Europas Laubwald-Pflanzen zieht es mit Dünger mehr westwärts
Mit einem überraschenden Befund wartet ein internationales Forschungsteam im Fachmagazin "Science" auf: Gräser, Farne oder Kräuter in Laubwäldern Europas ziehen eher Richtung Westen als - vom Klimawandel begünstigt - Richtung Norden. Der Grund dafür liegt im bis zu den 1980er-Jahren stark angestiegenen Eintrag an Düngemitteln im Westen des Kontinents, berichtet das Team, das sich auch auf Daten des Umweltbundesamtes stützt.
Eigentlich sollten im Zuge der Erderhitzung die Bedingungen für viele Arten tendenziell günstiger werden, weiter in Richtung Norden vorzustoßen - wobei gleichzeitig die Umwelt im Süden harscher, weil heißer wird. Allerdings könnten sich auch andere Umweltveränderungen darauf auswirken, wie sich die geografische Ausbreitung von Pflanzen und Tieren über die Zeit hinweg verändert, schreiben die Wissenschafter um Studien-Erstautor Pieter Sanczuk von der Universität Ghent (Belgien) in ihrer Arbeit.
Daten aus dem Nationalpark Kalkalpen
Das Team, dem auch Thomas Dirnböck vom Umweltbundesamt angehörte, ging daran, Daten aus rund 3.000 europäischen Laubwäldern zu sammeln und zu durchforsten, um herauszufinden, was sich in diesen Ökosystemen seit dem Jahr 1933 abspielt. Seitens des Umweltbundesamtes steuerte man Vegetationsdaten bei, die im Nationalpark Kalkalpen am ökologischen Langzeitforschungsstandort Zöbelboden (OÖ) gesammelt wurden, heißt es am Freitag in einer Aussendung der Behörde.
Die Informationen über die Verbreitung von Gräsern, Farnen, Blumen oder Kräutern in Laubwäldern Europas verschnitt die Gruppe in der Folge mit Daten zum fortschreitenden Klimawandel, zur Verfügbarkeit und zum atmosphärischen Eintrag von Stickstoff- und Schwefelverbindungen und zur Veränderung des Blätterdaches der Wälder. "Überraschenderweise waren Verschiebungen des Auftretens von Pflanzen Richtung Westen 2,6-fach wahrscheinlicher als Richtung Norden", heißt es in der Publikation.
Diese Entwicklung lässt sich am besten dadurch erklären, dass diese "Kolonialisierungs-Ereignisse" durch mehr verfügbaren Stickstoff ausgelöst wurden. Der Treiber dahinter ist also nicht in erster Linie der Klimawandel sondern vor allem die Praxis der übermäßigen Düngung in der Landwirtschaft seit vielen Jahrzehnten. Neben dem Stickstoffeintrag aus der landwirtschaftlichen Produktion spielt hier auch der Verkehr, die Energieerzeugung und die Industrie eine Rolle, heißt es seitens der Wissenschafterinnen und Wissenschafter.
"Stickstoffliebende" Pflanzen haben Vorteile
Besonders viel gedüngt wird in Ländern mit intensiver Viehwirtschaft, wie in den Niederlanden, Belgien, Dänemark oder in Norddeutschland, wo vom Ende des "Zweiten Weltkrieges" bis vor allem Mitte der 1980er-Jahre sehr viel Stickstoff ausgebracht wurde, der auch in die Wälder gelangt. Das führte vermehrt in Westeuropa zu Voraussetzungen, die Pflanzenarten bevorzugen, die "stickstoffliebend" sind, wie es die Wissenschafter ausdrücken.
Das bringt wiederum andere Arten unter Druck, die den Neuankömmlingen weichen müssen, was eine Verringerung der Artenvielfalt zur Folge hat. So sei etwa in den Buchenwäldern der Kalkalpen der Klebrige Salbei (Salvia glutinosa) auf dem Vormarsch, während sich die bereits gefährdete Gewöhnliche Knäuel-Glockenblume (Campanula glomerata) zunehmend zurückziehe, heißt es seitens des Umweltbundesamtes.
Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten der Stickstoffeintrag etwa durch die Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor etwas eingebremst wurde, geht auch in Österreich der bedenkliche Gesamttrend weiter: "Vor allem Emissionen von Ammoniak, das im Zuge der Viehhaltung, bei der Lagerung von Gülle und Mist sowie bei der Düngung entsteht, konnten vergleichsweise wenig reduziert werden", heißt es. Das soll die seit Jänner 2023 in Kraft befindliche Ammoniakreduktionsverordnung ändern, im Zuge derer etwa Düngerlager verpflichtend abgedeckt, Düngemittel im Ackerbau beim Ausbringen möglichst in den Boden verfrachtet sowie die Nutzung von emissionsintensivem Harnstoffdünger verringert werden soll.
Service: https://dx.doi.org/10.1126/science.ado0878