Ukrainischer Wirtschafts-Westruck macht auch Österreich anfälliger
Eine "tektonische Verschiebung" weg von Russland gen Westen und die EU hat die Ukraine in den Jahren vor dem Beginn der russischen Invasion wirtschaftlich hingelegt. Einer Analyse von Forschern aus Wien und der Harvard University (USA) zufolge sank der Exportanteil der Ukraine nach Russland von rund 25 Prozent im Jahr 2012 auf zuletzt sieben Prozent. In die EU gingen bis vor kurzem 40 Prozent der Exporte. Die nunmehrigen Verwerfungen könne u.a. Österreich durchaus spüren.
Das Team um Frank Neffke vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna und Kollegen vom Harvard Growth Lab hat seine in einem "Policy Brief" veröffentlichte Untersuchung auf Basis einer Datenbank durchgeführt, in der die ökonomischen Kennwerte und Verflechtungen von über eintausend Städten weltweit abgebildet sind. Dementsprechend liegt der Fokus der Untersuchung weniger auf der für viele Staaten weltweit so wichtigen landwirtschaftlichen Produktion in der Ukraine. Agrarprodukte machen laut einer früheren Studie des CSH immerhin mehr als ein Fünftel des Exportvolumens des Landes aus.
Oftmals werde der Krieg als Entscheidung zwischen einer Orientierung der Ukraine gen Osten in Richtung Russland oder hin zum Westen interpretiert. Die Wissenschafter sehen in der aktuellen Studie mit Schwerpunkt auf die Verknüpfungen zwischen der Ukraine, Russland und Europa in der Rückschau bereits eine deutliche wirtschaftliche Umorientierung im Land in den vergangenen Jahrzehnten.
Ab 2014 wandte sich die Ukraine von Russland mehr ab
Waren früher die Verflechtungen zwischen der Ukraine und Russland sehr stark, haben diese spätestens seit der Annektierung der Krim im Jahr 2014 deutlich abgenommen. Das könne auch als eine Verschiebung der wirtschaftlichen Chancen und Möglichkeiten im Land selbst gedeutet werden, die sich schon ab der "Orangen Revolution" 2004 eher weg von den Regionen im Osten und Südosten mit größeren russischen Minderheiten weiter in Richtung der westlicheren Gegenden verschoben haben, schreiben die Autoren. In westlicheren Landesteilen werden auch tendenziell komplexere Produkte erzeugt, deren Herstellung ein höheres Bildungsniveau voraussetze.
Durch das Wegfallen vieler Handelsbeziehungen mit Russland und Investitionen von Firmen aus der EU wurden Produkte aus der Ukraine mit der Zeit immer wichtiger in europäischen Liefer- und Wertschöpfungsketten, wie etwa in der deutschen Elektronikindustrie. So wurde Deutschland zu einem der größten Investoren im Land. Durch die ökonomischen Verwerfungen durch den Krieg und die Auswirkungen der Sanktionen stehen auch in Russland und der Ukraine engagierte westliche Firmen vor großen Problemen. Allerdings sollten die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die westeuropäischen Wirtschaftssysteme nicht übertrieben werden.
Probleme treten vor allem dort auf, wo wichtige Teile der Lieferketten oder des Know-hows in der Ukraine liegen. Davon sind vor allem europäische Volkswirtschaften oder Japan betroffen, während unter den Ausfällen in der Agrarproduktion eher wirtschaftlich weniger entwickelte Länder leiden dürften.
Wertschöpfungsketten regional sehr unterschiedlich betroffen
Die Auswirkungen auf Wertschöpfungsketten seien in Europa regional sehr unterschiedlich spürbar, schreiben die Wissenschafter. Am stärksten betroffen sind der Analyse zufolge Süddeutschland, der Süden Finnlands, die Region Paris und Norditalien.
Während aber große Länder mit einem starken Produktionssektor wie Deutschland Ausfälle ein Stück weit leichter ausgleichen können, seien die möglichen Auswirkungen in kleineren europäischen Ländern anteilig größer. In diese Gruppe reihen die Wissenschafter auch das in der Ukraine recht stark wirtschaftlich engagierte Österreich sowie die Schweiz, Estland, Litauen oder die Slowakei.
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