COP27 - Expertin: Neuer Hilfsfonds kann Menschenleben nicht ersetzen
Die Weltklimakonferenz COP27 wird kaum als Meilenstein des Klimaschutzes in die Geschichte eingehen, allerdings wurde ein für viele überraschender Fortschritt in Sachen Klimagerechtigkeit erzielt. Der paktierte Klimakatastrophen-Fonds sei gut, "kann Menschenleben aber nicht ersetzen", so die ehemalige Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC), Renate Christ. In Sachen Treibhausgas-Reduktion bleibe jedenfalls ein "bitterer Nachgeschmack".
"Ist das 1,5°C-Limit noch realistisch?", fragten kurz nach dem Abschluss der COP27 in Ägypten "Scientists for Future" und "Diskurs, das Wissenschaftsnetz" bei einem Online-Pressegespräch. Sehe man sich an, dass letztlich punkto Treibhausgas-Reduktion nur knapp das Ergebnis der letztjährigen Konferenz im schottischen Glasgow gehalten werden konnte, die heurige Abschlusserklärung in "schwacher Sprache" formuliert und darin ein Ausstieg aus Öl und Gas nicht erwähnt wird, stehen hinter dem Ziel, das vorindustrielle Temperaturniveau bis 2100 um nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu überschreiten, immer größere Fragezeichen, so Christ.
Dabei wären "ganz, ganz massive Anstrengungen notwendig". So könnten bisherige CO2-Reduktionsversprechen seitens der Länder - falls umgesetzt - zu einem Ausstoß von 55 bis 52 Gigatonnen CO2 im Jahr 2030 weltweit führen. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, bräuchte es aber eine weitere Reduktion um 20 bis 25 Gigatonnen. Das sei mit den neuen Nachbesserungen bei den nationalen Treibhausgasvermeidungsmaßnahmen von lediglich 28 Staaten, die gemeinsam für nur 17 Prozent des globalen Ausstoßes stehen, nicht annähernd zu erreichen.
"Multilateralisum lebt und funktioniert"
Trotzdem müsse man festhalten, dass der "Multilateralisum lebt und funktioniert". Auch sei das Thema Klima "in vielen Ländern zur Chefsache geworden", so die Expertin, die mittlerweile fast alle Industriestaaten auf der "progressiven Seite" wähnt - Ausnahme Russland und dessen Verbündete. Alles in allem sei der Ukraine-Krieg heuer der "große Elefant im Raum" gewesen, der auch ambitionierte Ansagen in Richtung Öl und Gas erschwert habe.
Als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber dem Globalen Süden werten Christ und der Risikoforscher Reinhard Mechler vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien aber den geplanten Risikofonds zu den Klimawandel-Auswirkungen. Hier handle es sich um eine Forderung, die etwa kleine Inselstaaten, die durch steigende Meeresspiegel extrem bedroht sind, schon vor rund 30 Jahren formuliert haben.
Allerdings steht ein solches Instrument für mehr Klimagerechtigkeit noch lange nicht. Eine Arbeitsgruppe werde sich im kommenden Jahr voraussichtlich mehrere Male treffen, um eine "Architektur" des Fonds auszuarbeiten. Beschlüsse könnte es dann bei der COP28 geben. Bis dahin werde es aber noch "heiß hergehen", prophezeite Mechler. So gehe es etwa um die Frage, welche Länder als "vulnerabel" oder "höchst vulnerabel" und damit bezugsberechtigt gelten, wie man mit akuten und eher schleichenden Klimawandel-Schäden umgeht und wie diese bewertet werden.
1,5 Grad Ziel "in weiter Ferne"
Mit der "überraschenden" grundsätzlichen Einigung habe man jedoch "ein wichtiges Zeichen für Klimagerechtigkeit gesetzt", das in der Folge vielleicht auch Auswirkungen auf den Klimaschutz selbst haben könnte. Das 1,5 Grad Ziel sieht der Risikoforscher aber "in weiter Ferne". Die Erde bewegt sich nämlich eher auf ein Plus von 2,4 bis 2,5 Grad Celsius zu.
Klar sei auch, dass Klimakrise nun voll durchschlage - auch in Österreich. Insgesamt gelten weltweit rund 3,6 Mrd Menschen als stark exponiert. Das aktuellste Anschauungsbeispiel sind die Hitzewelle und die anschließenden Fluten in Pakistan. Bei derartigen Ereignissen müsse der Fonds künftig die großen Lücken in Nothilfe und Wiederaufbau ein Stück weit stopfen.
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