"Jenseits der imperialen Lebensweise: Schaffen wir die Transformation zur Nachhaltigkeit?"
Die aktuelle Streikbewegung der SchülerInnen für den Klimaschutz hat etwas geschafft, was die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die im September 2015 von der UNO-Generalversammlung beschlossen wurden, trotz viel medialem Aufwand bisher nicht vermochten: Eine breite gesellschaftliche Debatte über eine lebenswerte Zukunft anzustoßen.
Das liegt unter anderem daran, dass die Regierungen sich mit dem SDGs zwar in einem mehrjährigen Verhandlungsprozess auf Ziele und Unterziele zur Bekämpfung von Armut, Hunger, Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und vielem mehr geeinigt haben. Doch richtig glaubwürdig sind die Regierungen nicht, wenn sie sich in Erklärungen für mehr Umweltschutz und globalen sozialen Ausgleich einsetzen, dann aber "zu Hause" eine Politik für den Bau von Auto-(Lobau-)Tunneln, Flughafenausbau und Aufhebung des Tempolimits machen.
Die Ministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus verzweifelt wahrscheinlich immer wieder, wenn im Ministerrat Entscheidungen in eine ganz andere Richtung als jene von Nachhaltigkeit getroffen werden. Keine politische Maßnahme soll "der Wirtschaft" schaden, so heißt es von anderen Regierungsmitgliedern, wobei damit das Management und die Unternehmensinhaber sowie ihre Verbände wie die Industriellenvereinigung gemeint sind. Der Wohlstand, den Millionen Menschen alltäglich mit ihrer bezahlten und nicht-bezahlten Arbeit schaffen, bleibt dabei außen vor.
Vielen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen reicht es nun. Greta Thunberg hat etwas ausgedrückt und verstärkt, was offensichtlich bei vielen jungen Menschen - und einigen älteren - latent vorhanden war: Das Leben wird in Zukunft ziemlich ungemütlich, wenn das Mantra des "Wachstum, Wachstum, Wachstum", die Ignoranz gegenüber den Auswirkungen des eigenen Tuns auf andere und gegenüber der Zukunft sowie die unsolidarische Konkurrenzlogik, derzufolge alle nur auf sich schauen sollen, nicht verändert werden.
Fridays for Future geht es weniger um inhaltliche Argumente, dass wir mehr Klimaschutz benötigen. Das wissen eigentlich alle - auch jene, die es leugnen oder nicht wissen wollen. Das Spannende an der aktuellen Dynamik ist die Kritik an der intergenerationellen Verantwortung der Eltern und Eliten. Die Leitidee von Nachhaltigkeit ist ja genau jene Verantwortung heute für die künftigen Generationen. Diese Politik hat sich in den letzten drei Jahrzehnten blamiert.
Was bedeutet denn Schulerfolg angesichts ungemütlicher Zukunftsaussichten? Die Vorschläge einiger PolitikerInnen, es könnte doch in der schulfreien Zeit gestreikt werden, muss bei den jungen Menschen den Eindruck erwecken, dass die Älteren nichts kapiert haben. Alles soll so weitergehen. Am besten mehr vom Gleichen. Auf der Alltagsebene müssen SUVs - zynischster Ausdruck von Verantwortungslosigkeit - und ihre oft angeberischen Fahrerinnen und Fahrern auf politisch aufgeweckte junge Menschen wie eine Provokation wirken.
Es geht nicht zuvorderst um das Einsparen von Plastiksackerln, sondern um einen viel weitgehenderen Umbau unserer Wirtschaft, um eine Transformation der dominanten "imperialen" Lebensweise. Damit ist immer auch die Produktion gemeint, denn die SUVs und andere Autos werden ja produziert und damit werden hohe Gewinne gemacht. Und es geht um falsche Politik, denn die lässt das zu, unterwirft sich "der Wirtschaft", fördert den autozentrierten Verkehr. Sie unternimmt keine Anstrengungen, die Mobilität zukunftsfähig zu machen.
Doch neben der Frage einer lebenswerten Zukunft geht es auch darum, dass der materielle Wohlstand hierzulande heute auf Kosten anderer Menschen und Regionen und insbesondere zu Lasten der Natur geschaffen wird.
Viele negative Aspekte unseres Wohlstandsmodells werden in andere Regionen ausgelagert. Markus Wissen und ich bezeichnen das als "imperiale Lebensweise". Die zunehmend globalen Produktions-, Distributions- und Konsumnormen sind tief im politischen, ökonomischen und kulturellen Alltag verankert. Ihre negativen Voraussetzungen und Folgen sind allerdings den meisten Menschen nicht bewusst oder sie werden ignoriert. Man sieht dem neuen Smartphone seine problematische Produktionsgeschichte nicht an.
Die imperiale Lebensweise, wie sie in Europa und andernorts gelebt wird, ist eine statusorientierte Lebensweise, die nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auch auf sozialer Ungleichheit basiert und diese verlängert. Die Eliten und Mittelschichten haben nicht nur mit ihrem höheren Einkommen tendenziell einen größeren "ökologischen Fußabdruck". Sie grenzen sich gegen die unteren Schichten auch bewusst ab, indem sie zeigen, dass sie sich aufgrund ihres hohen Einkommens ein Auto und viel Konsum leisten können. Damit schließen sie Menschen mit weniger Geld umso mehr aus. Ein anderer Bereich, in dem sich Ungleichheit ausdrückt, ist die Pflege. Menschen mit höherem Einkommen können auf Pflegekräfte aus anderen Ländern zurückgreifen.
Und dennoch haben auch die Beschäftigten - etwa in der Automobilindustrie oder am Flughafen - zunächst ein Interesse daran, dass die imperiale Lebensweise aufrechterhalten wird. Wir können bereits heute in Deutschland, und auch etwas in Österreich, angesichts der Krise der Automobilindustrie intensive Diskussionen verfolgen, wie es weitergehen soll.
Eine solidarische Produktions- und Lebensweise bedarf anderer, nicht zerstörerischer Formen der Bedürfnisbefriedigung: Ernährung und Wohnen und Kleidung, Mobilität und Kommunikation. Dafür wird es weiterhin Industriebetriebe, auch globale und teilweise auch große, geben. Aber die einseitige Orientierung am Profit und kapitalistisch getriebenen Wachstum wird deutlich zurückgedrängt. Das Leitbild ist nicht mehr "Dolce Vita für wenige", sondern "Gutes Leben für alle".
Soziales und nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, problematische Branchen wie die industrielle Landwirtschaft oder den Automobilsektor zurückzubauen - selektiv und gesteuert. Die Automobilisierung der Welt kann so nicht weitergehen. Das artikulieren die SchülerInnen von Fridays for Future, wenn sie teilweise dagegen protestieren, dass Eltern ihre Kinder morgens mit dem Auto zur Schule bringen, obwohl es Alternativen gebe.
Der aktuell viel diskutierte Umstieg auf Elektroautos wird nicht reichen, da auch deren Produktion enorme Ressourcen benötigt und der Flächenbedarf für den Verkehr weiterhin hoch bleibt. Dabei ist zentral: Der Rückbau des Automobilsektors kann nicht auf dem Rücken der Beschäftigten erfolgen, aber die Diskussion kann auch nicht einfach abgeblockt werden, indem man auf die Arbeitsplätze verweist.
Die Transformation zur Nachhaltigkeit ist eine Jahrhundertaufgabe, die leider angesichts des visionslosen Gewinnemachens und politischen "Klein-Klein" viel zu wenig Aufmerksamkeit hat.
Dabei gibt es ja durchaus Firmen, die sozial und ökologisch orientiert sind und nicht nur an die Profite denken. Auch öffentliche Unternehmen wären viel stärker in die Pflicht zu nehmen, um wirklich zukunftsfähig zu produzieren. Es gibt auch hie und da vielversprechende politische Entwicklungen wie etwa die Energiewende in Deutschland - bis sie von den Stromkonzernen "übernommen" wurde.
Angesichts der insgesamt nicht zukunftsfähigen Politik und Wirtschaft sind aktuelle Ansatzpunkte vor allem im kulturellen Bereich zu suchen. Das Unbehagen an den Verhältnissen drücken etwa die Klimastreiks aus. Es müssten ethische Normen gestärkt werden, dass Fleischessen maximal der Sonntagsbraten von ökologisch und regional gehaltenen Tieren ist - und es keine Fleischfabriken geben darf. Der Flugverkehr muss zum gesellschaftlichen und auch individuellen Problem werden - aber das würde mit einer Schwächung der Fluggesellschaften und Flugzeugbauer einhergehen. Die Menschen sollten woanders auskömmliche und sinnerfüllte Arbeit finden. Und es muss in ein paar Jahren einfach lächerlich sein, mit einem SUV durch die Stadt zu fahren.