickeln können. Es mussten auch Menschen ohne klassische Risikofaktoren und Vorerkrankungen intensivmedizinisch versorgt werden, sie seien "völlig niedergestreckt worden". Weiss wies auch darauf hin, dass es nach wie vor kein "wirklich wirksames Medikament" gegen Covid-19 gibt.
"Corona ist leider Teil unseres Lebens geworden und wird Teil unseres Lebens bleiben, wir werden mit dem Virus und den ständigen Veränderungen leben müssen", konstatierte Weiss. Er betonte, dass der Balanceakt zwischen notwendigen Maßnahmen und dem Wiederlangen oder der Rückkehr zu einer Normalität anhalten wird.
Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist auch für den ärztlichen Leiter des auf Suchtkrankheiten spezialisierten Anton-Proksch-Instituts, Michael Musalek, "die große Herausforderung". Für ihn ist die Covid-19-Krise auch eine "psychosoziale Krise". Psychische Probleme würden sich ausbreiten "wie eine virale Erkrankung". Vor allem Menschen, die schon vorher psychische Probleme hatten, seien nun verstärkt betroffen. Insgesamt sehe man eine "erhöhte Reizbarkeit". "Die Covid-Krise ist ein wirklicher Brandbeschleuniger", so der Psychiater und Psychotherapeut. Von den psychischen Problemen seien auch mehr Menschen als vom Virus selbst betroffen, sagte der Experte.
Nicht nur Schattenseiten, auch Lichtblicke
In der Rückschau auf ein Jahr Covid-19 in Österreich gibt es auch viele Lichtblicke, waren sich die Experten einig. Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Medizinischen Universität Wien betonte etwa die "unglaubliche Geschwindigkeit des Wissenstransfers" im vergangenen Jahr. Sofort sei die Sequenz des Virus veröffentlicht, "unglaublich schnell" Testmöglichkeiten entwickelt worden, all das sei einhergegangen mit zahlreichen Studien.
Auch sie betonte, dass "wir alle" mit dem Virus weiterleben müssen. Die Herausforderung der nächsten Monate und Jahre sei die Entwicklung von Medikamenten und die Erforschung, "was für einen schweren Verlauf prädestiniert", warum manche Menschen Geschmacksstörungen haben oder andere Darmsymptomatiken. Außerdem müsse herausgefunden werden, woran gemessen werden kann, was nach einer Impfung und vor einer Infektion schützt. Die Frage sei, welchen Antikörperspiegel man benötige, um beispielsweise ein Jahr geschützt zu sein, sagte die Virologin.
Mit der Covid-19-Erkrankung direkt zu kämpfen hatte die Leiterin des Jüdischen Museums Wien, Danielle Spera. Das unerwünschte Mitbringsel von einer Dienstreise erwies sich schon im "relativ milden Verlauf" als Herausforderung - die oft unterschätzten Langzeitfolgen inklusive. So hat sie bis heute den Geruchssinn nicht zurückbekommen. Speras Ehemann habe sich nach zehn Tagen Erkrankung sogar in Krankenhausbehandlung begeben müssen, wie sie erklärte. Covid-19 folge leider "keinem Muster" und habe "das Leben von uns allen verändert". Die Forschung arbeite zum Glück an Lösungen. Wie Impfungen die Situation verbessern können, zeige das "Vorbild Israel", so Spera, die einen Appell zur möglichst baldigen Öffnung der Kulturbetriebe lancierte. In Israel lebst Speras jüngste Tochter. Die 18-jährige hat "gestern ihre zweite Impfung bekommen", das zeige, "es ist machbar".