"Open Innovation und Crowdsourcing: Vom Geheimlabor ins World Wide Web"
Eine kleine Gruppe an ForscherInnen, die im verschlossenen, gut bewachten Labor Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Geheimen durchführt. Das war in vielen Unternehmen lange Zeit die gelebte Praxis. Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren verändert. Während in den 1990er Jahren Unternehmen zunehmend begonnen haben, Kooperationen einzugehen, etwa mit Universitäten und Forschungspartnern, haben das Internet und soziale Netzwerke eine zusätzliche neue Welt der Interaktion und Kooperation entstehen lassen, die nun auch den Kunden und den Bürger umfasst. Innovation wird heute als etwas betrachtet, dass von Jedermann zu jeder Zeit an jedem Ort geschaffen werden kann.
Open Innovation, geprägt vom US-amerikanischen Innovationsforscher Henry Chebsrough, drückt diese Entwicklung wohl am treffendsten aus. Tatsächlich zeigt die empirische Forschung, dass sich der Innovationsprozess öffnet und Unternehmen vermehrt mit unterschiedlichsten Partnern kooperieren, um Innovationen zu entwickeln und zu kommerzialisieren. Im Extremfall kann es so weit gehen, dass eine Gemeinschaft aus freien Entwicklern, Kunden oder Bürgern selbst zur Keimzelle der Innovation werden. Beispiele dafür sind etwa die Entwicklung von Open Source Software, der Ideenaustausch für neue Produkte in Internetplattformen oder die Entstehung einer Internetcommunity, die nachhaltige Produktkonzepte und -lösungen entwickelt. Die Öffnung des Innovationsprozesses geht zugleich einher mit neuen Formen der Innovation, die über die klassischen Produkt- oder Prozessinnovation hinausgehen und vor allem auch organisatorische und soziale Innovationen umfassen. Nicht mehr Wachstums- und Profitstreben von Unternehmen sind Triebfeder für Innovation, sondern häufig die Suche nach neuen ökologischeren, sozial verträglicheren oder günstigeren Problemlösungen durch Kunden und Bürger.
Crowdsourcing ist eine Möglichkeit, Open Innovation umzusetzen. Es wird von Unternehmen zunehmend eingesetzt, um das kreative Potenzial von Individuen aus der ganzen Welt zu erschließen. Im Gegensatz zum Outsourcing werden beim Crowdsourcing Aufgaben nicht an andere Unternehmen ausgelagert sondern die Intelligenz der Masse im Internet genutzt, um Lösungen für Probleme zu finden. Findige Köpfe lösen dabei Fragestellungen, die von Unternehmen ausgeschrieben werden. Die Beteiligten erhalten dabei eine finanzielle Entlohnung, etwa in Form eines Preisgeldes, aber auch andere Formen der nicht-monetären Anerkennung oder Prämierung sind möglich. Mittlerweile gibt es unzählige Crowdsourcing-Plattformen, die von kommerziellen Anbietern oder von den Usern selbst betrieben werden und von der Lösung hoch komplexer wissenschaftlicher Aufgaben (Bsp. Innocentive), über Designcontests für neue Produktverpackungen, bis hin zur Ausschreibung von einfachen online-basierten Auftragsarbeiten (Bsp. Amazon Mechanical Turk) reichen. Auch in der akademischen Forschung findet derzeit eine ähnliche Entwicklung statt, die dort unter dem Begriff Open Science und Citizen Science diskutiert wird.
Um Ideenfindungen und Problemlösungen aus dem Internet effektiv nutzen zu können, bedarf es allerdings einer gezielten Strategie und sorgfältiger Planung, vor allem sollte die richtige Community identifiziert und angesprochen werden. Transparenz steht dabei an oberster Stelle und Unternehmen müssen klar kommunizieren, welche Mitwirkungsrechte die Teilnehmer haben, wie Gewinner prämiert werden oder wie sich eine Jury zusammenstellt. Damit können die Motivation der potenziellen Teilnehmer erhöht und mögliche Risiken eliminiert werden. Die Masse kann nämlich auch eine eigene schwer zu kontrollierende Dynamik entfalten, etwa dann, wenn es zum gefürchteten Shitstorm kommt. Und in Zeiten der Euphorie für offene und partizipative Innovation müssen Unternehmen noch sorgfältiger abwägen, welche Kompetenzen, Ideen und Geschäftsstrategien geheim bleiben oder geschützt werden müssen, um letztlich die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Erfolgreiche Unternehmen, die sich einer Open Innovation Strategie verschrieben haben, gehen nach wie vor sehr selektiv damit um, was sie öffnen und dem was sie im geschützten Bereich durchführen, nutzen und kombinieren.
Open Innovation und Crowdsourcing haben nicht nur Konsequenzen für das Innovationsmanagement sondern breite gesellschaftspolitische Auswirkungen und finden zunehmend Eingang in die forschungs- und innovationspolitische Diskussion. Die Orientierung hin zu offenen Innovationsprozessen ist prinzipiell begrüßenswert, da Studien zeigen, dass Unternehmen, die diese Strategien verfolgen, eine höhere Erfolgsrate bei Produktentwicklungen aufweisen, mehr Marktneuheiten entwickeln und sich ein messbarer, positiver Einfluss auf den Unternehmenserfolg nachweisen lässt. Open Innovation und Crowdsourcing bieten dabei Potenzial für innovationsaffine, offene Unternehmen, die bereits Erfahrungen im Innovieren mitbringen. Für kleine Unternehmen und Betriebe mit traditionell geringer Innovationsorientierung kann Open Innovation hingegen erst recht eine Innovationsbarriere darstellen. Potenziell negative Auswirkungen dieser Entwicklung manifestieren sich dann, wenn das unternehmerische Risiko auf Individuen ausgelagert wird, ohne diese entsprechend finanziell zu vergüten. Während einige Teilnehmer profitieren, indem etwa frühere Entwickler ihre Pension aufbessern oder Studenten Prämierungen nutzen, um letztlich einen gut bezahlten Job bei einem Großunternehmen zu ergattern, werden andere viel Zeit investiert haben und sich irgendwann die Frage stellen, warum aus dem zeitaufwendigen Hobby nicht mehr geworden ist. Open Innovation und Crowdsourcing darf letztlich nicht dazu führen, dass nur eine kleine Gruppe von Unternehmen und Individuen profitieren. Flexiblen Anreiz- und Vergütungsmechanismen, der Reglung der geistigen Eigentumsrechte und der Schaffung arbeitsrechtlicher Bedingungen muss hier zukünftig verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Letztlich ist auch hier die Weisheit der Masse gefragt, um die Rahmenbedingungen gemeinsam so zu gestalten, dass die Bedingungen für alle Beteiligten einen Nutzen bringen.