Logistik an der Boku: Algorithmen, Simulationen und Innovationslabore
An der Universität für Bodenkultur (Boku) gibt es innerhalb des Departments für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit dem Institut für Produktionswirtschaft und Logistik einen eigenen Bereich, der sich der Logistikforschung widmet. Im Gespräch mit APA-Science erläutert Institutsleiter Manfred Gronalt Forschungsmethoden wie Computersimulationen oder echtzeit-taugliche Algorithmen, und wie sich die Boku in das auf den Gütertransport spezialisierte Mobilitätslabor Thinkport Vienna einbringt.
APA-Science: Welchen Herausforderungen sieht sich die Transport-Logistik global gegenüber?
Manfred Gronalt: Die globalen Herausforderungen in der Logistik sind immer die gleichen: Mit wenig Kosten möglich sicher die Transporte organisieren. Die IT wird in den nächsten Jahren noch einiges dazu beitragen, damit die Lieferungen pünktlicher kommen, die Kundenintegration besser erfolgt, und natürlich auch damit die Logistik insgesamt ihren Beitrag zu grünem Transport leisten kann.
Die Reduktion der Emissionen ist hier schon ein sehr wesentlicher Punkt - ob das jetzt die Seeschifffahrt betrifft, die ja zu den ganz großen Verschmutzern gehört, oder ob es zu Verlagerungen von der Straße auf die Schiene kommt, das sind alles spannende Themen. Wenn man das wirklich will, heißt das, dass man in die Logistik enorm intelligent investieren muss.
Was sind die größten Hürden in Richtung einer Ökologisierung der Transportbranche?
Es gibt bei den großen Themen große bis riesige Player. Wenn die das selbst vorantreiben würden, könnten viele dieser Hürden auch überwunden werden. Was kann man als Land dazu beitragen? Anreize schaffen und produktiv vorangehen. Beim Übergang von der Straße auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel kann man natürlich auch Anreize setzen, damit mehr mit umweltfreundlicheren Transportmitteln zugestellt wird. Man kann zum Beispiel Verbindungen schaffen, dass die Pakete von Deutschland nach Österreich mit dem Zug kommen und nicht mit dem Lkw. Da kann man als Staat viel tun. Aber die großen Player wird man von ihrem Pfad sehr schwer ohne Anreize abbringen können.
Was sind die größten Herausforderungen speziell in Österreich?
Man muss zunächst verstehen, dass man in einer entwickelten Gesellschaft so etwas wie Transport braucht. Das ist bei uns ein Wettbewerbsfaktor. Wenn man es dann von der abstrakten Ebene herunterbricht, gibt es in der Transportlogistik natürlich immer das Thema Leerfahrten. Wie kann ich Leerfahrten reduzieren und vermeiden, indem ich Rückfahrpotenziale nutze, oder indem ich Konsolidierungs-Umschlagsknoten entwickle, so dass nur ein Dienstleister eine bestimmte Region anfahren darf. Ich kann vieles machen, um Leerfahrten im System zu vermeiden. Damit habe ich auch das öffentliche Interesse, es wird nur öffentliche Fläche benutzt, die ich wirklich brauche.
Momentan müssen wir darauf aufbauen, dass der Zugang zu den Märkten für alle offen bleibt. Das heißt, dass durch die zunehmende Marktkonsolidierung immer größere Akteure entstehen, die einen Marktzutritt für Kleine nahezu unmöglich machen. Das ist durchaus ein Problem für die Bahn. Wenn wir nur mehr 'Company Trains' fahren, wird es die Bahn in dieser Form nicht mehr geben. Riesiges Potenzial steckt hier in der Digitalisierung - so können sich Ladungen und Transportmittel losgelöst finden und zu kritischen Transportmengen zusammenfinden.
Wo würden Sie Österreich beim Thema Logistik als Vorreiter sehen - und wo orten Sie am meisten Aufholbedarf?
Ich würde nicht sagen, dass wir irgendwo wirklich ganz vorne sind. Aber wir haben perfekte Ausgangspunkte: Vertragssicherheit, Eigentumssicherheit und perfekte Infrastruktur. Wo wir einen hohen Anteil haben, ist im Eisenbahn-Güterverkehr. Da hat Österreich international gesehen einen wirklich hohen Anteil am Modal-Split, den sollte man nicht freiwillig aufgeben.
Wir sind in einer Transformation hin zu einer nachhaltigen Logistik. Man müsste viel stärker Elektromobilität einsetzen, und viel stärker auf der letzten Meile. Wir haben fünf Urbane Mobilitätslabore, zum Beispiel den Thinkport Vienna, und viele Initiativen. Das ist aber alles viel zu wenig, da muss ein System hineinkommen. Ich glaube, dass die Politik in Österreich da zu mutlos ist. Man könnte tatsächlich, wenn man das will, Leuchtturmprojekte für eine soziale und umweltverträgliche Mobilität machen. Das könnten wir uns als reiches Land leisten. Es wäre super, als kleines Land in Europa den anderen zu zeigen, wie man es machen kann.
Stehen für Sie Wirtschaftlichkeit und grüne Logistik in einem Widerspruch, oder lässt sich das auflösen?
Es lässt sich teilweise auflösen, aber nicht immer. Es ist nicht so, dass es eine automatische Symbiose gibt, weil es schon sehr viele Aktivitäten gibt, die in einem krassen Widerspruch zu einer grünen Logistik stehen. Andererseits ist irgendwie klar, dass wenn man Fahrten einspart, man automatisch weniger Sprit verbraucht und damit automatisch weniger CO2 emittiert.
Ist das Umladen ein zentraler Knackpunkt im System, der für Frächter die Kosten erhöht und vielleicht hinderlich ist für einen stärkeren Umstieg auf die Schiene?
In dem Moment, wo man bestimmte Pakete oder Güter mehrfach angreifen muss, entstehen natürlich zusätzliche Kosten. Die Bahn kann nicht direkt von Tür zu Tür fahren, das leuchtet jedem ein. Auf der einen Seite muss man für Ökologisierung im Transport auch ökologische Verkehrsträger benutzen. Das ist irgendwie klar. Auf der anderen Seite, wenn man es schafft, dass Lkw mit weniger belastenden Treibstoffen fahren, dann sollte man es unbedingt machen.
Wir haben vor kurzem eine voll elektrische Lieferung von Sonnenblumen von Amsterdam nach Wien gemacht (dabei wurden für die erste und letzte "Meile" eines Bahntransports E-Lkw benutzt; Anm.). Es geht ja, wir müssen es nur einfach machen. Wir planen, dieses Projekt mit den Holländern fortzusetzen, es nicht nur einmal zu machen, sondern wir wollen wirklich einen Systemverkehr etablieren, der tatsächlich voll elektrisch funktioniert. Dann ist es kein Widerspruch, dann sind wir dort, wo es sich lohnt hinzugehen.
Wo würden Sie im Gesamtsystem der österreichischen Logistik ansetzen um sie grüner oder effizienter zu machen - wenn Sie auch politisch entscheiden könnten?
Ich bin mir nicht sicher, ob man es noch wesentlich effizienter machen kann. Weil die Betriebe sind ja selber daran interessiert, es effizienter zu machen. Aber worauf ich schon drängen würde ist, dass man systematisch nicht benötigte Leerfahrten verteuert. Daran hätte ich ein großes Interesse. Und dann wird automatisch effizienter gefahren, nur mit voller Beladung, um die Produkte zuzustellen. Man muss auch nicht immer eine Zustellung am gleichen Tag haben, sondern viel mehr auf Bündelung setzen. Gezielte (ad hoc) Kooperationen von Unternehmen sind ein weiteres Potenzial, das noch viel intensiver genutzt werden kann.
Braucht es auch mehr Bewusstseinsbildung bei den Konsumenten?
Ja, das ist aber auch ein zweischneidiges Schwert. Diejenigen, die auf Absatz aus sind, möchten, dass die Konsumenten schnell wieder bestellen. Das führt dazu, dass in der Logistik und Zustellung diese Bündelungseffekte schwer zu erreichen sind. Aus dem Grund baut ja Amazon eine eigene Logistik auf, weil sie selbst genau wissen, welche Produkte bestellt wurden. Deshalb kann Amazon die Zustellung auch viel besser planen als jeder andere es könnte.
Vor knapp zwei Jahren ist im Hafen Wien das Mobilitätslabor Thinkport Vienna eröffnet worden, an dem die Boku maßgeblich beteiligt ist. Woran wird dort gearbeitet?
Der Thinkport Vienna ist eines von mehreren Mobilitätslaboren. Wir sind aber das einzige, das sich ausschließlich mit Güterverkehr auseinandersetzt. Es ist ein FFG-gefördertes Projekt der Boku. Unser wichtigster Partner ist der Hafen Wien, von dort gehen auch alle Aktivitäten aus. Das Ziel von Thinkport Vienna ist im Grunde, güterlogistische Innovationen zu entwickeln, zu testen, und umzusetzen. Der Hafen Wien ist dabei Partner, weil er findet, dass man beim Thema urbaner Güterverkehr nur gemeinsam etwas bewegen kann. Es geht nicht um Themen im Hafen, sondern wie man die Zustellung in der Stadt verbessern kann.
Wie kann man sich das dort vor Ort vorstellen - was sieht man?
Der Thinkport Vienna macht Innovationsberatung und Innovationsbegleitung. Wir vernetzen und entwickeln Themen und führen unterschiedliche Stakeholder zu Konsortien zusammen. Wir haben ganz verschiedene Workshop-Settings entwickelt. Wenn jemand mit einem Anliegen zu uns kommt, können wir mit der Institution oder Person das Projekt weiter entwickeln. Bis wir zu einem Punkt kommen wo wir sagen, gute Idee, weitermachen - oder: lieber nicht, das haben schon 10 andere gemacht. Der Thinkport (Hauptverantwortlicher dafür ist Martin Posset) wird auch immer wieder von verschiedensten Institutionen zu Innovationsworkshops eingeladen. Da können wir Input leisten. Nachdem wir öffentlich finanziert werden, haben wir auch den öffentlichen Auftrag, Wissen weiterzugeben. Mobilitätslabore haben die Zielsetzung, zu versuchen, das was es technologisch gibt, in den Markt zu bringen oder dabei zu helfen.
Können Sie ein konkretes Beispiel für ein Innovationsvorhaben nennen?
Der Hafen Wien ist dabei, einen neuen Hub zu etablieren, der Sendungen von mehreren Zustellern dort bündelt und nur mehr ein Fahrzeug ganz bestimmte Regionen der Stadt versorgt. Das hat in Städten in anderen Ländern bestens funktioniert und das wollen wir auch in Wien Schritt für Schritt testen, so dass wir den Verkehr reduzieren können.
Da muss man wohl zunächst die verschiedensten Anbieter an einen Tisch bekommen?
Das ist eine enorme Herausforderung, weil die ja auch unterschiedliche Interessenslagen haben. Da geht es auch um Eingriffe in die Touren der einzelnen Anbieter. Aber insgesamt macht das schon Sinn für eine Stadt, wenn man keine Mehrfachfahrten in die gleiche Straße hat.
Wie sieht der Input der Boku im Thinkport Vienna konkret aus?
Wir geben aus unserer Sicht lohnenswerte Themen vor, mit denen wir uns beschäftigen sollen in der städtischen Zustellung und Logistik. Ein Thema waren zum Beispiel Paketräume - die sieht man jetzt überall in Wien. Da nehmen sich viele die Ideen und tragen sie weiter. Andere Themen, die wir am Thinkport Vienna ganz intensiv entwickeln, sind Handwerker- und Baustellenverkehre.
Wir haben mit einigen Handwerkern geredet. Es gibt Berufe, wo man sperriges Material transportieren muss und da könnten spezielle Handwerkertaxis Material hintransportieren, während der Handwerker mit der U-Bahn hinfährt. Das Fahrzeug könnte, nachdem es das Material abgeladen hat, wieder weiterfahren und für einen anderen Handwerker einen anderen Kunden beliefern. Das bedeutet weniger Verkehre, besseres Service, und da würde ich viel Potenzial sehen. Nicht nur in Wien, auch in anderen Städten.
Wie geht es mit dem Thinkport Vienna weiter?
Das Projekt läuft im April 2021 aus. Die Zwischenevaluierung war sehr erfreulich, sie besagt, dass wir durchaus eine Vorzeigefunktion erfüllen können. Es ist aber offen, wie die Weiterführung aller Mobilitätslabore aussehen wird. Das ist noch unsicher. Wir können uns für eine Fortsetzung bewerben, wenn es eine gibt.
In Ihrer Forschung arbeiten Sie viel mit Simulationen, wie kann man sich das vorstellen?
Ich habe mich schon relativ früh mit diskreter Simulation zur Modellierung von logistischen Problemen auseinandergesetzt. Man kann mit Computersimulation jede Art von Ablauf entsprechend nachbilden und mit diesem Modell jeden beliebigen Ablauf konfigurieren und über Szenarienrechnung und Kopplung mit Optimierungsverfahren die beste Lösung herausfinden. Das können wir und das machen wir mit verschiedensten Zugängen - ob für Bahnterminals, Verschubknoten, Verkehre in Einkaufstraßen, oder die Risikomodellierung von Holz-Lieferketten.
Wir haben jetzt beispielsweise ein gefördertes Projekt mit (dem Seilbahnunternehmen; Anm.) Doppelmayr, wo wir für einen gemischten Betrieb von Personen- und Güterbeförderung testen, das machen wir auch mit Simulation - wie viel Zeit braucht man im Grunde, um eine Gütergondel zu beladen, wie ist die Position dieser Gütergondel im Umlauf und wie kann man solche Systeme in einem städtischen Kontext etablieren. Wir können die Leistungsfähigkeit eines solchen Systems berechnen, und uns bestimmte Szenarien ansehen.
Welche Methoden kommen sonst noch zum Einsatz?
Ich bin 1986 von Graz nach Wien gekommen ans IHS (Institut für Höhere Studien; Anm.). Wir haben damals eine nette Vorlesung von Professor Trappl (österreichischer KI-Pionier; Anm.) gehabt über Expertensysteme (Computerprogramm, das Menschen bei der Lösung komplexerer Probleme wie ein Experte unterstützen kann, indem es Handlungsempfehlungen aus einer Wissensbasis ableitet; Anm.). Das ist schon mehr als 30 Jahre her und vom Grundsatz her eigentlich schon ein alter Hut. Neu und auch für uns faszinierend ist aber, dass man heute durch die Verfügbarkeit der Daten viel besser planen und disponieren kann. Und auch reaktiv planen, das war lange Zeit nicht möglich. Das ist der eigentliche Boost.
Wir beschäftigen uns mit echtzeit-tauglichen Algorithmen und ihrer Integration in betrieblichen Anwendungssystemen. Wenn ich also zum Beispiel bei einem Holztransport meine Fuhre nicht abliefern kann, kann ich mit einem solchen System meinen Abnehmer informieren und sagen: Ich schaffe das nicht, kann ich das vielleicht zurückstellen und einen anderen Auftrag durchführen. Das geht jetzt und das ist der Vorteil. Ähnliches gilt für die Online-Disposition von Auslieferungstouren: Hier kann der Kunde in Echtzeit über Abweichungen informiert werden und entsprechend reagieren.
Sie beschäftigen sich in Zusammenhang mit Logistik auch mit dem Thema Sicherheit und Risiko, was machen Sie da genau?
Da haben wir bisher zwei Aspekte behandelt, bei einem sind wir gerade dran. Ein Sicherheitsforschungsthema war beispielsweise, dass wir ein Handbuch für sicheres Arbeiten bei Containerterminals verfasst haben. Von möglichen Gefahrenquellen bis ausfallsichere Softwaresysteme.
In einem anderen Projekt haben wir im Bereich Risikoanalyse bei Katastrophen gearbeitet. Da ist es darum gegangen, möglichst schnell Standorte zur Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern zu errichten, wenn es zum Beispiel in bestimmten Bereichen Österreichs zu Überflutungen kommt.
Das hört sich nach strategischer Sicherheitsforschung, also nach KIRAS-Projekten an?
So ist es. Wir arbeiten gerade an einem KIRAS-Projekt mit, wo wir der österreichische Lead sind. Da geht es - gemeinsam mit renommierten deutschen Partnern - um die Anwendung von Distributed-Ledger-Technologie in Lebensmittel-Lieferketten. Unser Part ist, dass wir die Lieferketten dokumentieren und die deutschen Partner entwerfen dann Technologien, damit diese Lieferketten sicher sind gegen eine Manipulation von Daten. Umgekehrt kann man mit diesen Technologien auch ganz schnell Qualitätskontrollen durchführen, es hat also auch einen Vorteil für die Konsumenten. Das geht bis zur Verfolgbarkeit von Waren, dass ich tatsächlich weiß, wo bestimmte Lebensmittel herkommen und über welche Prozessschritte sie zum Konsumenten gelangt sind.
Welche Disziplinen braucht es für die Forschung an Logistikthemen - allgemein und an Ihrem Institut?
Das Institut ist sehr interdisziplinär aufgestellt, wir haben Betriebswirte, Mathematiker, Forstwirte, Holzwirte, UBRM-Studentinnen und -Studenten (UBRM=Umwelt- und Bioressourcenmanagement/Boku), TU-Absolventen, und Informatiker. Von der Bedeutung her würde ich heute die Informatik an die erste Stelle reihen. Dadurch, dass man wirklich Expertise braucht hinsichtlich Datenanalyse, und man ganz schnell einen Code entwickeln kann, lässt sich ein Gefühl entwickeln, ob es sich lohnt weiter zu arbeiten.
Wie sieht es mit Logistik im Studium aus?
Ein eigenes Logistik-Studium an der Boku gibt es ja nicht, wir sind thematisch in vielen Studienrichtungen drin. Wir haben aber an unserem Institut eine eigene Lehrveranstaltung für "Green Logistics", das gibt es schon seit einiger Zeit, und wir haben auch eigene Lehrveranstaltung zu intermodalem Verkehr. Für mich das Relevante ist, dass man auf Green Logistics setzt und den Jungen auch erklärt, dass das in der Zukunft ein wichtiger Hebel sein wird.
Wir sehen, dass unser Ansatz richtig ist, wenn wir das Feedback bekommen, dass gestandene Logistikunternehmen Boku-Absolventinnen und -absolventen bevorzugen, weil sie ein anderes Mindset haben - das heißt, dass unsere Ausbildung in der Praxis angekommen ist.
(Das Gespräch führte Mario Wasserfaller / APA-Science)