ME/CFS - Krankenpflege-Präsidentin: Verbesserungsbedarf bei Gutachten
Die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands, Elisabeth Potzmann, weist auf Probleme bei der sozialen Absicherung von Post Covid- und ME/CFS-Patienten und -Patientinnen hin. Verbesserungsbedarf sieht sie etwa bei Begutachtungen zu Pflegegeld, Invaliditätspension, Berufsunfähigkeitspension bzw. Reha-Geld sowie dem Grad der Behinderung. Betroffene würden oft "nicht ernst genommen". Für Gutachter hält sie verpflichtende Ausbildungen für sinnvoll.
Das Problem bei der Multisystemerkrankung ME/CFS, die u.a. nach Infektionen auftreten kann und als die schwerste Form von Post Covid gilt, sei, dass Ärzte bzw. Gutachter diese "gut ignorieren" können, wenn man sich damit "nicht auseinandersetzen will", sagte ÖGKV-Präsidentin Potzmann im APA-Interview. "Die Menschen haben das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Es wird auf Probleme nicht eingegangen, Symptome werden in Abrede gestellt und werden gerne auf der psychosomatischen Ebene verortet. Oder es wird den Betroffenen gar vorgeworfen zu simulieren oder Frauen, dass sie übertreiben", verwies die Präsidentin auf von Betroffenen bei Begutachtungen beklagte Probleme.
Diagnosestellung oft verschleppt
Das Phänomen, nicht ernst genommen zu werden, bestehe auch bei vielen seltenen Erkrankungen, sagte die Präsidentin. Man müsse "Glück haben, dass diese diagnostiziert werden." Und selbst mit einer Diagnose gebe es Personen, "die das dennoch leugnen". Dies betreffe eben auch das Thema Long bzw. Post Covid und ME/CFS.
Ein Problem sei auch das Abschieben von Symptomen auf die Psyche: "Da merkt man, dass wir in der Welt von Freud & Co. leben: Wenn man unter Zeitdruck nicht schnell eine somatische Diagnose findet, dann wird man ins psychische Eck gestellt." Die Folge sei, dass sich die Diagnosestellung verschleppt und der Zustand sich "nicht verbessert, sondern in der Regel verschlechtert". Diese Verschlechterung sei dann mitunter der Grund, warum man doch noch die Diagnose findet.
In den vergangenen Monaten war es seitens Betroffenenverbänden vermehrt zu Kritik an Gutachtern und Gutachterinnen von Post Covid- und ME/CFS-Patienten gekommen. Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hatte Mitte November deutlichen Tadel an der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) geübt, die für Pensions- bzw. Rehageldanträge sowie für die Pflegegeldeinstufungen zuständig ist: Es sei "unzumutbar", dass schwer Betroffene zur Begutachtung in die PVA-Zentren zitiert werden und keine Hausbesuche erhalten, so der Ressortchef. Kritik wurde aber auch an Gutachten des Sozialministeriumsservice laut, bei dem die Einstufung des Grades der Behinderung (Behindertenpass) stattfindet. Zuletzt sorgte ein von der "ZiB2" des ORF aufgebrachter Fall einer Gutachterin für Aufsehen, die laut einer Klientin bei deren Begutachtung derart harsch vorgegangen sein soll, dass es zu Verletzungen gekommen sei, wie der ORF berichtete.
Forderung nach Hausbesuchen
Auch Potzmann weiß von den Klagen von Betroffenen betreffend der Vorgangsweise bei Begutachtungen. Dies betreffe insbesondere die Aufforderung, vor Ort zu erscheinen, was gerade bei ME/CFS ein Problem darstelle. "Da wird einfach strikt gefordert, sie müssen persönlich vorsprechen. Die, die grade noch Energie aufbringen können, gehen hin und sind danach drei Monate wieder ans Haus gebunden, weil sie ihre letzten Reserven dort gelassen haben." Auch habe sie persönlich bereits Kontakt mit einer Betroffenen, die das Haus gar nicht verlassen kann "und die jetzt keine Ansprüche erheben kann". Hier müssten Hausbesuche ermöglicht werden, so die Forderung.
Zur Diskussion um verpflichtende Ausbildungen etwa für Gutachter sagte Potzmann, sie denke nicht, dass das schwer umsetzbar wäre. "Wir haben die Struktur, auch in der ÖBAK (Österreichische Begutachtungsakademie, Anm.), man muss lediglich eine Willensbekundung machen, ein Curriculum schaffen und Ausbildner suchen." Sinnvoll wäre dies "allemal", betonte sie.
Vorsicht bei Reha, Anlaufstellen "hoch notwendig"
Auch beim Thema Rehabilitation, bei der vonseiten Betroffener oftmals mangelndes Wissen und falsche und schädliche Behandlung beklagt wird, sieht Potzmann Handlungsbedarf. "Auch dort ist noch zum Teil das Gedankengut des Aktivierens, Trainierens in den Köpfen drinnen." Dies könne schaden, wenn die Patienten überfordert werden. Bei jenen, die schon ans Haus gebunden sind, komme eine Reha ohnehin "nicht infrage", sagte sie. "Man muss wirklich schauen, dass man in eine gute Reha kommt, eine, wo man Pacing erlernt, wo man lernt, seine Grenzen zu kennen und zu akzeptieren, und wie man den Alltag gestalten kann - dann ist es sinnvoll." Mittlerweile gebe bereits teils gute Einrichtungen, aber dort bestehe das Problem von sehr langen Wartezeiten.
Für "hoch notwendig" erachtet Potzmann die Schaffung von spezialisierten Anlaufstellen für die ME/CFS-Betroffenen. "Es ist auch klar, wenn man das einrichtet, wird das eine Stelle sein, die gut zu tun hat." Die Stellen müssten so konzipiert sein, dass "man den Bedarf in einer angemessenen Art und Weise abdecken kann", betonte sie. Wichtig sei auch, dass die Krankenkassen die Medikamente, die derzeit Off Label angewendet werden, bezahlt werden. Dies gelte nicht nur wegen der Kostenübernahme, sondern auch wegen der Beschaffung der Medikamente.
Prävention wichtig
Auch verwies die Präsidentin auf das Thema Prävention: "Man kann sich vor ME/CFS nicht schützen, daher müssen wir uns vor Infektionskrankheiten schützen." Bezüglich Covid könne man das "recht gut": "Man müsste für saubere Luft sorgen", verwies sie auf die Möglichkeiten von Luftfiltern, Belüftungsanlagen oder schlicht das regelmäßige Lüften. Dass die Politik nicht mehr für Prävention wirbt, liegt für Potzmann daran, dass hier "nichts zu holen ist" beim Wähler. "Das Thema ist so verbrannt, dass man auf Sachebene überhaupt nicht darüber reden kann."
Potzmann verwies auf die "Initiative Gesundes Österreich" (IGÖ), bei der sie mit an Bord ist. "Dort setzen wir uns sehr für saubere Luft ein, da kann man ansetzen, damit weniger Infektionen stattfinden." Zu empfehlen sei, dort wo es "crowdy" wird und "wo kein Abstand mehr einhaltbar ist, einfach eine Maske zu tragen" - etwa in den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Dass es nicht zu mehr Einsatz von Lüftungsanlagen komme, verstehe sie nicht. Noch einfacher - und günstiger - wären CO2-Messgeräte, die anzeigen, wann es wieder Zeit zum Lüften ist.
Auch in der Pflege sei das Thema ME/CFS bzw. Post Covid relevant - gerade Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen bieten beispielsweise oftmals nicht die nötige reizarme Umgebung. Insbesondere in Bereichen, wo es noch viel Unwissen gibt, müsse die Ausbildung verbessert werden, sagte Potzmann dazu. Die Präsidentin verwies darauf, dass gerade in der Ausbildung zur Pflege zu wenig Zeit sei, um weitere Inhalte unterzubringen, da das Fachhochschulstudium nur sechs Semester dauere. "Das Studium ist zeitlich zu kurz angesetzt", es müsse eigentlich acht Semester lang sein. Politisch sei dies aber nicht angedacht, da man die neu Ausgebildeten rasch im Job haben wolle.
Zur fehlenden Forschung sagte Potzmann, bei ME/CFS sei das Interesse von "Pharma&Co." noch nicht stark vorhanden, weil auch die Frage bestehe, wie groß der Absatzmarkt im Nachgang sein wird. Man müsse sich fragen, "ob man da neue Wege eröffnet". Auch verwies sie darauf, dass in Österreich - anders als etwa in den USA - Forschungsfinanzierung über Mäzenatentum nicht ausgeprägt sei.